Der Grossteil der Schweizer ist zufrieden mit dem Gesundheitswesen und dem System der Krankenkassen. Das überrascht insofern, als die Bürger dafür tief in die eigene Tasche greifen müssen.
Bei internationalen Vergleichen des Gesundheitswesens zeigt sich regelmässig: Die Schweizer zahlen am meisten selbst. Durchschnittlich 800 Franken pro Monat geben sie für Gesundheit aus.
Gemäss der jüngsten Bevölkerungsbefragung sind Schweizer zufrieden mit dem Gesundheitswesen und wollen am bestehenden Krankenkassensystem nichts ändern.
Das erstaunt angesichts der hohen Kosten: Laut der Comparis-Prognose werden die Krankenkassenprämien auch nächstes Jahr um vier Prozent steigen. Und die Schweizer und Schweizerinnen müssen mit Franchise und Selbstbehalt eine Menge selber bezahlen. Knapp ein Drittel des Gesundheitswesens wird durch Selbstzahlungen finanziert, der Rest von Staat und Krankenkassen.
In der Grundversicherung der Krankenkasse ist vieles nicht gedeckt und die Liste wird immer länger. Wir haben eine (nicht abschliessende) Liste erstellt:
Brillen und Kontaktlinsen
Im Normalfall zahlen Schweizer und Schweizerinnen ihre Brillen und Kontaktlinsen selbst. Nur bei einer Erkrankung oder einem sehr starken Sehfehler bezahlt die Grundversicherung Beiträge an Brillen und Kontaktlinsen.
Für Kinder bis 18 Jahre bezahlt die Grundversicherung einen Beitrag von 180 Franken pro Jahr an ärztlich verordnete Brillen und Kontaktlinsen.
Ambulanzfahrten
In der Schweiz übernimmt die Grundversicherung bloss die Hälfte der Kosten einer Ambulanzfahrt und auch das nur bis zu 500 Franken pro Jahr. Eine Ambulanzfahrt kostet je nach Kanton zwischen 850 und 1.900 Franken. Die Folge: Viele Leute trauen sich nicht, ein zweites Mal innerhalb eines Jahres den Rettungsdienst zu alarmieren.
Zahngesundheit
Jetzt tut's richtig weh: Zahnarzt und Dentalhygiene müssen Sie in der Schweiz selbst bezahlen. Kosten für Zahnfüllungen (ca. 200 Franken), das Ziehen von Weisheitszähnen (ca. 500 bis 800 Franken pro Zahn), Wurzelbehandlungen (circa 500 bis 850 Franken), Amalgamsanierungen, Zahnersatz wie Brücken, Implantate (1.000 bis 10.000 Franken) oder künstliches Gebiss sowie Zahnstellungskorrekturen mit Zahnspangen (4.000 bis 12.000 Franken) – nichts von dem übernimmt die Grundversicherung.
Die Kosten können – wie die Beispiele zeigen – schnell einen vierstelligen Bereich erreichen.
Nur wenn eine schwere Erkrankung des Kausystems vorliegt oder eine schwere Allgemeinerkrankung wie Leukämie eine bestimmte Zahnbehandlung erfordert, übernimmt die Grundversicherung die Kosten.
Verhütungsmittel
Schlechte Nachrichten für Frauen: In der Schweiz müssen Sie die Pille oder andere Verhütungsmittel selbst bezahlen.
Sie müssen sich die Pille aber jährlich neu von einem Arzt verschreiben lassen (wegen den Kontrolluntersuchungen). Das geht zusätzlich ins Geld. Denn wenn zwei jährliche Kontrollen keinen auffälligen Befund gezeigt haben, bezahlt die Grundversicherung die gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen nur noch alle drei Jahre. Der Kontrollbesuch für die Verschreibung der Pille muss von den Frauen daher selbst bezahlt werden.
Panorama-Test
Mit einem einfachen Test des Blutes der Mutter (Panorama-Screeningtest) kann das ungeborene Kind auf Trisomien 21, 18, 13 sowie auf Triploidie und Geschlechtschromosomenanomalien untersucht werden.
Kinder mit Trisomie 18, 13 oder Triploidie sterben häufig schon im Mutterleib oder kurz nach der Geburt – manche Eltern bevorzugen daher eine Abtreibung.
Die Kosten für den Panorama-Test werden von der Krankenversicherung nur übernommen, wenn der Ersttrimestertest ein Risiko von 1:1000 oder mehr ergeben hat. Manche Eltern entscheiden sich auch bei geringerem Risiko für den Test und berappen die rund 800 bis 1000 Franken selbst.
Impfungen
Nicht alle Impfungen werden von der Grundversicherung übernommen. Typische Reiseimpfungen wie jene gegen Gelbfieber, Tollwut, Japanische Enzephalitis, Hepatitis A und B sowie Malariaprophylaxe müssen aus der eigenen Tasche bezahlt werden. Ebenso die Grippeimpfung, sofern die betroffene Person nicht zu einer Risikogruppe gehört.
Medikamente
Medikamente werden von der Grundversicherung nur übernommen, wenn sie auf der Spezialitätenliste stehen. Nach Auskunft des Bundesamts für Gesundheit sind von etwa 9.000 in der Schweiz zugelassenen Arzneimitteln lediglich circa 3.000 in der Spezialitätenliste aufgeführt.
Nicht auf der Liste sind beispielsweise Bepanthen, Neo Citran, Pretuval, Mebucaine, Algifor, Panadol, Antibabypillen oder Viagra.
Auch bestimmte Hilfsmittel, die nicht auf der Gegenständeliste sind, werden nicht übernommen. Zum Beispiel Blutdruckmessgeräte, Milbenschutzmatratzenhüllen, Schwangerschaftstests und vieles mehr.
Hörgeräte
Hörgeräte sind in der Schweiz nicht kassenpflichtig. Die Invalidenversicherung (IV) oder Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) übernehmen unter bestimmten Voraussetzungen einen kleinen Teil der Kosten. Viele Schweizer und Schweizerinnen bezahlen Tausende von Franken aus eigener Tasche.
Spitalaufenthalt
Bei einem Spitalaufenthalt müssen Patienten nebst Franchise (300-2500 Franken) und dem allgemeinen Selbstbehalt (10%) einen täglichen Beitrag (15 Franken) an die Kosten des Spitalaufenthalts zahlen – ohne Limite. Ein langer Spitalaufenthalt kann somit ins Geld gehen.
Dazu kommt: Je nach Konstellation bezüglich Spitalwahl und durchgeführter Behandlung fallen zusätzliche Mehrkosten an. Die Regeln sind derart kompliziert, dass wir sie hier nicht auflisten.
Die Krankenkasse übernimmt nur einen Teil der Pflegekosten nach einer Operation oder bei Krankheit. Der Patient muss einen betraglich begrenzten Teil der pflegerischen Leistungen (Spritzen verabreichen, Verband wechseln, Wunden reinigen usw.) selbst bezahlen, die verbleibenden ungedeckten Pflegekosten tragen Kantone und Gemeinden.
Pflegeheim
Die Kosten für den eigentlichen Aufenthalt in einem Pflegeheim (Kost und Logis) müssen die Patienten ganz selber berappen. Das sind schnell mehrere Tausend Franken pro Monat. Jahrelange Pflegeheimaufenthalte sind deshalb ruinös für Patienten.
Was in der Schweiz hingegen im Unterschied zu anderen Ländern von den Krankenkassen getragen wird, ist die Komplementärmedizin. Vielleicht ist das mit ein Grund für die Zufriedenheit der Schweizer mit ihrem Gesundheitssystem.
Die Bevölkerung sprach sich 2009 deutlich dafür aus, dass die Grundversicherung alternative Medizin weiterhin decken soll. © swissinfo.ch
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