Eine Welt, in der Antibiotika nicht mehr wirken, mag man sich nicht vorstellen. Eine Lungenentzündung, Scharlach oder Kindbettfieber würden erneut zu lebensbedrohlichen Krankheiten werden. Doch die Gefahr, verursacht durch multiresistente Keime, ist real. Schon heute sterben weltweit jährlich Hunderttausende Menschen deswegen. Und die Lage spitzt sich dramatisch zu.
Das Wasser des Musi schäumt an einer Stelle unnatürlich weiss wie Badeschaum. Am Ufer tummeln sich streunende Hunde. Der Fluss durchfliesst die indische Grossstadt Hyderabad, die weltweit vor allem für eins bekannt ist: Sie ist die Hauptstadt der Massenproduktion von Medikamenten. Pharmahersteller aus der ganzen Welt lassen in Hyderabad produzieren.
Auch fast alle grossen deutschen Pharmakonzerne kaufen hier Antibiotika und Pilzmittel ein. In Deutschland selbst werden die Medikamente dann nur noch verpackt und kontrolliert. Das reicht aus, um auf die Verpackung einen deutschen Hersteller schreiben zu können.
"Unmengen von Bakterien mit Unmengen von Resistenzgenen"
Die Aufnahmen des schäumenden Flusses stammen aus der ARD-Dokumentation "Der unsichtbare Feind – Tödliche Supererreger aus Pharmafabriken", die am 8. Mai gezeigt wurde.
Im Musi fliessen kommunale Abwasser und Abwasser aus der Pharmaindustrie zusammen. Bauern bewässern damit ihre Felder. Wird so die gesamte Umgebung verseucht?
Um diese Frage klären zu können, entnahm das Team, dem auch Dr. Christoph Lübbert vom Universitätsklinikum Leipzig angehörte, hier und an weiteren Orten der unmittelbaren Umgebung Proben.
"Es ist verheerender, als angenommen", so Lübberts Fazit in der Dokumentation. In allen Proben befänden sich "Unmengen von Bakterien, die Unmengen von Resistenzgenen tragen und zwar der allerschlimmsten Sorte".
Diese seien bei allen Proben nachgewiesen worden: "Wir finden sie im Reisfeld, im Waschbecken eines Imbissstandes, auf der Herrentoilette des Stadtparks, im Stadtpark selbst, im Oberflächenwasser eines grossen Krankenhauses in Hyderabad und in extremster Form im Musi River."
Multiresistente Keime entstehen
Viele Pharmafabriken leiten ihre Abwässer in Flüsse und damit in die Umwelt. Da die Abwasserreinigung in Indien mangelhaft ist, mischen sich dort Antibiotikareste mit Keimen.
Die Bakterien in den Gewässern sind sehr anpassungsfähig und entwickeln innerhalb kürzester Zeit Abwehrmechanismen gegen Antibiotika. Sie werden resistent und vermehren sich rasend schnell - ein Brutbecken für Supererreger.
Über das Wasser oder die Nahrung gelangen die resistenten und übertragbaren Bakterien bei Mensch und Tier auf die Haut oder siedeln sich im Darm an. Erkrankt ein Mensch an diesen multiresistenten Keimen hat, so können gängige Antibiotika bei ihm nicht mehr richtig anschlagen.
Die post-antibiotische Ära droht
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) macht vehement auf die Gefahr von antimikrobiellen Medikamenten aufmerksam. Sie seien keine Bedrohung der Zukunft mehr, sondern bereits globale Realität.
Bei der Vorstellung des ersten WHO-Reports zur Resistenzproblematik 2014 warnte der stellvertretende Generaldirektor Keiji Fukuda vor dem bevorstehenden Beginn einer Post-Antibiotika-Ära.
Sie würde den Rückfall in eine Welt vor Alexander Flemings bahnbrechender Entdeckung bedeuten - der Bakteriologe hatte einen Nobelpreis für die Mitentdeckung von Antibiotika erhalten. Krankheiten, von denen man glaubte, man hätte sie inzwischen längst im Griff, könnten wieder zur tödlichen Gefahr werden.
Tragen die Pharmafirmen zur Entstehung der Supererreger bei?
Ein schlimmer Verdacht drängt sich auf: Tragen die Pharmafirmen, die lebenswichtige Medikamente herstellen sollen, zur Entstehung der todbringenden Supererreger bei?
Fakt ist: Aufgrund des enormen Preisdrucks bei der Produktion von Medikamenten findet diese heutzutage kaum mehr in Europa statt.
Etwa 90 Prozent der Grundstoffe für Antibiotika weltweit kommen aus China. Von dort werden sie beispielsweise nach Indien gebracht und unter mangelnden Sicherheitsstandards für den Weltmarkt weiterverarbeitet.
Die Keime breiten sich aus
"Wir holen uns das Problem, das wir exportiert haben, über den Import von resistenten Mikroorganismen durch Reisen, Flugverkehr von Waren und so weiter wieder zurück. Die kommen dann irgendwann bei den kranken Menschen im Krankenhaus an", so Christoph Lübbert in der ARD (Anzeige). Auch Zugvögel können die Bakterien weitertragen, heisst es in der Dokumentation.
Das Problem rückt nun stärker in den Fokus, bestehen wird es vorläufig weiterhin. Und während noch nach Lösungen gesucht wird, vermehren sich die Bakterien unerbittlich weiter.
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