In der Schweiz werden nur Organe entnommen, wenn der Verstorbene oder die Angehörigen ausdrücklich zugestimmt haben. Diese "Zustimmungslösung" führt zu weniger Organspenden als in anderen Ländern. Doch Ethiker lehnen es ab, jeden Verstorbenen als potenziellen Organspender anzusehen.

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Die Nachfrage nach Organen befindet sich in der Schweiz auf einem Höchststand. Laut Swisstransplant, einer Stiftung für Organspende und Transplantation, sterben durchschnittlich zwei Menschen pro Woche, während sie auf ein Organ warten. Ende 2016 befanden sich 1480 Menschen auf der Warteliste für Organe – 38 Prozent mehr als 2010.

Die Schweiz registrierte 2016 bloss 111 Organspender, die einen Herzstillstand erlitten hatten oder hirntot waren. Diese Zahl entspricht 13,3 Spenderinnen und Spendern pro Million Einwohner – womit die Schweiz im unteren Drittel des Europäischen Rankings auftaucht.

Einwilligung ist entscheidend

Laut Franz Immer, Direktor von Swisstransplant, wird der Organmangel in der Schweiz durch die "Zustimmungslösung" verschärft. Diese verlangt, dass der Patient – oder die nächsten Angehörigen – der Spende zugestimmt haben, bevor Organe entnommen werden können.

Doch die Angehörigen lehnen häufig ab. Manchmal auch deshalb, weil sie nicht wissen, was der Verstorbene gewollt hätte. "Auf der Intensivstation wissen wir nicht, was der potenzielle Organspender wünscht. Das führt zu einer vergleichsweise hohen Ablehnungsrate von 60 Prozent – in Frankreich beträgt sie 25 Prozent", sagt Immer gegenüber swissinfo.ch.

Dazu kommt, dass es in der Schweiz kein Register für Personen mit Organspende-Ausweis gibt. Die Schweizer Regierung lehnte ein solches Register aus Kosten- und Datenschutzgründen ab. "Wir wissen, dass ein grosser Teil der Bevölkerung die Organspende befürwortet, aber nur fünf von 100 potenziellen Spendern tragen eine Spenderkarte auf sich – bei den anderen 95 müssen die Angehörigen entscheiden", sagt Immer.

Im Herbst 2016 lancierte Swisstransplant mit dem Bundesamt für Gesundheit eine landesweite Kampagne, um die Leute zu sensibilisieren und sie dazu zu bringen, mit ihren Angehörigen über ihre Wünsche zu sprechen.

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Ethische Bedenken

2013 lehnte der Ständerat (kleine Parlamentskammer) die Einführung der "Widerspruchslösung" ab, bei der es möglich gewesen wäre, von allen Patienten Organe zu entnehmen, sofern sie sich zu Lebzeiten nicht explizit dagegen entschieden haben. Eine Mehrheit der europäischen Länder hat inzwischen dieses Modell eingeführt.

Die Nationale Ethikkommission (NEK), welche die Schweizer Behörden aus ethischer Sicht im Bereich der Humanmedizin berät, sprach sich gegen die Widerspruchslösung aus. Laut NEK würde eine Widerspruchslösung die Grundrechte der Patienten verletzen.

"Die Widerspruchslösung gefährdet die Persönlichkeitsrechte. Denn sie kann dazu führen, dass Personen ohne das erforderliche Einverständnis Organe entnommen werden", schrieb die NEK in ihrer Stellungnahme. "Ein Schweigen kann nur unter der Voraussetzung einer Äusserungspflicht als eine implizite Form des Einverständnisses gewertet werden."

2015 lehnte auch der Nationalrat (grosse Kammer) die Widerspruchslösung ab. Doch laut Immer geht der Kampf weiter: "Die Spenderzahlen sind so schlecht, dass das Thema 2018 wieder auf der politischen Agenda auftauchen wird", sagte er gegenüber der französischsprachigen Tageszeitung Le Matin.

Entscheid über Leben und Tod

Letztes Jahr fanden Forscher aus der Schweiz und Grossbritannien heraus, dass Expertenempfehlungen in Sachen Organspende wie jene der NEK nicht immer mit der Meinung der Bevölkerung übereinstimmen. In ihrer Studie befragten die Forscher 1200 Ärzte, Medizinstudierende und Laienpersonen in der Schweiz. Die Probanden mussten in einem hypothetischen Szenario verschiedene Arten der Verteilung von 100 Spendernieren an 500 Patienten bezüglich Gerechtigkeit bewerten.

Laien tendierten dazu, die Organe den kränksten Patienten geben zu wollen, während Ärzte das Kriterium der Prognose – welcher Patient mit dem Organ am wahrscheinlichsten überlebt – am gerechtesten fanden.

Beide Gruppen fanden andere Verteil-Kriterien wie die Zahlungsbereitschaft oder eine simple Lotterie sehr unfair.

Realitätscheck

Diese Antworten widersprachen aber den Erkenntnissen professioneller Ethiker, die Prinzipien wie Wartezeit oder Krankheit als moralisch ungerechtfertigt ansehen. Sie bevorzugen ein System mit Losentscheid sowie die Bevorzugung junger Patienten.

"Das war eine Art Realitätscheck, um ethische Argumente den Meinungen anderer Gruppen gegenüberzustellen", sagt Ko-Studienautor Pius Krütli von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH).

Laut Krütli wäre das Einbeziehen von Inputs verschiedener Gruppen – vor allem von Laien – bei der Ausgestaltung von Regeln bei Themen wie der Organspende wünschenswert.

Aber für das Personal von Organtransplantationen an Schweizer Spitälern ist die Frage ob Zustimmungs- oder Widerspruchsmodell gar nicht so wichtig. Laut Nicolas Müller, Leiter des Transplantationszentrums des Universitätsspitals Zürich, wird die Einwilligung der nächsten Angehörigen immer eine zentrale Rolle spielen, unabhängig vom gewählten System.

"Das Gesundheitspersonal in der Schweiz ist der Meinung, dass trotz einer schriftlichen Einwilligung des Patienten in Form einer Spenderkarte die nächsten Angehörigen gefragt werden sollten. Wir würden uns nie über deren Entscheid hinwegsetzen", sagt Müller.

Adaptiert aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi

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