- Zwei Jahre Pandemie. Zahlen, so hoch wie nie. Was macht das mit unserer Psyche?
- Manche werden ängstlicher, andere gelassener - sehr viele erleben aber beides zugleich.
- Das liegt laut einer Psychologin an den widersprüchlichen Botschaften, die uns alle einstürmen.
Selten war die Lage der Corona-Pandemie für den einzelnen schwerer zu fassen. Auf der einen Seite sind da die immens hohen Infektionszahlen und die Warnungen, dass wichtige kritische Infrastruktur vor der Überlastung steht oder stehen könnte - Krankenhäuser, aber etwa auch Feuerwehr, Wasserversorger oder Verkehrsunternehmen.
Auf der anderen Seite ist oft davon zu lesen, dass Omikron sich zwar sehr schnell verbreitet, aber auch viel häufiger mild verläuft. Zudem machen Fachleute zarte Hoffnungen auf ein absehbares Pandemieende. Und als wäre es in dieser Gegensätzlichkeit - Omikron-Welle, Warnungen, milde Verläufe, Pandemie vielleicht bald vorbei - nicht schon schwer genug für den Einzelnen, alles für sich einzuordnen und daraus ein adäquates Verhalten abzuleiten.
Hinzu kommen noch die sich immer wieder ändernden Regeln: 2G, 3G, wie lang geht die Quarantäne, wann kann man sich mit welchem Test freitesten, gelte ich noch als genesen? Die Liste liesse sich verlängern.
Virologe sieht Müdigkeit auf zwei Ebenen
Den Durchblick zu behalten, fällt schwer. Und es macht viele müde nach zwei Jahren Pandemie. Das beobachtet auch der Virologe Ralf Bartenschlager: "Diese Müdigkeit besteht auf zwei Ebenen", sagt er. Das eine sei das stetige informiert bleiben über die Regeln. "Das andere ist der Wille, die Solidarität, um bei Massnahmen und Vorgaben mitzumachen", sagt der Präsident der Gesellschaft für Virologie.
Ein Einblick in die aktuellen Befindlichkeiten gibt eine Langzeitstudie, an der unter anderem die Uni Erfurt und das Robert Koch-Institut beteiligt sind. Der Name des Projekts lautet abgekürzt Cosmo. In dessen Rahmen werden seit März 2020 regelmässig rund 1.000 Erwachsene dazu befragt, wie sie die Pandemie wahrnehmen.
Bei der letzten Befragungsrunde am 11. und 12. Januar zeigte sich: Die Befragten nehmen zwar ein erhöhtes Infektionsrisiko wahr. Doch das "gefühlte Risiko" sei gesunken, der Schweregrad einer möglichen Infektion werde als geringer eingeschätzt als noch im Dezember oder in den vorhergegangen Corona-Wellen.
Weiter hiess es: Das Schutzverhalten sei "allenfalls stabil". Es liege unter dem Schutzverhalten in den letzten Corona-Wellen. Ausgenommen seien Masken, die dauerhaft viel getragen würden. Doch die Tendenz der Wahrnehmung scheint: Alles halb so schlimm, dann lasse ich es schleifen mit der Vorsicht.
Viel zu früh für Entwarnung
Nun ist es tatsächlich so, dass Omikron häufiger mild verläuft - gerade die Impfungen schützen gut vor schweren Verläufen, wie die Daten zeigen. Doch für eine Entwarnung ist es viel zu früh, mahnen Wissenschaft und Medizin.
So sollte man Omikron nicht völlig unterschätzen. "Manch einer denkt, das ist doch nur ein Schnupfen", sagt Bartenschlager zu der Virusvariante. Doch auch wenn im Vergleich weniger Menschen im Krankenhaus landen als bei bisherigen Varianten: Die hohen Infektionszahlen wiegen das auf. So könnte es dennoch zu einer Überlastung der Kliniken kommen, die Versorgung könnte leiden. Davor hatte kürzlich etwa die Ärzteorganisation Marburger Bund gewarnt.
Gerade ältere Menschen ohne Impfschutz - Schätzungen gehen bei der Gruppe der über 60-Jährigen noch von über drei Millionen aus - sind weiterhin gefährdet für schwere Verläufe. "Aktuell ballen sich die Infektionen bei den Jüngeren, aber die tragen es wieder zu den Älteren", sagt Virologe Bartenschlager. Dazu kommt: Das Risiko von Langzeitfolgen - Long COVID - auch bei milden Verläufen lässt sich für Omikron noch nicht beziffern. Auch das ist ein Faktor.
Zusammengefasst bleibt es dabei: "Es gilt weiter, sich und andere zu schützen", sagt Bartenschlager.
Widersprüchliche Botschaften - Konflikte im Kopf
Die Lage, sie ist also noch immer alles andere als entspannt. Doch da ist ein diffuses Gefühl der Ungewissheit, das bei manchen in Gleichgültigkeit mündet. Dafür sorgen massgeblich auch bestimmte Wörter, sagt die Psychologin Cornelia Herbert von der Universität Ulm. So wird oft von der Omikron-Wand gesprochen, statt von der Welle. Eine Wand kommt auf uns zu. Auf der anderen Seite liest man milde Verläufe und denkt: Wird schon halb so wild sein.
"Das sind Botschaften, die lösen Emotionen aus", sagt Herbert. Auf der einen Seite verarbeiten wir: Alarmstufe Rot. Auf der anderen Seite: Mir passiert schon nichts. Das sorgt für Konflikte im Kopf, die man für sich auflösen muss. Das kann schwierig sein. Der Rat der Expertin: Man muss sich klarmachen, was hinter den Wörtern steckt.
Der "milde Verlauf" etwa. Ein milder Verlauf kann eben auch drei Tage Fieber und Schüttelfrost bedeuten, sagt Ralf Bartenschlager. Und gerade bei Ungeimpften bestehe da noch das nicht genau zu beziffernde Long-COVID-Risiko, während etwa neue Studien aus Israel andeuteten, dass Zweifach-Geimpfte wahrscheinlich kein Long COVID mehr hätten.
"Long COVID kann heissen, dass man vielleicht Monate dauerhaft müde ist, bei kleinster Anstrengung Schnappatmung bekommt, nicht mehr richtig konzentriert sein kann, Probleme mit dem Herzen bekommt", zählt Bartenschlager auf.
Problem: Regeln werden nicht gut erklärt
Doch es ist nicht nur die grassierende Virusvariante Omikron, die uns eine klare Einschätzung schwer macht. Es sind auch die Regeln und Vorgaben, die sich oft ändern und je nach Bundesland auch noch unterschiedlich sein können. Und die nicht immer gut genug erklärt werden, sodass jeder versteht, was nun gilt.
Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit war die Verkürzung des Genesenen-Status von sechs auf drei Monate. Viele wurden davon kalt erwischt. Die Kulturjournalistin Samira El Quassil kritisierte in einem Text auf "Spiegel.de" die "nuschelige Vermittlung und die mangelnde Transparenzmachung" bei dieser Regeländerung.
Der Informationsauftrag sei simpel, schreibt El Quassil, "es müssen insbesondere die beiden folgenden Fragen beantwortet werden, immer und immer wieder: Was passiert gerade - und warum?" Während das freilich vor allem die Aufgabe von Politik, Experten und Medien ist, bleibt die Frage für jeden einzelnen: Wie behält man für sich einen guten Überblick?
Zurücktreten, bei seriösen Quellen informieren, in Ruhe bewerten
Wenn wir neue Nachrichten lesen, im Radio hören oder im Fernsehen sehen, bewerten wir sie automatisch: Betrifft es mich, ist dies eine Bedrohung für mich? Dabei sollte man "einen Schritt zurückgehen und objektivieren, was das genau für einen persönlich bedeutet und was man tun könnte, ohne vorschnell emotional zu reagieren", sagt Psychologin Herbert. "Das hilft, um den Überblick zu bewahren."
Sie rät, sich zwei, drei verlässliche Informationsquellen zu suchen, an denen man sich orientiert. "Es ist auch wichtig, dass man weiss, wo man sich informieren kann", betont sie. Permanent durch Facebook oder Twitter zu scrollen, trägt eher nicht zu einer gelassenen Informiertheit bei. Wer sich von allen Seiten, auch aus seinem persönlichen Umfeld, mit Info-Häppchen zuschütten lässt, verliert fast zwangsläufig die Orientierung.
Zwei Beispiele für Adressen im Internet, die unaufgeregte und verlässliche Informationen bieten:
- die vom Bundesamt für Gesundheit BAG betriebene Übersichtsseite zum Coronavirus (meist leicht verständlich zu lesen)
- die Website des Robert Koch-Instituts (für Laien nicht immer leicht verständlich).
Gut sei es ausserdem, eine Vertrauensperson zu haben, die einen bei offenen Fragen aufklärt, sagt Herbert. Die Hausärztin oder der Hausarzt wären hier naheliegend.
Pandemie-Marathon zehrt an uns
Zwei Jahre dauert die Pandemie schon an. Anfangs gab es die diffuse Bedrohung durch dieses mysteriöse Virus, dann sahen wir die Bilder aus Bergamo, wo die Militärlaster die Särge abtransportieren mussten. "Das Bedrohliche hat geeint", sagt Psychologin Herbert. "Die Situation war im Frühjahr 2020 komplett neu, die Informationen waren noch nicht mit Meinung versehen, ob es gut oder schlecht ist, sondern mit der Frage: Wie können wir uns schützen und wann können wir zur Normalität zurück?"
Was damals auch einte: Die Hoffnung, nach einigen harten Monaten spätestens im Sommer die Pandemie hinter sich zu lassen. Wer weiss, wie die Akzeptanz für die Massnahmen ausgefallen wäre, wenn damals schon klar gewesen wäre, was da für ein Marathon bevorsteht. Nach zwei Jahren Pandemie sind aber viele müde und mürbe. Wir kennen das Virus so gut, wie wir noch nie ein Virus kannten. Doch je kleinteiliger die Erkenntnisse werden, desto schwerer ist es, ihnen zu folgen und sie zu verstehen - das gilt manchmal auch für die Regeln rund um Corona, die daraus abgeleitet werden.
Virologe: Was kann jeder Einzelne beitragen?
Darum ist es so unbedingt ratsam, dass man eine Art Informationshygiene pflegen sollte. Verlässliche Quellen statt Dauerberieselung also, und stets verbunden mit klaren Fragen: Was bedeutet eine neue Information für mich und mein Verhalten? Und was kann ich dazu beitragen, dass ich und alle um mich herum weiterhin gut und gesund durch die Pandemie kommen?
Mit dieser Einstellung bleibe zu hoffen, dass wir die Welle dieses Winters gut überstehen, meint Virologe Bartenschlager. "Danach haben wir hoffentlich ein Niveau an Immunität in der Bevölkerung erreicht, das es uns erlaubt, langsam wieder in die Normalität zurückzukehren und entspannter in den nächsten Winter blicken zu können." (dpa/af)
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