Eine amerikanische Studie gibt Hinweise darauf, dass die Einnahme eines verbreiteten Schilddrüsen-Medikaments das Risiko für Knochenschwund erhöhe. Sind die Studienergebnisse für Betroffene Anlass zur Sorge? Ein Schilddrüsen-Experte ordnet die Studienergebnisse ein und warnt vor Panikmache. Einen wichtigen Hinweis hat er allerdings.

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Es sind Studienergebnisse, die bei vielen Patientinnen und Patienten für Unruhe sorgen: Einer jüngst auf dem amerikanischen Radiologenkongress vorgestellten Studie zufolge erhöht die Einnahme des Schilddrüsen-Medikaments L-Thyroxin bei älteren Menschen das Risiko für Knochenschwund.

L-Thyroxin ist eines der meistverordneten Medikamente in Deutschland. Laut Daten der "Schilddrüsen-Liga" leiden etwa 35 Millionen Deutsche an einer Erkrankung der Schilddrüse – bei vielen von ihnen ist L-Thyroxin, ein künstlich hergestelltes Schilddrüsenhormon, das Mittel der Wahl. "Der klassische Grund für die Gabe von L-Thyroxin ist eine Schilddrüsenunterfunktion", erklärt Hans Udo Zieren vom Deutschen Schilddrüsenzentrum.

Schilddrüse ist lebenswichtig

Patientinnen und Patienten müssen das Medikament täglich einnehmen, denn die Schilddrüse ist lebenswichtig. Sie reguliert den Stoffwechsel, das Wachstum und ist an zahlreichen Körperfunktionen beteiligt. Dazu gibt sie im Normalfall stetig Schilddrüsenhormone ins Blut ab. Leidet jemand an einer Unterfunktion der Schilddrüse, kann L-Thyroxin die fehlende körpereigene Produktion ausgleichen.

Schilddrüsenhormone regulieren viele körperliche, geistige und psychische Funktionen. "Vereinfacht ausgedrückt wirken Schilddrüsenhormone wie das Gaspedal des Körpers, sie stimulieren die Körperzellen zur Energiebildung. Wenn man viel hat, fährt der Körper übertourig, bei zu wenig untertourig", erklärt Zieren.

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Doch wie jedes Medikament habe auch L-Thyroxin Nachteile. Das verdeutlicht nun auch die amerikanische Vergleichsstudie, die den Knochenstoffwechsel bei über 65-jährigen Menschen (im Durchschnitt 73 Jahre) untersucht hat. Ein Teil der 81 Probanden nahm L-Thyroxin ein, ein anderer nicht. Die Patientinnen und Patienten wurden im Schnitt 6,3 Jahre lang beobachtet.

Das Ergebnis: Diejenigen, die L-Thyroxin einnahmen, verzeichneten einen stärkeren Verlust sowohl der gesamten Masse als auch der Dichte der Knochen. Durch den Knochenverlust steigt das Risiko für Knochenbrüche.

Experte: Kein Grund zur Panik

Grund zur Panik ist das aus Sicht von Zieren dennoch nicht. "Es ist immer eine Frage der Notwendigkeit und der Dosis und jeder Arzt muss bei der Verordnung eine Kosten-Nutzen-Abwägung vornehmen", so der Mediziner.

"Die Studie ist ein weiterer Hinweis für das, was man eigentlich schon länger weiss."

Hans Udo Zieren vom Deutschen Schilddrüsenzentrum

L-Thyroxin sollte nicht zu grosszügig und nicht unangebracht verordnet werden, sondern nur bei medizinisch gegebener Indikation, betont er. Diese Therapie müsse zudem laufend überwacht werden und nicht einfach immer weiter als Dauerrezept fortgesetzt werden.

Auf der Seite der "Gelben Liste" heisst es beispielsweise, die Menge des Schilddrüsenhormons (TSH) im Blut sollte bei Einnahme von L-Thyroxin mindestens jährlich überprüft werden, um eine Überdosierung zu vermeiden. Diese könnte zu Symptomen wie erhöhter Herzfrequenz, Durchfall, Zittern, Störungen des Calcium-Haushalts und Schwäche führen.

Was ist die Gelbe Liste?

  • Gelbe Liste Online bietet Nachrichten, weiterführende Informationen und Datenbanken für Ärzte, Apotheker und andere medizinische Fachkreise. Gelbe Liste Pharmindex ist ein Verzeichnis u.a. von Wirkstoffen, Medikamenten und Medizinprodukten. Hinter der Gelbe Liste steht das medizinische Kommunikationsunternehmen Vidal MMI Germany GmbH.

"Die Studie ist ein weiterer Hinweis für das, was man eigentlich schon länger weiss. Das ist nichts Neues", sagt Hans Udo Zieren. "Osteoporose betrifft generell eher ältere Menschen und wenn man älter wird, steigt auch das Risiko für eine Osteoporose", erklärt er. L-Thyroxin sei seit Jahrzehnten eins der am häufigsten verschriebenen Medikamente in Deutschland – und insgesamt würden die Nutzen die Risiken bei Weitem übersteigen.

Es gibt kaum Alternativen

Grundsätzlich gebe es bei Schilddrüsenunterfunktionen zwar alternative Präparate, diese seien aber auch nicht ohne Probleme. "L-Thyroxin ist das synthetisch hergestellte Schilddrüsenhormon mit vier Jodatomen, das gilt klassischerweise als erster Behandlungsschritt. Es gibt auch Schilddrüsenpräparate mit drei Jodatomen und auch sogenannte biologische oder bioidente Präparate", sagt Zieren.

Die letztgenannten Mittel sind Hormonextrakte, die aus tierischen Schilddrüsen, etwa vom Rind oder Schwein, gewonnen werden. Sie kämen in der Regel nur dann zum Einsatz, wenn die Patienten mit L-Thyroxin nicht gut zurechtkämen. In der Kritik stehen biologische Hormone aber unter anderem wegen mitunter schwankenden Konzentrationen der einzelnen Hormonanteile, fehlender Langzeitstudien und nicht zuletzt wegen der deutlich höheren Kosten.

Warnung des Experten

Zieren weist noch auf ein ganz anderes Problem hin: "Manche nehmen L-Thyroxin auch illegalerweise, zum Beispiel zum Abnehmen." Es sei auch sehr gesundheitsschädlich, mit dem Medikament zu "dopen", also die Leistungsfähigkeit des Körpers zu erhöhen. In den Dosen, in denen das Präparat beim Abnehmen oder beim Doping helfe, wirke es aber sehr nachteilig auf andere Körperfunktionen, wie etwa auf das Herz-Kreislaufsystem.

Insgesamt könne die Studie Anlass für behandelnde Medizinerinnen und Mediziner sein, noch einmal über Vor- und Nachteile bei jedem Patienten nachzudenken. "Es gibt Menschen, die keine oder keine ausreichend funktionstüchtige Schilddrüse mehr haben. Diese Menschen sind lebenslang auf L-Thyroxin angewiesen und können damit sehr alt werden." Gerade bei diesen Menschen gebe es bei fachgerechter Verordnung und Kontrolle keinen Anlass zur Panik.

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Hans Udo Zieren ist Ärztlicher Direktor des Deutschen Schilddrüsenzentrums und Chefarzt in der Klinik für Schilddrüsenchirurgie am Sana-Krankenhaus Hürth.

Verwendete Quellen

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