- Die Körpergrösse ist genetisch bedingt, doch auch die Ernährung scheint eine Rolle zu spielen
- Über die letzten 150 Jahre wurden die Menschen immer grösser
- Wissenschaftler sehen in viel Milch- und Molkeprodukten während der Schwangerschaft eine mögliche Ursache für die Aktivierung eines Wachstumshormones
- Grosse Menschen haben ein niedrigeres Risiko für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, jedoch steigt die Gefahr des schnellen Wachstumes bei einigen Krebsarten
Seit Jahrzehnten beobachten Wissenschaftler, dass die Menschen immer grösser werden. Dabei haben Aufzeichnungen von 1856 bis 1995 gezeigt, dass die Körpergrösse in den Niederlanden besonders zunahm. Lag dort die durchschnittliche Körpergrösse von Männern zu Beginn der Aufzeichnungen bei rund 1,67 Meter, so waren es 1995 in etwa 1,83 Meter. Doch auch in Deutschland, Dänemark, Amerika und China nahm die Körperhöhe stark zu. War ein deutscher Mann 1956 noch ca. 1,67 gross, so mass er 1995 im Durchschnitt 1,79 Meter. Laut dem Statistischen Bundesamt war er 2017 noch grösser, nämlich 1,81 Meter.
Viele Kalorien und tierisches Eiweiss könnten Wachstumshormon aktivieren
Die Körpergrösse ist weitestgehend genetisch festgelegt. Dennoch beobachten Wissenschaftler weltweit eine Zunahme: Die Kinder werden fast immer grösser als ihre Eltern. Es muss also weitere Faktoren für die stetige steigende Körpergrösse geben. Interessanterweise ist in den Niederlanden der Pro-Kopf-Konsum an Milch- und Milchprodukten weltweit am höchsten, wie Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung feststellten. Sie gehen davon aus, dass eine zunehmende Körpergrösse in Zusammenhang mit einem Überangebot an hochkalorischer Nahrung steht, die reich an tierischem Eiweiss ist. "Was diese Körpergrössen-Zunahme mitbedingt, sind Milch- und Molkeprodukten. Sie aktivieren im Mutterleib beim Fötus das Wachstumshormon IGF-1, das das Körperwachstum stimuliert und so dazu führt, dass die Menschen grösser werden" sagt Prof. Dr. Norbert Stefan, der die Publikation mitverfasst hat.
Grosse Menschen erleiden seltener Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Die Untersuchungen des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung in Zusammenarbeit mit der Harvard School of Public Health zeigten zudem, dass das Wachstumshormon IGF-1 Fett, das in den Muskeln in der Leber angesammelt wird, reduziert. "Die Daten ergaben, dass grosse Menschen insulinempfindlicher sind und einen geringeren Fettgehalt in der Leber haben. Das könnte ihr niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes-Typ-2 miterklären", so Stefan. "Das ist im Grunde genommen ein positiver Effekt. Die gesamte Energie geht ins Wachstum. Somit ist das Risiko für Diabetes-Typ-2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei grossen Menschen geringer." Seine Untersuchung zeigte, dass die Körpergrösse einen wichtigen Einfluss auf die Sterblichkeitsrate dieser Volkskrankheiten hat. So zeigten epidemiologische Daten, dass pro 6,5 cm Körpergrösse das Risiko, an einem Herzleiden zu sterben, um sechs Prozent sank. Somit ist auch das Herzleiden als Todesursache von Igor Vovkovinskiy nicht zwingend mit seiner Körpergrösse in Verbindung zu bringen.
Gefahr von schnellerem Krebswachstum
Allerdings gibt es auch einen negativen Effekt: "Werden das Hormon IGF-1 und -2, sowie Insulin und die verzweigtkettigen Aminosäuren BCAA im Mutterleib verstärkt aktiviert, führt das dazu, dass das Wachstumshormon IGF-1 lebenslang aktiviert bleibt", weiss Stefan. Das hat in der Folge einen Nachteil: Entstehen im Körper Krebszellen, so wird auch ihr Wachstum durch IGF 1 und -2, aber auch durch Insulin und BCAA gefördert. Besonders schwarzer Hautkrebs, Brustkrebs und Darmkrebs sind mit starkem Körperwachstum assoziiert. Studien zeigten, dass die durch Krebs bedingte Sterblichkeit bei grossen Menschen um vier Prozent steigt.
Der Experte rät deshalb von einer starken Milch- und Molkezufuhr sowie einer zuckerhaltigen Überernährung während der Schwangerschaft ab. "Viele Fachgesellschaften empfehlen in der Schwangerschaft einen vermehrten Milchkonsum, da auf diese Weise Calcium aufgenommen wird. Das kann man aber auch über viel Gemüse zu sich nehmen", so Stefan. Der Mineralstoff findet sich zum Beispiel in Grünkohl, Brokkoli und Fenchel. Zudem kann man zu calciumhaltigem Mineralwasser greifen.
Ärzte sollten Körpergrösse verstärkt berücksichtigen
Zudem empfehlen er und seine Kollegen aus der Studie, den Faktor Grössenwachstum und Körpergrösse künftig mehr als bislang bei der Prävention der genannten Volkskrankheiten zu berücksichtigen. Ärzte sollten dafür sensibilisiert werden, dass grosse Menschen ein erhöhtes Risiko für Krebs haben.
Im Gegensatz zu übergewichtigen Menschen sind das Herz und die Gelenke durch eine grosse Körpergrösse keinen stärkeren Belastungen ausgesetzt. Der gesamte Körper samt Organen ist aufeinander ausgerichtet. Er muss also nicht wie bei einem zu hohen Body-Mass-Index eine Masse tragen oder mit Blut und Sauerstoff versorgen, die ihn eigentlich überlastet.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Prof. Dr. Norbert Stefan, Leiter des Bereichs experimentelle Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen
- Statistisches Bundesamt: Körpermasse nach Altersgruppen: Männer
- Deutsches Zentrum für Diabetesforschung: Körpergrösse beeinflusst Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs
- Lancet Diabetes Endocrinol 2016, 4: Divergent associations of height with cardiometabolic disease and cancer: epidemiology, pathophysiolgy and global implications
- The Lancet, 2020, 395: Double Burden of malnutrition aetiological pathways and cosequences for health
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