Das oberste Ziel von Eltern? Ihre Kinder sollen gesund und glücklich aufwachsen. Die richtige Ernährung spielt hier eine besonders grosse Rolle. Doch Lebensmittelindustrie, Werbung und Pharmaunternehmen scheinen oft eher Umsatz als die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Kunden im Auge zu haben. Das macht Eltern das Leben schwer, weiss Ernährungsexperte Hans-Ulrich Grimm.
Der allgäuer Autor Hans-Ulrich Grimm setzt sich seit Jahren mit der Nahrungsmittelindustrie auseinander. Künstliche Aromen, Zucker oder Geschmacksverstärker gehören für ihn aus unseren Küchen verbannt. Vor allem auf den Tellern unserer Kinder haben sie nichts zu suchen.
Herr Grimm, Sie sind Journalist und Buchautor, haben bereits 1998 ein Lexikon über Zusatzstoffe herausgegeben und über 15 weitere Bücher zum Thema Ernährung herausgegeben. Wie kamen Sie mit dieser Thematik in Kontakt und warum sind Sie dabei geblieben?
Hans-Ulrich Grimm: Essen hat mich schon immer interessiert. Ich mache das sogar jeden Tag.
Seit ich Journalist und Autor geworden bin, habe ich mich auch zunehmend für die Hintergründe interessiert, mich immer häufiger gewundert, was wir da alles nicht wissen, und deshalb beschlossen, auch darüber zu schreiben.
In Ihrem aktuellen Werk "Gummizoo mach Kinder froh, krank und dick sowieso" widmen Sie sich wieder dem Thema der Kinderernährung. Warum ist dieses Thema heute besonders aktuell und wichtig?
Die Kinder müssen ja bekanntlich gross und stark werden und da spielt das Essen eine ganz zentrale Rolle. Viele Kinder sind zum Leidwesen ihrer Eltern aber schwach, allergisch auf alles Mögliche oder anfällig für Krankheiten.
Jetzt im Herbst und Winter ist oft die halbe Kita leer, weil die Kids rotzeln und husten. Das hat mit unzureichenden Abwehrkräften zu tun. Und das wiederum sehr mit der Ernährung, denn das Immunsystem sitzt grossteils im Verdauungstrakt.
Könnte man nicht den Eindruck gewinnen, dass durch die Trends der letzten Jahre, wie bio, frisch und regional, die Menschen verstärkt auf die Ernährung achten? Und gerade Eltern ihre Kinder gesund und verantwortungsvoll ernähren?
Die Eltern wollen auch, dass sich ihre Kinder gesund ernähren. Aber merkwürdigerweise sind sie die Letzten, die noch stark und fest an die Produkte der Industrie glauben. Weltweit gerät Big Food immer mehr in die Kritik, auch die Zuckerindustrie und die Soft-Drink-Konzerne.
Sogar die Tierfutterindustrie. Kein Hund soll mehr Futter aus der Dose kriegen, lieber kochen Herrchen und Frauchen selber. Nur die Eltern vertrauen lieber dem alten Herrn Hipp und seinem Brei aus der Gläschenfabrik. Dabei gibt es ja nichts Simpleres, als einen Brei zu kochen.
Sie kritisieren industriell hergestellte Lebensmittel für Kinder. Also Babygläschen, Quetschies oder auch Obstbrei aus dem Plastikbeutel. Warum?
Solche Produkte führen dazu, dass das kindliche Immunsystem geschwächt wird und die Kinder allergisch und anfällig für Krankheiten werden. Bisher galt es ja als grosser Vorzug, dass kein Schmutzkörnchen, keine Rückstände, keine einzige Bakterie in der industriellen Babynahrung zu finden sind.
Jetzt zeigt sich: Das ist das grösste Manko, weil sich bei solcher Hyper-Hygiene das kindliche Immunsystem nicht ausbilden kann. Wissenschaftler sprechen schon von einem "Mangel an Mikroben" in Gläschen und ähnlichen Fabrikprodukten.
Besonders gesund sind ja Kinder, die auf dem Bauernhof aufwachsen, im Stall spielen und Rohmilch trinken. Da lernt das Immunsystem, mit Feinden umzugehen - und nicht bei jeder Erdbeere das schwere Geschütz herauszuholen, wie bei Allergikern.
Sie stellen die These auf, dass Eltern mit falschen Ernährungsempfehlungen in die Irre geführt werden.
Das fängt ja damit an, dass Ernährungsberater sagen, es sei egal, ob das Kind selbst gemachten oder gekauften Brei kriegt.
Dabei kann es ja gar nicht dasselbe sein, ob ein Brei, sagen wir Apfel-Pfirsich, zwei Stunden hält, wie der selbstgemachte, oder zwei Jahre, wie der von Hipp, der dann ja oft schon älter ist als das Baby, das ihn kriegt.
Und wenn dadurch, wie jetzt Wissenschaftler warnen, das Immunsystem leidet, dann ist das eine sehr verhängnisvolle Irreführung der Eltern.
Nimmt die Nahrungsmittelindustrie also in Kauf, dass schon Kinder krank und "abhängig" von Zucker werden?
Ich glaube nicht, dass die Nahrungsindustrie die Kinder absichtlich süchtig macht. Aber klar ist auch: Fürs Geschäft ist es schon besser, wenn die Kinder immer wieder nach Süssem gieren und im Supermarkt quengeln.
Wenn sie sich gar nicht interessieren für Ferrero und Fruchtzwerge, dann sind ja die ganzen Werbemillionen verschwendet und verloren.
Was passiert mit Kindern, wenn sie früh Zucker bekommen?
Sie wollen das immer wieder und zwar ihr Leben lang. Und damit kommen natürlich all die bekannten Folgen: Übergewicht, Diabetes, Herzprobleme, Alzheimer, Krebs.
Da will man als Vater oder Mutter ja lieber nicht dran denken, aber das sind genau die Themen, über die sich Kinderärzte Sorgen machen.
Ich habe mit einem von ihnen gesprochen. Er hatte zwei Blutdruckmessgeräte, als er anfing, und heute hat er 20. Bluthochdruck bei Kindern, habe ich da erfahren, kommt öfter vor, als wird denken, unter anderem durch Energydrinks wie Red Bull.
Zappelig, depressiv und sogar dumm - das sind Ihre Erkenntnisse darüber, was mit Kindern passiert, wenn sie Zucker bekommen. Sind viele Probleme wie ADS, Konzentrationsprobleme, Allergien und Krankheiten in späteren Jahren also hausgemacht?
Das sagen jedenfalls die unabhängigen Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen. Ernährungstherapien sind deshalb oft weit wirksamer als Pillen wie etwa Ritalin.
Da müssen die Kinder oft nur ein, zwei oder drei Lebensmittel weglassen, die sie nicht vertragen und das ganze ADHS-Problem ist gelöst - für immer.
Klingt phantastisch, ist aber erwiesen. Und Nebenwirkungen gibt es auch keine. "Anders Essen" heisst die Methode, die an der Universität Freiburg entwickelt wurde.
Findet hier zu wenig Aufklärung statt? Beispielsweise schon durch Hebammen, Kinderärzte und Krankenkassen?
Beim Thema ADHS haben sich ja die interessierten Pharmafirmen ziemlich breit gemacht und zum Beispiel die massgeblichen Professoren auf ihre Seite gezogen.
Leider berichten auch die Leitmedien dann vorwiegend über solche Produkte und schweigen sich über die Ernährungstherapien aus - obwohl die viel wirksamer sind.
Allerdings nicht so profitabel: Allein bei Ritalin geht es schliesslich um 300 Millionen Dollar Umsatz im Jahr, insgesamt sorgen allein in den USA die ADHS-Kinder für jährlich 50 Milliarden Dollar Umsatz.
Ernährungsumstellung ist zwar viel besser für die Kinder, bringt aber keinen Umsatz.
Sie haben selbst zwei Töchter - Zucker und verarbeitete Lebensmittel sind für die beiden tabu?
Natürlich essen sie auch gerne Eis oder Kuchen. Aber meine selbstgemachte Erdbeerroulade hat etwa acht Gramm Zucker pro Scheibe - also vernachlässigbar, im Vergleich zu Nutella und Nesquik jeden Morgen. Das gibt es bei uns in der Tat nicht.
Ich habe manchmal von meinen Reisen ein Nutella-Portionspäckchen vom Hotelfrühstück mitgebracht und gedacht, die Kinder jubeln jetzt. Aber die mögen das gar nicht.
Wenn man Kinder nicht von Anfang an auf den Süss-Kurs zwingt, sind die gar nicht so scharf auf Süsses. Dass Kinder von Natur aus auf süss stehen, ist ein Märchen.
Bei den Eskimos gibt es zum Beispiel gar nichts Süsses, nur immer Walfischspeck, da kann die Natur gar keinen Süss-Drang installiert haben. Die haben nicht einmal die nötigen Zuckertransporter im Organismus.
Wie gehen Sie damit um, wenn Ihre Kinder bei anderen Kindern eingeladen sind und dort Süssigkeiten bekommen?
Ganz entspannt. Das bringt sie ja auch nicht um, wenn sie da mal Gummibärchen kriegen.
Zu viel wollen sie ohnehin nicht: Wenn sie an Fasching zum Beispiel die Bonbons von den Umzugswagen auffangen, dann liegt die Tüte monatelang bei uns rum, bis wir sie dann wegschmeissen oder weiter verschenken. Hier steht immer noch ein Osterhase von 2015.
Wie soll man also seine Kinder ernähren?
So, wie das gut ist für die Kinder. Sie wissen das instinktiv, wie die Studien der amerikanischen Kinderärztin Clara Davis vor fast 100 Jahren ergeben haben. Sie hat Kindern im Alter von etwa einem Jahr aus über 30 Lebensmitteln frei wählen lassen.
Milch, Obst, Gemüse und sogar Innereien wie Leber. Das Ergebnis: Die Kinder haben genau das ausgewählt, was gut für sie war. Sie waren wohlgenährt und gesund.
Der "Trick" dabei war, sagte die Ärztin, dass die Kinder nur natürliche Nahrungsmittel bekamen, nichts industriell Verarbeitetes, keine Geschmacksstoffe, Aromen, Geschmacksverstärker, Zucker oder Süssstoffe. Das einzig Süsse waren die Früchte - und selbst davon nahmen die Kinder nicht übermässig viel.
Welchen Tipp geben Sie Eltern mit auf den Weg?
Immer an den "Trick" denken.
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