Aufgabenflut kann sehr erdrückend sein. Liegt das an den Aufgaben, an uns oder unserer Art, damit umzugehen? Eine Psychologin beschreibt einen Effekt und die Forschung zeigt: Viel gleichzeitig zu erledigen, ist der schlechteste Weg.
Rechnungen bezahlen, Rasen mähen, Arzttermin ausmachen - ständig muss man - gefühlt - so viel machen. Und wir fühlen uns gestresst und genervt. Der Grund muss nicht immer sein, dass wir wirklich zu viel zu tun haben. Manchmal liegt es auch am sogenannten Zeigarnik-Effekt.
Die Psychologin und Neuropsychologin Bluma Zeigarnik bemerkte in den 1920er-Jahren, dass Restaurant-Kellner sich besser an unbezahlte Bestellungen erinnerten, jedoch nach dem Bezahlen Schwierigkeiten hatten, sich an die Details zu erinnern. Zeigarnik führte für ihre Doktorarbeit ("Das Behalten erledigter und unerledigter Handlungen", 1927) Studien durch und fand heraus, dass unser Gehirn unerledigte Aufgaben bevorzugt speichert.
Warum merken wir uns unerledigte Aufgaben besser?
Unser Gehirn funktioniert ähnlich wie ein Computer mit vielen geöffneten Tabs: Die unerledigten Handlungen laufen im Hintergrund weiter und beeinträchtigen unsere Leistungsfähigkeit, schreibt der US-Psychologe Corey Wilks im Fachmagazin "Psychology Today". Sobald eine Aufgabe abgeschlossen ist, "schliesst" unser Gehirn diesen mentalen Tab und schafft neue Kapazitäten.
Bedeutet: Je mehr unerledigte Aufgaben wir haben, desto mehr mentale Ressourcen (quasi Arbeitsspeicher) müssen zur Verwaltung dieser Aufgaben aufgewendet werden.
Was wir für Multitasking halten, ist etwas anderes
Schnell die E-Mail beantworten, wenn wir eigentlich dabei sind, eine Präsentation fertigzumachen: Wenn wir viel zu tun haben, versuchen wir das oft mit Multitasking zu bewältigen. Das ist es aber gar nicht. Multitasking heisst, mehrere Dinge parallel gleichzeitig zu tun. Wir aber machen "Task Switching", so Wilks: Statt mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, wechseln wir schnell zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her, was unsere mentale Kapazität beansprucht und unsere Leistung beeinträchtigt.
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Beispiele: Wir sind bei der Arbeit, plötzlich blinkt auf dem Telefon eine Nachricht auf. Sie lenkt uns ab, bis wir sie gelesen haben. Oder: Man hat die Kinder zur Kita gebracht (abgehakt), ist bei der Arbeit im Kundengespräch - und denkt aber die ganze Zeit daran, dass man noch Wäsche in der Maschine hat.
Zeigarnik-Effekt auszutricksen: So geht's
Es gibt aber einige Kniffe, wie wir uns selbst entlasten können. Die wichtigsten Tipps:
- Verabschieden Sie sich von der endlosen To-do-Liste: Anstatt lange Listen zu führen, konzentrieren Sie sich auf die ein bis drei wichtigsten Aufgaben des Tages oder der Woche. Diese "Needle Movers", also Ausschlaggeber, wie Wilks sie nennt, sind die eine bis drei Aufgaben, die Ihnen am wichtigsten sind und Sie bezogen auf Ihre persönlichen Werte am meisten weiterbringen. Er selbst notiert seine auf einem Post-it (auch weil nicht zu viel draufpasst) und wirft es weg, wenn sie erledigt sind.
- Erlauben Sie sich, zu vergessen: Benutzen Sie ein "zweites Gehirn", wie es der Autor Tiago Forte nennt. Das kann ein physisches Notizbuch, ein digitales Tool oder Kalendererinnerungen sein. Je mehr Aufgaben und Informationen Sie so auslagern können, desto weniger muss Ihr Gehirn ständig überwachen. Wilks: "Man baut sich kein zweites Gehirn, um sich zu erinnern. Sie bauen es, damit Sie vergessen können."
Übrigens: Es muss nicht an unerledigten Aufgaben liegen, wenn man nachts nicht schlafen kann: Der Zeigarnik-Effekt ist auch am Werk, wenn wir nicht aufhören können, eine Serie "durchzusuchten". Die Folgen haben Cliffhanger, um unser Interesse aufrechtzuerhalten. Unsere Neugier zwingt uns, weiterzulesen oder -zu schauen, bis wir eine Auflösung finden - vorerst, denn der nächste Cliffhanger kommt bestimmt.
Den Zeigarnik-Effekt können wir uns aber auch zunutze machen. Wie es geht, beschreibt die Bildungswissenschaftlerin Kendra Cherry im Onlinemagazin "verywellmind.com":
- Effizienter lernen: Experten empfehlen, Lerneinheiten in kürzere Abschnitte zu unterteilen und regelmässige Pausen einzulegen, anstatt in langen Sitzungen Stoffe am Stück zu lernen. Diese Technik nutzt den Zeigarnik-Effekt, indem sie das Gehirn dazu anregt, sich auch während der Pausen mit dem Lernstoff zu beschäftigen. Dadurch könne es die Informationen noch besser speichern.
- "Aufschieberitis" überwinden: Prokrastination, also das Aufschieben von Aufgaben, führt zu Stress und oft zu schlechten Ergebnissen. Durch den Zeigarnik-Effekt könne sie gemindert werden: "Fangen Sie mit dem ersten Schritt an. Egal, wie klein er ist." Auch ein noch so kleiner Anfang sorgt dafür, dass die Aufgabe im Bewusstsein bleibt und man motiviert ist, sie zu beenden.
(Bettina Lüke, dpa/af)
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