Ist Dampfen die bessere Alternative zum Rauchen? Wolfram Windisch, Präsident der pneumologischen Fachgesellschaft, widerspricht entschieden. Im Interview warnt er vor den Risiken des Vape-Konsums für Kinder und Jugendliche. Besonders die Aromastoffe in den E-Zigaretten sieht der Mediziner kritisch – und er hat einen Rat für Raucher, die aufhören wollen.

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Herr Windisch, das erklärte Ziel von Tabakkonzernen wie Philip Morris und BAT ist eine "rauchfreie Zukunft". Wie glaubwürdig ist das?

Wolfram Windisch: Kein bisschen. Eine Industrie, die vom Verkauf von Zigaretten lebt, kann sich nicht selbst den Ast abschneiden, auf dem sie sitzt. Dass sie jetzt zunehmend E-Zigaretten anbietet, bedeutet ja nicht, dass weniger Menschen rauchen – im Gegenteil: Die Zahlen zeigen, dass die meisten Nutzer von E-Zigaretten zusätzlich rauchen. Das Schlimme ist, dass mit diesen rauchfreien Produkten der Mythos von einer weniger schädlichen Zigarette Einzug in die öffentliche Debatte erhalten hat.

Über den Gesprächspartner

  • Der Internist Wolfram Windisch ist Chefarzt an der Lungenklinik der Stadt Köln, Professor für Pneumologie an der Universität Witten/Herdecke und Vorstandsmitglied der Deutschen Atemwegsliga. Seit April 2023 fungiert der 55-Jährige zudem als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP).

Mythos? Verbraucherschützer halten Dampfen für weniger problematisch als Rauchen, weil der Verbrennungsvorgang wegfällt.

Da gehe ich nicht mit. Eine ausgeprägte Lobby hat dafür gesorgt, dass Politiker, Influencer und auch einzelne Ärzte und Wissenschaftler diese unsägliche Mär verbreiten. Die Rede ist dann zum Beispiel von 90 Prozent weniger Schadstoffen in den E-Zigaretten. Das mag ja theoretisch stimmen, bedeutet aber noch lange nicht, dass damit auch 90 Prozent weniger Schaden entsteht. Wenn Sie aus dem zehnten statt aus dem hundertsten Stock springen, ist das auch nicht weniger tödlich. Die Behauptung, dass E-Zigaretten besser sind, können wir wissenschaftlich nicht stehen lassen. Vieles wissen wir einfach noch nicht, weil Langzeitstudien fehlen. Das, was wir wissen, gibt Anlass zur Sorge. Insgesamt könnten E-Zigaretten sogar schlimmer als konventionelle Zigaretten sein.

Wie kommen Sie darauf?

Aktuelle Studien zeigen, dass E-Zigaretten viel toxischer sind als angenommen. Sie enthalten Nikotin, das süchtig macht und bei Kindern und Jugendlichen das Gehirnwachstum hemmt. Beim Erhitzen entstehen neue chemische Verbindungen, die ihrerseits schädlich sind, die Krebs und Entzündungen auslösen können. Und hinzu kommt etwas, das in herkömmlichen Zigaretten nicht enthalten ist: Aromastoffe.

"Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass 16.000 unterschiedliche Aromastoffe in E-Zigaretten stecken. Bei den meisten wissen wir noch gar nicht, wie giftig sie sind."

Wolfram Windisch

Dieselben Substanzen, die auch für zahlreiche Lebensmittel zugelassen sind?

Ja, allerdings müssen wir verstehen, dass etwas, das wir essen oder trinken, nicht dieselbe Wirkung im Körper hat, als wenn wir es inhalieren. Die Lunge reagiert ganz anders auf diese Stoffe. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass 16.000 unterschiedliche Aromastoffe in E-Zigaretten stecken. Bei den meisten wissen wir noch gar nicht, wie giftig sie sind. Es gibt also vielleicht E-Zigaretten, die weniger schädlich sind als herkömmliche Zigaretten – es gibt wahrscheinlich aber auch welche, die viel schädlicher sind. Wir erleben derzeit einen brandgefährlichen Feldversuch: Wir lassen Kinder Stoffe inhalieren, von denen wir überhaupt keine Ahnung haben, was sie im Körper anrichten. Ich halte das für absolut unethisch.

Unternehmen wie Philip Morris geben vor, mit ihren rauchfreien Produkten gar nicht auf neue Kunden zu zielen. Das Angebot richte sich an Raucher, die es nicht schaffen, mit den Zigaretten aufzuhören.

Ja, und die Sonne kreist um die Erde. Eine solche Behauptung ist abenteuerlich, völlig verrückt. Einmal-E-Zigaretten mit bunten Farben und Schoko-Kaugummi-Geschmack richten sich natürlich gezielt an Kinder und Jugendliche. Diese Aromastoffe sind dazu da, das Inhalieren zu erleichtern. Wenn Sie zum ersten Mal an einer klassischen Zigarette ziehen, dann schmeckt das bitter und eklig, wahrscheinlich müssen Sie husten. Der gesunde Menschenverstand sagt Ihnen dann: Lass das sein! Die Aromastoffe unterminieren den bitteren Geschmack und unterdrücken den Hustenreiz. Gerade Kindern geben sie das Gefühl: Das ist wie ein Kaugummi – was soll daran schlecht sein?

Wie gross schätzen Sie das Problem ein? Die fortlaufende Düsseldorfer Debra-Studie geht von kaum mehr als zwei Prozent E-Zigaretten-Nutzer ab 14 Jahren aus. Einer Untersuchung der Universität Kiel im Auftrag der Krankenkasse DAK zufolge dampften dagegen im Jahr 2023 bereits sieben Prozent der Schulkinder mindestens einmal im Monat.

Auch wenn es nur ein Prozent der Zehnjährigen wäre, das regelmässig Nikotin konsumiert: Es ist ein gesellschaftliches Drama. E-Zigaretten sind bei Kindern und Jugendlichen führend beim Nikotinkonsum. Wer mit Vapes anfängt, greift später mit höherer Wahrscheinlichkeit auch zu klassischen Zigaretten. Am Ende nutzen die Menschen dann beides, sie rauchen und dampfen– und selbst wenn sie dann weniger Zigaretten konsumieren als ein Kettenraucher, ist diese Kombination viel gefährlicher als das Rauchen allein. Wir haben es hier mit Schadstoffquellen zu tun, die sich potenzieren.

Wie lässt sich gegensteuern?

Wir brauchen ein Verbot von jeglichen Aromastoffen und von Einmal-E-Zigaretten. Das wäre schon aus ökologischen Gründen richtig, aber noch mehr, weil diese Wegwerfprodukte für Kinder besonders attraktiv sind. Zudem müssen wir die Gesetze endlich vollziehen, die es bereits gibt. Das fängt beim Jugendschutz an: Kinder dürfen E-Zigaretten gar nicht kaufen – sie bekommen sie aber an jeder Ecke. Untersuchungen zeigen ausserdem, dass in vielen Vapes Inhaltsstoffe falsch deklariert oder die zulässigen Höchstmengen für Nikotin überschritten sind. Die dürften gar nicht verkauft werden.

Was raten Sie einem Raucher, der von den Zigaretten wegkommen möchte? Den Griff zur E-Zigarette wohl kaum.

Das Wichtigste sind niedrigschwellige Beratungsangebote und ein gutes Aufklärungsgespräch mit dem Arzt. Dann braucht es eine Nikotinersatztherapie, je nach Patient mit Nikotinpflastern, nikotinhaltigen Sprays, Kaugummis oder Tabletten. Als sehr wirksam haben sich zudem eine Verhaltenstherapie und spezielle Medikamente für die Rauchentwöhnung erwiesen. Bisher ist das ein Luxus, der von den Kassen nicht bezahlt wird. Wir kämpfen mit der Fachgesellschaft dafür, dass sich dies ändert. Inzwischen gibt es auch gute Apps auf Rezept, die die Rauchentwöhnung unterstützen. Für all das gibt es Evidenz. Wir müssen aufhören, die E-Zigarette als besseres Mittel zu propagieren. Mit ihr kriegen wir das Rauchen nicht weg und die Raucherquote nicht runter.

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Auch das Rauchen im Freien ist gesundheitsschädigend und muss daher stark beschränkt werden. An einigen Raucherstellen übersteigen die Feinstaubwerte zulässige Höchstgrenzen um das Vielfache. Gerade, wenn sich viele Raucher in Raucherbereichen mit einer geringen Winddurchlässigkeit ansammeln, können gefährlich hohe Konzentrationen an gesundheitsschädigen Substanzen entstehen, auch für Passivraucher. Das Rauchen im Freien schafft zudem die Möglichkeit für Jugendliche, mit dem Rauchen anzufangen, es suggeriert eine fatale Normalität des Rauchens.

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