Die Impfstoffe gegen Corona wurden sehr schnell entwickelt, Medikamente gegen Long Covid hingegen lassen auf sich warten. Der Lungenfacharzt Christian Gogoll erklärt im Interview, was die am meisten verschriebenen Alternativen und welche Medikamente Betroffene hoffen lassen.

Ein Interview

Welche Beschwerden haben Patienten mit dem Post-Covid-Syndrom (PCS)?

Dr. Christian Gogoll: Das Post-Covid-Syndrom fasst all diejenigen Beschwerden zusammen, die nach drei Monaten nach der Covid-19-Erkrankung noch fortbestehen. Die wesentlichen Symptome sind unter anderem Husten, Atemnot sowie rasche und schwere Erschöpfung – auch Fatigue genannt. Zudem gibt es noch die sogenannte postexertionelle Malaise (PEM), also einen anhaltenden Erschöpfungszustand nach einer seelischen oder körperlichen Belastung. Auch finden sich immer wieder Patientinnen und Patienten mit Konzentrations- und Denkstörungen, dem "brain fog".

Welche Medikamente gibt es denn gegen Long Covid?

Es gibt aktuell keine zugelassenen Medikamente gegen das Post-Covid-Syndrom. Einige der Symptome können medikamentös behandelt werden, für andere wie zum Beispiel die Fatigue steht bislang noch keine Therapie zur Verfügung.

Und welche Medikamente werden gegen diese Symptome verschrieben?

Wirksame Medikamente bei Symptomen des Post-Covid-Syndroms gibt es bereits viele. Aktuell werden bei Husten am häufigsten Atemsprays verordnet, insbesondere sogenannte inhalative Glukokortikoide. Hierbei handelt es sich um eine schon lange bekannte und ungefährliche Therapie mit recht guter Wirkung. Gleiches gilt für Schlafstörungen, die ebenfalls häufig auftreten. Bei diesen sind zum Beispiel Melatonin oder Trimipramin hilfreich. Bei der sich selten herausbildenden Lungenfibrose, der so genannten "Narbenlunge" (lesen Sie hier mehr über diese Krankheit), werden manchmal Prednisolon-Tabletten oder Nintedanib gegeben. Aus dem kardiologischen Bereich sind es bei Tachykardien, umgangssprachlich als Herzrasen bezeichnet, die Ivabradine oder Betablocker. Auch die gelegentlich beobachtete Myokarditis, also eine Herzmuskelentzündung, kann mit Medikamenten behandelt werden. Auch werden verschiedene andere Medikamente je nach Beschwerden erprobt.

Und was ist bei Fatigue-Beschwerden?

Auch hier gibt es Hinweise für eine mögliche medikamentöse Therapie. Allerdings handelt es sich eher um Versuche, also eine "trial and error"-Therapie. Dies betrifft die Gabe von Antihistaminika, Naltrexon, Aripiprazol und Rosuvastatin. In der Regel sind dies alles Off-Label-Therapien, es werden also für andere Erkrankungen zugelassene Medikamente zur Behandlung einer Erkrankung verwendet, für die sie eigentlich nicht vorgesehen sind. Auch für diese Therapieformen gilt, dass die Therapie am ehesten im Rahmen von Studien erfolgen sollte.

Welche Medikamente werden aktuell diskutiert und verschrieben?

Aktuell wird die Gabe von Virustatika und insbesondere von Paxlovid diskutiert. Mit diesem Wirkmechanismus kann man die gegebenenfalls im Körper noch restlich vorhandenen Viren eliminieren. Darüber weiss man noch zu wenig. Jedoch sieht es so aus, als ob die Gabe während der Covid-19-Infektion mindestens in gewissem Masse die Entstehung eines Post-Covid-Syndroms verhindern kann. Eine Blutgerinnungsstörung wird mit Antikoagulation behandelt, Schmerzen mit Analgetika. Zudem wird auch die Wirksamkeit von Metformin diskutiert. Es wird eigentlich zur Behandlung des Typ-2-Diabetes eingesetzt, könnte aber auch gegen Post Covid schützen. All diese Therapien haben gemeinsam, dass die Wirkung in grösseren Studien noch bestätigt werden muss, damit sie im Alltag Anwendung finden können. Hierzu sind in vielen Bereichen bereits Studien begonnen worden.

Warum wird oft auf Cortison zurückgegriffen?

Das entspricht eigentlich nicht meinen Erfahrungen. Cortison kann auch eine deutliche Schwäche auslösen, die sogenannte Myopathie. Orale Glukokortikoide, also schluckbare Hormone, werden eher bei akut Kranken verschrieben, die Sauerstoff benötigen. Bei Long Covid greift man dagegen selten auf Prednisolon-Tabletten zurück. Insbesondere hier muss man die Nebenwirkungen beachten. Cortison wird zum Inhalieren gegen Husten nach einer Corona-Erkrankung verschrieben. Das ist eine häufige Beschwerde. Eine längere Behandlung ist unproblematisch, es wirkt ganz gut und die Nebenwirkungen sind ebenfalls bekannt.

Welche Medikamente bräuchte man aus Ihrer Sicht dringend noch?

Das ist eine gute Frage. Die langwierigste Komplikation ist das schon vor Post Covid bekannte ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronische-Fatigue-Syndrom). ME/CFS kann auch nach einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus oder dem West-Nil-Fieber auftreten. Warum der Körper hier so reagiert, ist unbekannt. Der Invalidisierungsgrad ist hoch, allerdings ist die genaue Inzidenz bei PCS unbekannt. Die Abgrenzung zu anderen Erkrankungen kann eine ärztliche Herausforderung sein, es gibt aber auch Nebenerkrankungen, die eine ME/CF ausschliessen. Derzeit werden unterschiedliche und gegebenenfalls auch parallel wirkendende Mechanismen diskutiert. Denn ein einzelner Wirkmechanismus wird nicht allen Betroffenen helfen. Hilfreich wäre auch ein Medikament gegen die Fatigue – wobei die Grenze zwischen post-viraler Fatigue, die zum Genesungsprozess auch dazu gehört und eben nicht sofort behandelt werden muss, und eben den schwerkranken Patienten mit ME/CFS oft unscharf ist. Diskutiert werden hier verschiedene Medikamente, die einen Autoimmunprozess beenden können, eine sogenannte Antikörpertherapie.

In Deutschland war zuletzt in Bezug auf Post Covid viel vom Wirkstoff BC007 die Rede. Wird er zu Recht als "Wundermittel" angepriesen?

Mit BC007 kann ein an der Entstehung des Post-Covid-Syndroms beteiligter Prozess blockiert werden. Abgeschlossene Zulassungsstudien liegen aber noch nicht vor. Die bislang veröffentlichten Daten sind lediglich Einzelfallberichte. Soweit ich es überblicke, werden Studien geplant, die Finanzierung ist zuletzt aber ein Problem gewesen.

Kann das japanische Medikament Ensitrelvir tatsächlich das Risiko von Post Covid reduzieren?

Ensitrelvir ist ein Virustatikum, das in Japan zur Behandlung von Covid-19 zugelassen ist und von dem aus einer Zulassungsstudie bekannt ist, dass es das Risiko für die Entstehung eines Post-Covid-Syndroms um etwa 25 Prozent reduzieren kann. Hierzu werden jedoch noch grössere Studien und gegebenenfalls auch ein Vergleich zu dem bei uns erhältlichen Paxlovid benötigt, auch im Hinblick auf die Nebenwirkungen der Therapie. Für ganz ähnliche Substanzen laufen weitere Studien.

Gibt es andere Medikamente, die ebenfalls hoffen lassen?

Aktuell sind mir keine weiteren Medikamente in der Pipeline bekannt, die eindeutige Hoffnungsträger sind. Das bedeutet aber nicht, dass nicht doch daran geforscht wird. Vielleicht gibt es ja sogar schon welche, von denen gar nicht bekannt ist, dass sie helfen können. Wichtig ist und bleibt aber der Schutz vor einer Infektion, denn auch Re-Infektionen können das Risiko erhöhen - wenn auch wohl geringer als Erstinfektionen. Auch die nichtmedikamentösen Therapien wie Physiotherapie und Ergotherapie, für die es gute Belege für die Wirksamkeit gibt, sollten stärker genutzt werden.

Die Informationen in diesem Artikel ersetzen keine persönliche Beratung und Behandlung durch eine Ärztin oder einen Arzt.

Über den Experten: Dr. Christian Gogoll ist Oberarzt in der Evangelischen Lungenklinik Berlin. Er hat zu einem frühen Zeitpunkt der Pandemie als Lungenspezialist selbst mit sehr deutlichen Long-Covid-Symptomen zu kämpfen gehabt und hat deshalb zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) zusammen mit anderen Gesellschaften und Verbänden eine Patienten-Leitlinie initiiert. Hier gibt’s den Link.
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