Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die Persönlichkeitsrechte von intergeschlechtlichen Personen gestärkt. Künftig sollen auch sie im Geburtenregister ein Geschlecht eintragen lassen können. Doch was bedeutet Intersexualität - oder wie Interessenverbände es lieber nennen: Intergeschlechtlichkeit - eigentlich, und wie unterscheidet sie sich von Transsexualität?
Deutschland könnte bald zu den wenigen Ländern gehören, die neben "männlich" und "weiblich" im Geburtenregister eine weitere Eintragung zulassen. Auch in Österreich wird eine Neuregelung diskutiert, Schweizer Intersexuelle beurteilen die Diskussion hingegen kritisch.
In der Vergangenheit wurden intergeschlechtliche Menschen - oder schlicht Inter* - mitunter schon als Kinder durch Operationen und Hormonbehandlungen zu Männern oder Frauen "gemacht".
Manchmal sogar ohne Wissen ihrer Eltern, wie unter anderem Erfahrungsberichte in einer Stellungnahme des Ethikrates zeigen. In einem dieser Berichte bezeichnet sich eine Person, der als Kind die Hoden entfernt wurden, heute selbst als "Flickwerk, geschaffen von Medizinern, verletzt, vernarbt".
Das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts soll dazu beitragen, solche Übergriffe und alle Arten von Diskriminierungen gegenüber intergeschlechtlichen Menschen künftig zu verhindern. Menschen, deren Geschlechtsmerkmale "nicht den Geschlechtsnormen von Mann und Frau entsprechen", wie die Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen (IVIM) schreibt. Stark vereinfacht könnte man sagen: Menschen, die weder männlich noch weiblich sind.
Chromosomen, Hormone, Rezeptoren
Die Gründe dafür können in den Chromosomen liegen, etwa wenn statt eines X- und eines Y-Chromosoms (beim Mann) oder zweier X-Chromosomen (bei der Frau) nur ein X-Chromosom vorhanden ist, oder ein Y- und zwei X-Chromosomen.
In beiden Fällen kann ein Mangel an Hormonen dazu führen, dass bestimmte Geschlechtsmerkmale nicht besonders stark ausgeprägt sind, zum Beispiel beim Mann der Bartwuchs oder bei der Frau das Wachstum der Brüste, oder dass diese Menschen keine eigenen Kinder bekommen können.
Eine andere Ursache ist, dass sich im Mutterleib die Keimdrüsen, also Hoden oder Eierstöcke, nicht richtig entwickeln, oder dass in einem Körper beide angelegt sind.
Wenn deswegen nicht genügend Sexualhormone ausgeschüttet werden, kann es wie bei den Chromosomen-Variationen dazu kommen, dass zum Beispiel jemand, der auf den ersten Blick weiblich wirkt, auch typisch männliche Geschlechtsmerkmale hat, etwa eine starke Behaarung oder eine penisartig vergrösserte Klitoris.
Umgekehrt kann es bei der sogenannten Androgenresistenz, bei der Rezeptoren für das Testosteron und andere Sexualhormone fehlen, dazu kommen, dass die Hoden im Bauchraum bleiben und sich der Penis nicht voll entwickelt.
Intergeschlechtlichkeit ist keine "Störung"
Laut dem Medizin-Lexikon "Pschyrembel" liegt die Häufigkeit von Intergeschlechtlichkeit bei einem halben bis einem Prozent. Es spricht von Intersexualität als einer "Störung" - ein Begriff, den der Interessenverband IVIM als pathologisierend, also zu Unrecht als krankhaft bezeichnend, ablehnt.
Ebenso übrigens wie die Bezeichnungen Turner-Syndrom (bei Menschen mit einem X-Chromosom), Klinefelter-Syndrom (bei Menschen mit der Variante X-X-Y) oder auch Androgenresistenz. Sie seien ebenfalls "stark pathologisierend", die Gemeinschaft versuche, andere Begriffe zu finden, wie etwa "XY-Frau".
Der Begriff "Hermaphrodit", der aus der Antike stammt und seit der frühen Neuzeit in der Medizin für intergeschlechtliche Menschen verwendet wurde, wird hingegen nicht so kritisch gesehen. Er werde bisweilen auch zur Selbstbeschreibung verwendet, schreibt IVIM. Häufiger sei aber die Abkürzung "Herm".
Auch die deutsche Bundesärztekammer verwendete übrigens schon in einer Stellungnahme vor zwei Jahren auch den Ausdruck "Varianten der Geschlechtsentwicklung", statt von "Störungen" zu sprechen.
Nicht zu verwechseln mit Transsexualität
Intersexualität sollte jedoch nicht mit Transsexualität verwechselt werden. Auch Transsexualität (oder Transgeschlechtlichkeit) gilt mittlerweile nicht mehr als psychische Erkrankung.
Im Unterschied zu intergeschlechtlichen Menschen sind Transsexuelle genetisch und hormonell eindeutig männlich oder weiblich, fühlen sich "aber psychisch in jeder Hinsicht dem anderen Geschlecht zugehörig", wie es im "Pschyrembel" heisst.
Einer in 40.000 Männern fühlt sich als Frau, unter 100.000 Frauen fühlt sich etwa eine Person als Mann. Die Dunkelziffer ist laut Lexikon im zweiten Fall wahrscheinlich hoch.
Erste Anzeichen für Transsexualität gibt es häufig schon in früher Kindheit, in der Pubertät folge dann eine "massive Ablehnung der sich entwickelnden körperlichen Geschlechtsmerkmale", so der "Pschyrembel". Die Behandlung beginnt meist mit einer Psychotherapie, gegebenenfalls gefolgt von einer Hormonbehandlung und einer Operation.
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