- Scheinbar harmlose Einwirkungen auf den Kopf können Folgen haben, wie ein postkommotionelles Syndrom.
- Dennoch werden Kopfverletzungen oft unterschätzt, als banal abgetan.
- Erfahren Sie, worauf zu achten ist.
Was genau ist eine Gehirnerschütterung?
Es passiert im Alltag oder beim Sport: ein Stoss gegen den Kopf, der Schädel brummt. Allein in Deutschland erleiden 280.000 Menschen jährlich ein Schädel-Hirn-Trauma, 80 Prozent davon ein leichtes – eine sogenannte Gehirnerschütterung (commotio cerebi). In Österreich sind rund 64.000 Menschen pro Jahr betroffen, in der Schweiz mindestens 20.000 Personen pro Jahr.
Schädel-Hirn-Traumata werden nach der Glasgow-Coma-Skala (GCS) in verschiedene Schweregrade eingeordnet: das leichte, das mittelschwere und das schwere Schädel-Hirn-Trauma.
Bei einem Schädel-Hirn-Trauma handelt es sich um eine Verletzung des Kopfes und Hirn. Verursacht wird das durch eine schlagartige Gewalteinwirkung auf den Kopf wie ein Stoss, Schlag, Sturz oder Zusammenprall. Dabei wird das Gehirn erschüttert.
Was genau passiert, erklärt der Neurologe Gereon Nelles im Gespräch mit unserer Redaktion so: Das Gehirn ist von dem Gehirnwasser umgeben. Das Wasser federt in der Regel Stösse ab. Bei heftigen Stössen gegen den Kopf prallt es zunächst gegen den Schädelknochen, aus der Richtung, aus der die Einwirkung kam. Dann schwingt es zurück und stösst meist an der anderen Seite an. "Das Gehirn wird richtig geschüttelt", sagt Nelles. Das kann zu einer kurzen Bewusstlosigkeit, Verwirrtheit oder Kopfschmerzen führen.
Zu häufig noch wird eine Gehirnerschütterung allerdings "als eine zu leichte Verletzung eingeschätzt und in ihren Konsequenzen unterschätzt", warnt die "Ärzte-Zeitung". Man müsse davon ausgehen, dass etwa 40 bis 50 Prozent der Gehirnerschütterungen übersehen werden. Dementsprechend ist die Dunkelziffer hoch.
Welche Symptome treten bei einer Gehirnerschütterung auf?
Es kann vorkommen, dass sich Betroffene erbrechen und Schwindel haben. Manchmal kann die Erinnerung kurz getrübt sein (retrograde Amnesie). Die Symptome müssen allerdings nicht alle auftreten. "Leider denken immer noch viele, dass eine Gehirnerschütterung immer mit Bewusstlosigkeit und Erinnerungsstörungen einhergeht", meint auch der Arzt Axel Gänsslen, von "Schütz Deinen Kopf" – einer Initiative der Hannelore-Kohl-Stiftung.
Ihm zufolge werde nur jeder zehnte Betroffene ohnmächtig. Gedächtnislücken kämen nur bei jedem Vierten bis Fünften vor.
Was ist ein postkommotionelles Syndrom?
Die Symptome einer Gehirnerschütterung können unmittelbar oder etwas verzögert auftreten. Halten die Beschwerden länger an, kann Nelles zufolge ein sogenanntes postkommotionelles Syndrom vorliegen. Es sei nicht genau abzugrenzen, da unterschiedliche Symptome auftreten können. Dazu gehören diffuse Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Apathie, rasche Ermüdbarkeit und Reizbarkeit sowie vermehrtes Schwitzen. Betroffene bringen die Symptome allerdings nicht immer in Zusammenhang mit dem Stoss gegen den Kopf.
Das postkommotionelle Syndrom trete in der Regel ohne grosse Verzögerung nach der Verletzung auf. "Ein postkommotionelles Syndrom mit einer Latenz, also nach einem beschwerdefreien Intervall zwischen Trauma und Beschwerden, wäre sehr ungewöhnlich und gibt dann eher Anlass zur Frage, ob die Beschwerden nicht doch andere Ursachen haben", sagt Nelles.
Wie lange nach einer Gehirnerschütterung kann ein postkommotionelles Syndrom auftreten?
Nelles zufolge können die Symptome einer Gehirnerschütterung anhalten. "Die Beschwerden können mehrere Wochen andauern, manchmal auch ein paar Monate", sagt der Neurologe. "Das postkommotionelle Syndrom klingt langsam ab." Wie schnell, sei sehr individuell.
Wie wird ein postkommotionelles Syndrom behandelt?
"Das Syndrom selbst ist nicht therapiefähig. Man muss es aushalten", sagt Nelles. Allerdings könne man Kopfschmerzen medikamentös behandeln. "Schmerztabletten mit dem Wirkstoff Paracetamol können helfen", sagt Nelles.
Unabhängig von den Symptomen rät der Arzt, vor allem Stress zu meiden und sich eine geistige und körperliche Auszeit zu nehmen.
Viel Ruhe und eine ausgeglichene Lebensführung hält Nelles für wichtig, damit das Syndrom nach und nach verschwindet. Gut wäre es, wenn die Betroffenen wissen, welche Faktoren eher belasten. Das könne die Arbeit sein oder mit dem Auto im Berufsverkehr zu fahren.
Daten zeigen, dass die Kopfschmerzrate bei Betroffenen, die zu schnell wieder geistige Arbeit verrichten oder zum Sport zurückkehrten, noch drei Monate nach dem Ereignis 1,7fach höher war.
Möglich ist es, dass Symptome zunächst abklingen und nach wenigen Tagen wieder auftreten. Nelles zufolge ist das ein Zeichen dafür, dass der Betroffene sich körperlich oder auch seelisch zu sehr angestrengt hat und noch Zeit benötigt.
Geduld ist daher das A und O. Das müsse nicht automatisch bedeuten, die ganze Zeit das Bett zu hüten. Es reiche aus, sich etwas abzuschirmen und zu schonen. Hingegen kann "ein unangepasstes Verhalten zu einer erhöhten Reizbarkeit und schnellen Ermüdung führen", sagt Nelles.
Das Syndrom verschlimmern aber könne man nicht, "weil es auch nicht therapiefähig ist", sagt der Neurologe. Allerdings sei es wichtig, eventuell andere Verletzungen nicht zu übersehen.
Nach einem Schädel-Hirn-Trauma können Hirnblutungen entstehen. Besonders Menschen, die aufgrund eines Stosses an den Kopf bewusstlos wurden, empfiehlt Nelles sofort den Gang zum Arzt. Eine Computertomografie (CT) sei zwingend. "Wer sich an der Tür gestossen hat oder blöd gestürzt ist und eine Platzwunde hat, die mit etwas Schwindel und Kopfschmerzen einhergeht, muss nicht gleich zwingend ein CT machen", sagt der Experte.
Können die Symptome einer Gehirnerschütterung für immer bleiben?
Vor dem postkommotionellen Syndrom müsse niemand Angst haben. Nelles zufolge sind die meisten Betroffenen in wenigen Wochen beziehungsweise Monaten beschwerdefrei. "Es heilt vollständig ab und es hinterlässt keine bleibenden Symptome", sagt der Neurologe.
Muss man jeden Stoss gegen den Kopf ernst nehmen?
"Alle Stösse gegen den Kopf, die zu einer neurologischen Funktionsstörung wie ein gestörtes Bewusstsein, einer Bewusstseinstrübung oder auch einer Bewusstlosigkeit führen, sind ernst zu nehmen", sagt der Neurologe Nelles. Bei diesen Symptomen müsse man sofort handeln und den Notarzt rufen.
Es gebe auch Prellungen, die nicht besonders schmerzhaft seien, allerdings schlimme Folgen haben können wie venöse Hirnblutungen. Nelles zufolge seien schnelle Ermüdung und eine Verlangsamung Anzeichen dafür. Insbesondere Kopfschmerzen, die noch zwei Tage nach dem Stoss und darüber hinaus andauern, müsse man ernst nehmen. Verhaltens- oder Wesensänderungen seien ebenfalls alarmierend.
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