Dass der Körper nach einer Virusinfektion eine gewisse Zeit braucht, um wieder wie gewohnt zu funktionieren, ist allgemein bekannt. Aber was tun, wenn die Symptome auch nach Wochen und Monaten nicht besser werden?
Inzwischen hat sich einiges in der Long-Covid-Forschung getan, und im Umgang mit der Krankheit. So gibt es etwa Empfehlungen für Betroffene von der Charité oder der Regierung. Vor einigen Monaten sah es für viele Menschen noch anders aus: Sie galten als genesen, obwohl sie die unterschiedlichsten Symptome hatten, viele Ärzte wussten zunächst keinen Rat. Wir haben Sie bereits vor einigen Moaten nach Ihren persönlichen Erfahrung mit dem Thema Long Covid gefragt – und welche Tipps Sie anderen Betroffenen geben können.
Ein grosser Dank an alle, die uns von ihren persönlichen Erfahrungen geschrieben haben
Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich bedanken für alle Zuschriften, die wir erhalten haben. Viele Menschen haben sehr persönliche Geschichten mit uns geteilt. Es waren Geschichten von Tiefpunkten, von Angst und Verzweiflung. Es waren aber auch Geschichten von Heilung, von kleinen und grossen Fortschritten und von einer Hoffnung, die trotz allem stärker ist, als die Symptome der Erkrankung.
Eine Leserin wies uns darauf hin, dass es gerade für Menschen, die nach der Infektion mit Fatigue (insbesondere mit CFS) zu kämpfen haben, einen enormen Kraftakt bedeuten kann, einen Text zu lesen oder eine Email zu tippen – und sich dabei auch noch mit der eigenen Krankheit auseinanderzusetzen. Wir bedanken uns für diesen wichtigen Hinweis – und bei allen Menschen, die ihre Energie dafür aufgebracht haben, uns von sich zu schreiben – und damit anderen damit zu helfen.
Wir haben im Folgenden Auszüge aus einigen Zuschriften zusammengetragen. Auch wenn sie bei uns auf grosses Interesse gestossen sind, haben wir Zuschriften, die konkrete medizinische Hinweise oder Medikamente beinhalten, ausgelassen. Das liegt daran, dass wir als Redaktion keine ärztlichen Ratschläge (weiter)geben können. Wir haben aber einige dieser Tipps und Inhalte in Interviews mit Fachleuten besprochen - zu finden auf unserem Themenschwerpunkt Long Covid.
Ärztemarathon und Selbstrecherche
„Man liest und sucht nach Hilfe im Internet, aber leider findet man nicht immer das Passende oder es ergibt sich nur langsam ein konkreteres Bild.
Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass ich wahrscheinlich schon vorher eine Erkrankung hatte, die sich Mastzellenaktivierungssyndrom nennt und die erst durch Covid tatsächlich richtig ausgebrochen ist.
Es hilft eine histaminarme Ernährung und verschiedene Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, um die Mastzellen zu stabilisieren, damit nicht weiter unzählige Botenstoffe ausgeschüttet werden, die viele verschiedene Symptome (Herzrasen, Atemnot, Hautausschlag, Kopfschmerzen, BrainFog, Magen-/Darmbeschwerden, Muskelschmerzen, etc.) auslösen können.“
Tanja, Wesseling
Pacing: Lernen, nichts zu tun
„Ich hatte vor ein paar Wochen Corona. Die Symptome wie Husten, höhere Temperatur etc. sind nach ein paar Tagen weggegangen, aber ich bin immer noch sehr erschöpft und kann nicht viel machen. Ich habe 3 Wochen von meinem Praktikum verpasst und kann im Moment nur hingehen weil mich jemand mit dem Auto mitnimmt. Gestern hatte ich ab mittags wieder Kopfschmerzen und mir ging es so schlecht, dass ich mich zwischendurch hinlegen bzw. in einen anderen Raum gehen musste. Wann ich wieder längere Strecken mit dem Fahrrad fahren kann, ohne dass ich danach total platt bin, weiss ich nicht.
Mir hat es bis jetzt geholfen, langsam anzufangen, mir den inneren Druck rauszunehmen (!) und meinem Körper Zeit zu geben. Ich habe angefangen, zuhause Dinge zu tun und mehr und mehr auch draussen Dinge zu erledigen, mit viel Geduld und jedes Mal ein bisschen mehr, bzw. auf meinen Körper hören und ihn nicht krampfhaft zwingen (die Motivation kommt von selbst).“
Jenny, 28 Jahre, Freiburg
Meine Erfahrung damit umzugehen ist: sehr, sehr langsam zu laufen, auch wenn man den Eindruck hat, es geht schon. So komme ich wesentlich weiter. Sehr schwer ist es zu Stehen, z.B. an der Kasse. Da sacke ich oft zusammen, nun bin ich mit einem kleinen Klapphocker unterwegs. Für mich war es sehr wichtig aktiv zu sein mit kleinen Pausen, Beine hoch ganz wichtig. In der Wohnung auch langsam laufen. Bewegung im Stehen, z.B.: Armkreisen ...alles nach Mass.“
Erika, Berlin
Mir geht es in Summe viel besser und ich habe durch das sogenannte „Pacing“ wieder zu alten Kräften zurückgefunden und mit viel Geduld und Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Körpers die Infektion und Long Covid überstanden. Jetzt allerdings fürchte ich mich sehr vor einer abermaligen Ansteckung im Winter bei höheren Fallzahlen und geringerem Antikörperstatus und denke über eine vierte Impfung mit Omikron-angepassten Impfstoffen nach.“
Heike, 42 Jahre, Freiburg
Plötzlich ist alles anders
„Ich hatte vor circa 18 Monaten eine Coronainfektion und leide seitdem unter Long Covid, meine Symptome: starker Leistungsabfall, immer müde, Gedächtnisstörungen, Gleichgewichtsstörungen.
ich bin in einer Selbsthilfegruppe […] Ausserdem gehe ich regelmässig an der frischen Luft intensiv spazieren und atme bewusst tief durch. Ich esse regelmässig Weintrauben, spüre sofort einen kleinen Energieschub, treibe Sport im Fitnesscenter nehme Knoblauchtabletten und Eisentabletten mit Zitronensaft, ich fühle mich danach viel besser und bin wieder belastbarer und für den Alltag gerüstet.“
Günther, Willich
„ Schön, dass ich endlich mal die Gelegenheiten habe meine Erfahrungen zu teilen. Habe bisher keine Möglichkeit gefunden, eher nur Unverständnis.
Am 14.08.22 hatte ich die ersten Symptome, leichte Halsschmerzen. Bis zum 16.08.22 kamen Nasenprobleme und Husten dazu. War eine andere Art, als bei einem üblichen Infekt. Am 17.08.22 kamen komplett neue Symptome hinzu: Extreme Schwäche, Zittern, Konzentrationsschwäche, sehr flache Atmung und Gleichgewichtsstörungen, Schwanken beim Laufen, sehr schreckhaft, Reaktion sehr langsam, besonders im Strassenverkehr als Fussgänger. […] Nachdem es mir besser ging, kehrten die Symptome zurück und dauern bis heute an. Es gibt auch gute Tage und Zeiten.
Akzeptanz, Geduld und noch mehr kleine Schritte
In 2020 folgte den 6 Wochen schwerer Erkrankung eine lange Phase der mangelnden Belastbarkeit, Kurzatmigkeit und Schwäche. Ich kam keine Steigung mehr hoch und nur mit Mühe und Pausen die Treppe zum OG.
Im Sommer 2020 bemerkte ich dann Störungen im Kurzzeitgedächtnis und Wortfindungsstörungen - sehr lästig, zumal ich damals in der Endphase meines Fernstudiums war.
Das besserte sich dann 2021, war fast verschwunden, nur die mangelnde körperliche Belastbarkeit wurde nur wenig besser.
Nach der erneuten Infektion Anfang 2022 kamen die kognitiven Beschwerden schnell wieder und verstärkten sich, liessen dann nach 3 Monaten bis zu einem bestimmten Level wieder nach.
Nun, im September 2022, habe ich mich, wenn auch mit Bedauern, daran gewöhnt, damit leben zu müssen. Ich gehe so damit um:
- Kurzzeitgedächtnisbeschwerden: Ich mache viele Notizen, Listen, Stichpunktzettel, nutze die digitalen Erinnerungsfunktionen in Handy und PC. Und: ich habe schon immer gern "Gehirnjogging" verschiedener Art gemacht, da bleib' ich dran.
- Wortfindungsstörungen: Ich weiche auf Umschreibungen oder andere Begriffe für dasselbe Subjekt aus, was mir recht gut gelingt, da ich über einen sehr umfangreichen Wortschatz verfüge. Charmantes Zusatzproblem: ich arbeite in einem "sprechenden" Beruf, da ist Wortgewandtheit und harmonischer Redefluss gefragt. Ein "Ähhhhh... wie war das doch gleich, wie sagt man da?" geht natürlich nicht. Da ich aber Stockungen nicht ausschliessen kann, gehe ich offen mit der Erkrankung um. Ich sage meinen Zuhörern (Mandanten, Klienten), dass ich im Zusammenhang mit Long Covid an einer Wortfindungsstörung leide, und es sein kann, dass ich plötzlich ins Stocken komme. Wer glaubt, mir dann weiterhelfen zu können, darf gern "reinrufen" und ansonsten überspiele ich die Situation mit einem kleinen Scherz, das lockert auf, und danach geht es ganz unkompliziert weiter. Überhaupt gehe ich mit der Situation offen und mit Humor und einer Prise Selbstironie um. Es ist, wie es ist. Ich kann mich bemühen, trainieren, an mir arbeiten, aber Wunder wirken kann ich nicht. Also nehme ich es nicht bitterernst.
- Mangelnde körperliche Belastbarkeit: jede Steigung im Weg bringt Atemnot. Treppen sowieso. Gegenstrategie: Ich lasse mir Zeit für Wege, die ich gehen möchte oder muss. ich überlege, auf welche Weise ich den angestrebten Ort erreichen kann. Ich weiche leider auf Fahrstühle aus, wenn es um Treppen geht. Oben ankommen und nach Luft japsen ist eher suboptimal. Ich bin kein Bewegungsmuffel, aber ich habe gelernt, Belastungen vertretbar zu dosieren. Beispiel: ich schwimme gern, musste aber feststellen, dass ich Gefahr laufen würde, zu ertrinken. Also nehme ich mir eine sogenannte Poolnudel mit ins Wasser, was bewirkt, dass ich mich langsamer beim Schwimmen bewegen kann, meine Luft ausreicht, und ich nicht in eine Notsituation gerate.“
Beatrix, 60 Jahre, Markersdorf
„Ich hab mich selbst therapiert. Bin fast komplett beschwerdefrei. Vielleicht können sich andere damit noch helfen:
- […] Schlafprobleme: Mach dir keinen Stress. Du schläfst, wenn du schläfst. Wenn du nicht schläfst, lenk dich mit Hörspiel oder TV ab.
- Pacing: Akzeptiere deine Krankheit. Nimm es an, sei nicht wütend oder traurig, das kostet den Körper und Geist sehr viel Kraft. Schenke ihm die Ruhe und Eigenliebe, die dein Körper braucht. Das ist sehr wichtig! Und wenn ein Crash kommt, ärgere dich kurz und dann machst du wieder Pacing und nimmst es an!
- Sport und Bewegung: Fang langsam an und steigere dich. Am Anfang braucht man vielleicht ein bis zwei Tage Pause dazwischen. Auch, wenn es nur ein kurzer Spaziergang war.
- Gesunde Ernährung: Viel Gemüse, viel zuckerarmes Obst, kein Zucker, Vollkornprodukte, kein Weissmehl.“
Sabine, Köln
Wenn die Menschen im Umfeld erkrankt sind
„Als ein Familienmitglied an Corona erkrankt ist, habe ich dieser erst mal ein Hühnersuppe gekocht […]. Dann habe ich die Person darauf hingewiesen sich jeden Tag trotz der Krankheit zu bewegen, um den Kreislauf in Schwung zu halten und so oft wie möglich an die frische Luft auf den Balkon zu gehen.
Dann denke ich, dass es hilfreich sein könnte alles zu tun was gut für die Lunge und das Immunsystem ist. z.B. sich vor eine Saline setzen, ans Meer fahren oder öfter im Wald spazieren gehen. Möglichst Stress im Alltag vermeiden; zu meditieren oder Hypnose; um den Geist zu beruhigen und die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Viel trinken und auf eine ausgewogene Ernährung achten. Tees trinken, die gut für die Lunge sind etc.“
Elly, Mülheim an der Ruhr
„Als Yogalehrerin höre ich regelmässig von positiven Genesungsverläufen die Long COVID-Erkrankte mir Yoga gemacht haben. Durch die Arbeit mit den Komponenten Atem, Körper und Geist werden typische Symptome systematisch gelindert. Die Atmungsorgane werden ebenso sanft gefördert und unterstützt, wie der Körper wieder mobilisiert werden kann. Die geistige Wirkung von Yoga hilft, die mentalen Auswirkungen wie Antriebslosigkeit und depressive Störungen in den Griff und wieder einen positiven Ausblick auf das Leben zu bekommen. Meditation beruhigt sich im Kreis (und um die Erkrankung) drehende Gedanken und fördert geistige Ausgeglichenheit. Beste Wünschen für alle Genesenden.“
Stefanie, Münsterland
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