Eine Chemotherapie ist heutzutage deutlich verträglicher als früher. Trotzdem ist sie für den Körper eine grosse Belastung. Die Ärztin Daniela Paepke vom Klinikum rechts der Isar in München will sich bei der Linderung von Nebenwirkungen nicht nur auf die Schulmedizin verlassen.
Frau Dr. Paepke, Sie begleiten Patienten während einer Chemo mit integrativen Therapiemethoden. Inwiefern kann die Komplementärmedizin helfen?
Dr. Daniela Paepke: Sie kann die Nebenwirkungen lindern und dadurch die schulmedizinische Therapie unterstützen. Das ist hinsichtlich der Prognose sehr wichtig.
Denn wenn Chemogaben aufgrund der Nebenwirkungen verschoben oder ausgesetzt werden, hat das einen negativen Einfluss auf die Prognose. Ausserdem stimmen Patienten, die eine Chemotherapie ablehnen, dann mitunter zu, wenn sie komplementär begleitet werden.
Was empfehlen Sie Ihren Patienten?
Ich rate allen Patienten, während der Chemotherapie Sport zu machen. Unserer Klinik ist ein Präventions-Zentrum angeschlossen. Dort kann man sich hinsichtlich der Fitness testen und beraten lassen.
In der Regel wird zu einem leichten Kraft- und Ausdauertraining geraten. Wenn das nicht geht, genügt auch ein täglicher Spaziergang mit dem Schrittzähler. Mindestens 10.000 Schritte sollten es allerdings sein.
Warum ist Sport so wichtig?
Während der Chemo leiden viele Patienten unter Fatigue, eine Art Erschöpfungssyndrom. Sport und Bewegung an der frischen Luft wirkt der Fatigue entgegen. Ausserdem hilft es bei Schlaflosigkeit und ist gut fürs Herz.
Patienten, die regelmässig Sport treiben, haben in der Regel weniger chemotherapiebedingte Herzschäden.
Was ist neben Sport noch wichtig?
Wir legen einen grossen Fokus auch auf das Thema Achtsamkeit. Dafür gibt es spezielle MBSR-Kurse in München und Umgebung. (Anm. d. Red.: MBSR meint mindfulness-based stress reduction. Diese Kurse bestehen aus einem Programm zur Stressbewältigung.) Diese beinhalten einfache Körperübungen und Meditation.
Yoga, Tai-Chi, Qigong und Heileurythmie empfehlen wir zudem oder anstatt. Daneben spielt das Thema Ernährung eine grosse Rolle. Ich empfehle rhythmische, gesunde Ernährung.
Was bedeutet rhythmisch in diesem Zusammenhang?
Es bedeutet, in Intervallen zu essen – zum Beispiel am Morgen, Mittag und Abend. Es geht darum, zwischen den Mahlzeiten Pausen einzulegen. Wichtig ist, auch den Zucker- und Alkoholkonsum zu reduzieren.
Zudem empfehlen wir eine Handvoll Nüsse pro Tag sowie Olivenöl. Die Epic-Studie hat gezeigt, dass das Risiko, an Krebs zu erkranken, reduziert wird. Zudem sollten die Patienten während einer Chemotherapie nicht zunehmen.
Wir wissen heute, dass eine gesunde Ernährung und Sport das Rückfallrisiko bis zu 40 Prozent senken kann.
Welche Methoden der Komplemetärmedizin wenden Sie an?
Das ist der dritte Baustein – die sogenannten Biological Based CAM´s. Dazu gehören verschiedene Phytotherapeutika (Anm. d. Red.: Heilpflanzen, die als Arzneimittel verwendet werden), die Misteltherapie und die Anthroposophische Therapie. Zusätzlich behandeln wir homöopathisch und mit Akupunktur ausserhalb des Klinikums.
Die Misteltherapie ist umstritten. Welche Erfahrungen und Daten gibt es?
Wir haben zur Misteltherapie sehr gute Daten. Brustkrebspatienten vertragen die Chemotherapie mit der Mistel besser. Sie haben weniger Fatigue und schlafen besser.
Auch der Appetit wird angeregt, vor allem metastasierte Patienten profitieren davon. Bei Tumoren wie dem Lungen- und dem Pankreaskarzinom wissen wir, dass die Patienten länger leben, die eine Misteltherapie erhalten.
Es wird sogar behauptet, dass die Misteltherapie die Chemo abschwächt. Was sagen Sie dazu?
Das ist totaler Nonsens. Man kann die Mistel sogar noch in der Nachsorge geben, um das Immunsystem zu stärken – als Rezidiv-Prophylaxe sozusagen.
In welchen Fällen ist bei der Misteltherapie Vorsicht geboten?
Aufpassen muss man beim Lymphom, bei Leukämie und Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose. Auch bei Hirnmetastasen ist Vorsicht geboten.
Wie können Phytotherapeutika helfen?
Sie können sehr gut bei Schlaflosigkeit helfen. Zum Einschlafen kann man Baldrian verabreichen, die Passionsblume und Hafer bei Durchschlafstörungen. Phytotherapeutika helfen und verursachen keine Abhängigkeit
Bei Hitzewallungen sind Traubensilberkerze oder Salbei hilfreich. Die Mittel sollten allerdings nie ohne Rücksprache mit dem Arzt eingenommen werden, denn Phytotherapeutika können mit anderen Medikamenten Wechselwirkungen haben.
Viele Patienten nehmen Nahrungsergänzungsmittel. Sind die nötig?
Nein, vielleicht bis auf Vitamin D und Selen. Fast alle Patienten haben einen Vitamin-D- und manche einen Selen-Mangel. Deshalb überprüfen wir zu Beginn der Chemotherapie immer die Blutwerte. Danach wird entschieden, ob substituiert werden muss oder nicht.
Sie sagten, Sie behandeln auch homöopathisch …
Ja, homöopathische Mittel sind ungefährlich und führen auch zu keinen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Dennoch rate ich dazu, auch diese Mittel immer in Rücksprache mit dem Arzt einzunehmen.
Es gibt Krebspatienten, die sich ausschliesslich von Heilpraktikern behandeln lassen, weil sie die Schulmedizin ablehnen. Wie bewerten Sie das?
Das ist keine gute Idee. Patienten, die sich ausschliesslich alternativ behandeln lassen, laufen schlechter. Die meisten metastasieren schneller und versterben.
Wie gross ist der Erfolg der Komplementärmedizin bei Chemotherapie?
Leider ist der Erfolg derzeit nicht messbar, weil wir keine doppelblind randomisierten Studien haben. Es gibt allerdings Daten aus epidemiologischen Studien und Patientenbefragungen. Patienten, die unser Programm durchlaufen haben, bewerten uns durchschnittlich mit der Note 1,3.
Spielt da vielleicht nicht auch ein Placebo-Effekt hinein, weil sich Patienten besser betreut und aufgehoben fühlen?
Ich denke schon, dass ein gewisser Wohlfühleffekt eine Rolle spielt. Das betrifft auch die Anwendungen wie Klangliege und Wickel, die Patienten bei uns erhalten. Gerade der Leberwickel ist sehr gut, weil er die Leber entgiftet und die Patienten währenddessen abschalten und etwas Gutes für sich tun.
Methadon während der Chemo ist im letzten Jahr ein grosses Thema gewesen. Was halten Sie davon?
Wir raten davon ab. Auf dem Gebiet gibt es noch zu wenig Erfahrung. Ich kenne zwei Fälle, in denen Ärzte Methadon verabreicht haben. Einer Patientin mit Metastasen hat es sehr gut gegen die Schmerzen geholfen.
Die andere Patientin war so benommen, dass sie vom Leben gar nichts mehr mitbekommen hat. Das war furchtbar.
Was sagen Sie Patienten, die eine Chemotherapie ablehnen?
Zunächst muss man herausfinden, warum die Chemo abgelehnt wird. Wo sind die Ängste? Wir Ärzte müssen dann versuchen, ihnen diese Angst zu nehmen.
Geht es darum, dass jemand Angst vor den Nebenwirkungen hat, kann man darüber intensiv sprechen. Die Chemotherapie ist mittlerweile so gut verträglich, dass einige meiner Patienten sogar während der Therapie arbeiten gehen.
Wenn es dagegen darum geht, dass die Chemo hinsichtlich der Heilungschancen einen zu geringen Vorteil aufweist, kann ich die Ablehnung verstehen.
Was ist die grösste Angst der Patienten?
Die dringendste Frage ist: Kann geheilt werden? Die meisten Frauen haben auch Angst vor dem Haarausfall. Dieses Thema rückt aber irgendwann in den Hintergrund.
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