In Zeiten von Coronavirus und Homeoffice leiden noch mehr Menschen als sonst an Rückenschmerzen, Haltungsproblemen und Verspannungen. Um das Minus an Bewegung zu kompensieren und die Haltung zu verbessern, greifen viele zu sogenannten Haltungstrainern. Doch was taugen die Geräte? Wir haben mit einem Orthopäden gesprochen.
Haltungstrainer zielen darauf ab, den Träger für seine Haltung an Brust- und Nackenmuskulatur zu sensibilisieren. Bei Menschen, die viel im Büro arbeiten, kommt es häufig dort, aber auch im Bereich der Lendenwirbel zu Beschwerden.
Haltungstrainer mit Rucksacksystem oder Biofeedback
Generell gibt es zwei Arten von Rückenstützen. Zum einen solche, die einen Zugapparat nach dem Prinzip eines Rucksacks bilden. Sie sind meist elastisch und sollen die Schultern nach hinten ziehen. Beugt man sich während des Tragens zu weit nach vorne, spannt der Gurt. Durch diese Reaktion richtet sich der Träger wieder auf und kehrt in die ergonomisch vorteilhaftere Position zurück.
Andere Haltungstrainer werden als Band um den Oberkörper geschnallt. Sie geben anhand von Vibration oder einem akustischen Signal ein Biofeedback zur Körperhaltung und regen so eine Verbesserung dieser an. Zu Beginn sollte man beide Arten der Rückenhalter nur wenige Stunden tragen, um die Muskulatur nicht zu überanstrengen. Danach sollten Ruhephasen ohne Gurt stattfinden.
Nutzen bislang nicht geklärt
Ob das Verwenden der Rückenstützen langfristig die Körperhaltung verbessern kann, ist bislang nicht geklärt. "Darüber, was solche Haltungstrainer bewirken, gibt es kaum wissenschaftliche Daten", sagt Uwe de Jager, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Es fehle an entsprechenden Studien mit rückengesunden oder rückenkranken Patienten. Lediglich eine Dissertation aus Tübingen von 2008 weise darauf hin, dass das Tragen von Haltungstrainern eine positive Wirkung haben könnte. Ihr zufolge seien Geräte mit Biofeedback die etwas bessere Variante, so de Jager.
Rückbildung statt Stärkung der Muskulatur?
Ein positives Gefühl beim rucksackartigen Haltungstrainer sei verständlich, findet der Experte vom Berufsverband der Orthopäden und Unfallchirurgen. "Manche profitieren davon. Das kennt man auch vom Wandern. Einige sagen 'mit Rucksack laufe ich lieber, weil ich dann aufrechter gehe'." Genau diesen Effekt hätten die Haltungsbandagen
"Meist bleibt die Wirkung jedoch nur kurzfristig. Es wird keine dauerhafte Veränderung der Körperhaltung erlernt und in die täglichen physiologischen Muster übernommen", so der Experte.
Wichtig ist es, bei dem Haltungsgurt darauf zu achten, dass die Bänder elastisch sind. Bei den Rucksack-Systemen besteht sonst eine Gefahr darin, dass die Gurte zu starr sind. Dann könnte es im schlimmsten Fall, so de Jager, zu einem entgegengesetzten Effekt und einer Rückbildung der Muskulatur im oberen Rücken kommen. "Es wird beim Tragen des Gurtes zwar mechanisch eine Position eingenommen, allerdings ohne, dass die Muskeln trainiert werden" sagt der Orthopäde. Die Haltung sehe dann während des Tragens zwar gut aus, allerdings werde sie nur durch den Gurt, nicht aber über die Muskulatur gestützt. Eine dauerhafte Haltungsveränderung bleibt dann aus.
Tipps für eine starke Muskulatur ohne Haltungstrainer
Unbedingt haben muss man einen solchen Haltungstrainer nicht. "Insgesamt ist das Training der Muskulatur entscheidend", sagt de Jager, der auch Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin ist. Dieses kann man auch ohne Haltungstrainer effektiv gestalten und im Büro umsetzen. "Das dynamische, aktive Sitzen ist besonders wichtig", so der Experte. Eine zu starre Position am Schreibtisch sollte immer wieder aufgelöst und die Muskulatur aktiviert werden. Dies geschieht besonders gut beim Sitzen auf einer instabilen Sitzfläche, zum Beispiel auf einem grossen Gymnastikball oder auch entsprechenden Bürostühlen. "Dadurch wird die untere Rückenmuskulatur gut trainiert", so de Jager.
Zudem sollte die Brust- und Nackenmuskulatur berücksichtigt werden. "Es ist wichtig, die starre Haltung vor dem PC immer wieder aufzulösen", sagt der Experte. Ausgleichsübungen sind dazu hilfreich. Deshalb sollte man am Schreibtisch den Kopf zwischendurch nach rechts, links und leicht gedreht nach vorne dehnen.
Brustmuskulatur verkürzt sich bei Tätigkeiten am PC
Häufig wird bei solchen Ausgleichsübungen auch der Brustmuskel vergessen, sagt de Jager. Bei ihm handelt es sich um einen grossen Muskel und den Gegenspieler der Rückenmuskulatur. Bei Tätigkeiten am PC seien die Arme nach vorne gerichtet, wodurch die Brustmuskulatur verkürze. "Wenn man diese dehnt, zum Beispiel indem man beide Arme nach hinten zieht, hat man schon viel gewonnen", so der Orthopäde.
Zudem empfiehlt er Kräftigungsübungen. Zum Beispiel sanft gegen die Stirn, die Schläfe, den Hinterkopf drücken und für zehn bis 15 Sekunden gegenhalten. Hilfreich sei es zudem, zwischendurch immer wieder die Schulterblätter zusammenziehen. Das trainiert die Haltemuskulatur im Brust- und Nackenbereich.
Verwendete Quelle:
- Gespräch mit Dr. Uwe de Jager, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, stellvertretender Landesvorsitzender Berufsverbandes der Orthopäden und Unfallchirurgen Baden
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