• Politiker und Manager rühmen sich oft, mit wenig Schlaf auszukommen.
  • Zu wenig Schlaf schadet allerdings der Gesundheit.
  • Doch wie viel Schlaf ist nötig? Und wie kann man besser einschlafen?

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Berlin, Kiew, Moskau, Washington, Minsk - fünf Kurzstopps innerhalb von sieben Tagen. Im Jahr 2015 absolvierte Angela Merkel dieses selbst für sie beachtliche Pensum, um eine Waffenruhe im Ukraine-Konflikt auszuhandeln - das Ganze mit wenig Schlaf und wahrscheinlich mit Jetlag. Aber so kennt man die Kanzlerin. Nach langen Verhandlungsnächten in Brüssel oder Berlin wirkt sie verglichen mit anderen Regierungschefs am Morgen danach noch mit am muntersten, wenn sie die Ergebnisse des Gipfels erklärt - manchmal mehr, manchmal weniger konkret.

Wenigschläfer häufig in der höheren Chefetage

Angela Merkels ehemaliger sicherheitspolitischer Berater Christoph Heusgen soll über die Kanzlerin einmal gesagt haben, dass er noch nie in seinem Leben einen Menschen kennengelernt habe, der mit so wenig Schlaf auskommt. Merkel selbst sagt über sich, dass sie Fähigkeiten wie ein Kamel habe. Sie könne über fünf oder sechs Tage lang mit sehr wenig Schlaf auskommen. Danach brauche sie aber wieder einen Tag, an dem sie lange ausschlafen müsse.

Wenigschläfer sind häufig in der Spitzenpolitik und in Chefetagen zu finden. Die ehemalige britische Regierungschefin Maggie Thatcher soll nie mehr als vier Stunden geschlafen haben. Auch dem ehemaligen Chef der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, sollen vier Stunden Schlaf gereicht haben. Und dem französischen Feldherren Napoleon Bonaparte wird dieser Satz zugerechnet: "Vier Stunden schläft der Mann, fünf Stunden die Frau, sechs ein Idiot."

Nebenwirkungen von Schlafmangel

Wenig Schlaf, dafür mehr Zeit, um etwas zu schaffen - das klingt zunächst verlockend, kann sich aber nachteilig auf die Arbeit auswirken: Denn bei müden Menschen verschlechtert sich offenbar die Fähigkeit, komplexe Entscheidungen zu treffen. Die US-amerikanische Schlafforscherin Vicki Culpin hat dafür das Schlafverhalten von 1.000 Beschäftigten untersucht und herausgefunden, dass Menschen mit einem Schlafdefizit Informationen unvollständig und langsamer aufnehmen.

Sie treffen somit riskantere Entscheidungen als im ausgeschlafenen Zustand. Ausserdem verlieren moralische Überzeugungen bei Müdigkeit an Bedeutung. Aber lässt sich das Gehirn an eine kürzere Schlafzeit gewöhnen? Verena van Ginneken ist da skeptisch. Die Neurologin am Kompetenzzentrum für Schlafmedizin der Charité sagt zwar, dass man sich nach mehreren Nächten mit zu wenig Schlaf nicht unbedingt gleich übermüdet fühle. "Möglicherweise setzt auch ein Gewöhnungseffekt ein", sagt die Berliner Ärztin.

Trotzdem kann sich die Leistungsfähigkeit im beruflichen Alltag verschlechtern. "In Experimenten konnte gezeigt werden, dass sich durch längeren Schlafmangel die Dauer der Aufmerksamkeit verkürzt, die Reaktionszeit verlängert und es häufiger zu Fehlern kommt." So hätten Menschen nach 24 Stunden Schlafentzug messbar verlängerte Reaktionszeiten zum Beispiel im Fahrsimulator, vergleichbar in etwa mit Menschen mit einem Alkoholwert von etwa einem Promille, sagt Neurologin van Ginneken.

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Schlafbedarf bei jedem Menschen unterschiedlich

Ihr zufolge ist der Schlafbedarf eines Menschen grösstenteils genetisch festgelegt. "Es gibt Extremtypen, die brauchen wirklich nur vier bis fünf Stunden Schlaf und es gibt andererseits Menschen, die müssen neun bis zehn Stunden schlafen", erklärt sie. Ohne Termine oder Weckerklingeln am Morgen würden Erwachsene im Durchschnitt sieben bis acht Stunden schlafen, Kinder mehr, Senioren etwas weniger.

Wie viel Schlafbedürfnis man wirklich hat, kann jeder selbst herausfinden. "Den tatsächlichen Schlafbedarf können Sie zum Beispiel im Urlaub testen. Wenn Sie keinen beruflichen und weniger familiären Verpflichtungen ausgesetzt sind, setzt der natürliche Schlafrhythmus ein", erklärt van Ginneken. Die meisten Menschen schlafen dann länger als sonst.

Welche Berufsgruppen wenig schlafen

Bei der Länge des tatsächlichen Nachtschlafes gibt es Unterschiede zwischen den Berufsgruppen. Laut einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schlafen Mitarbeiter in Sicherheitsfirmen (6,27 Stunden) und Bäcker (6,41) am kürzesten. Gleich danach kommen Angestellte in Post- und Zustelldiensten, wo es häufig Schichtarbeit gibt, sowie IT-Administratoren und Führungskräfte in der Gastronomie.

Am meisten Schlaf bekommen laut dieser Studie Kleidungs- und Schuhverkäufer mit 7,24 Stunden Schlaf pro Nacht, gefolgt von Hochschullehrern und -forschern mit (7,21) und Zahnmedizinischen Fachangestellten (7,16). Auch Journalisten, Künstler und Grundschullehrer schlafen im Durchschnitt etwas länger.

Das heisst für Schlafbedürftige: Augen auf bei der Berufswahl - auch dahingehend, um wie viel Uhr der Arbeitstag im jeweiligen Job startet. Denn es gibt auch Unterschiede, in welcher Zeitphase des Tages jemand am besten schläft. Ist man Frühaufsteher und eher am Morgen produktiv oder eher am Abend? Dabei ist oft die Rede von den beiden Chronotypen der Lerchen (Frühaufsteher) und der Eulen (Langschäfer). Im Internet gibt es dazu Programme, die einem nach ein paar Eingaben anzeigen sollen, welcher Chronotyp man ist.

Forderung nach späterem Arbeits- und Schulbeginn

Aufgrund der unterschiedlichen Schlafausrichtung von Lerchen und Eulen plädiert Psychologie-Professorin Andrea Kübler von der Universität Würzburg für flexible Arbeitszeiten in Unternehmen. Das führe zu einer besseren Schlafqualität und damit auch zu einer höheren Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz. Auch die Anfangszeiten in den Schulen sollten etwas nach hinten verschoben werden.

Zwar gebe es keine Erkenntnisse, dass junge Menschen generell eher zu den Eulen zählen und damit früh weniger leistungsfähig seien. Allerdings kommt es bei Jugendlichen während der Pubertät zu einer Verschiebung mit stärkerer Aktivität am Abend und einem Leistungsmangel am Morgen, erklärt Andrea Kübler.

Die Deutschen schlafen immer schlechter

Wenig schlafen ist das eine, schlecht schlafen ist ein mindestens ebenso häufig auftretendes Problem. Laut einer Studie der DAK leiden 80 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland unter Schlafstörungen. Eine weitere Untersuchung der DAK zeigt Schlafprobleme bereits bei Schülern. Die Gründe für schlechten Schlaf sind beispielsweise steigende psychische Belastungen im Job, wechselnde Arbeitszeiten durch Schichtdienste, aber auch lange Bildschirmzeiten.

Gerade Stress hat eine Wirkung auf die Schlafqualität. ‘‘Stress erhöht die Ausschüttung von Cortisol, einem der Gegenspieler zum Schlafhormon Melatonin, was dazu führt, dass der Körper in Alarmbereitschaft versetzt wird. Dies kann vor allem bei chronischem Stress, zum Beispiel bei andauernden privaten oder beruflichen Problemen, zu quälenden Ein- und Durchschlafstörungen und unerholsamen Nachtschlaf führen", erklärt Verena van Ginneken.

Andrea Kübler sagt, dass dem Schlaf in der heutigen Zeit immer weniger Berechtigung gegeben werde. "Die Menschen wollen leistungsfähig sein, oft über ihre Fähigkeiten hinaus. Sie wollen ständig was erleben, um sich gut zu fühlen. Sie wollen um die Welt jetten und haben Angst, etwas zu verpassen. In dieses Weltbild passt Schlaf einfach nicht rein", sagt sie.

Tipps für einen guten Schlaf

Lang andauernde Schlafprobleme können zu Überreizung und Depressionen führen. Schlafmangel hat aber nicht nur Auswirkungen auf das Gehirn, sondern auch auf andere Organe des Körpers, betont Neurologin van Ginneken. So erhöht chronischer Schlafmangel langfristig das Risiko an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infekten, Diabetes, Krebs und Osteoporose zu erkranken.

Um besser schlafen zu können, empfiehlt Psychologin Andrea Kübler, das Zu-Bett-Gehen vorzubereiten. Das heisst einerseits kein spätes Abendbrot und keine Bildschirmarbeit mehr vor dem Schlafengehen. Andererseits ist es sinnvoll, klare Marker zu setzen. "Das heisst, nochmal zu Duschen oder zum Schlafen in ein Zimmer zu gehen, das möglichst nur zum Schlafen genutzt wird oder eben das Bett für den Schlaf vorzubereiten", sagt die Professorin. Und ganz wichtig: "Handy aus und möglichst weit weg legen. Soziale Medien und Netflix gehören nicht ins Bett."

Für Menschen, die lange über Probleme grübeln und deshalb nicht schlafen können, hat sie auch einen Tipp: "Versuchen sie die Probleme tagsüber zu lösen. Wenn das nicht möglich ist, nehmen sie ein Kästchen und stellen sie sich vor, dass sie ihre Probleme vorübergehend dort ablegen."

Regelmässiger Tages- und Nachtrhythmus wichtig

Auch Sport am Tag hat eine positive Wirkung auf die Schlafqualität, wie Wissenschaftler aus Los Angeles in einer Metastudie gesehen haben. Allerdings sollten direkt vor dem Zu-Bett-Gehen grosse Anstrengungen vermieden werden, weil das den Körper aktiviert, sagt Andrea Kübler. Dagegen helfe vor der Schlafenszeit Entspannung durch Atemtechniken, Meditation und Yoga.

Schlafmedizinerin van Ginneken sieht eine regelmässige Tag-/Nachtstruktur als weiteren wichtigen Punkt für einen guten Schlaf. So könne die Innere Uhr besser lernen, wann es Zeit zum Einschlafen ist und wann zum Aufstehen. Aber was ist bei Schichtarbeitern? Hier empfiehlt die Ärztin möglichst Schichtwechsel mit immer später beginnenden Starts: Also in der Reihenfolge Früh-, Spät-, Nachtdienst und nicht andersherum.

Wichtig sei auch, dass ein Schichtwechsel frühestens alle drei Tage stattfinden sollte. Und um nach einem Nachtdienst noch in den Schlaf zu finden, sei es empfehlenswert, möglichst ruhig aus der Arbeit zu gehen, keinen Kaffee zu trinken und, falls möglich, Tageslicht zu meiden, um nicht erst richtig munter zu werden.

Aber was ist überhaupt Schlaf?

Stellt sich zum Abschluss die Frage, was ist Schlaf überhaupt und warum schlafen wir? Die Antwort darauf ist nicht einfach.

Fest steht: Alle Lebewesen auf der Erde schlafen. Langfristiger Schlafentzug kann zum Tod führen, fanden Forscher im Tierexperiment schon vor über 30 Jahren heraus. Anders als lange gedacht sei Schlaf jedoch kein "Stand-by-Modus" wie bei einem Computer, sondern ein hochaktiver Zustand, erklärt Verena van Ginneken.

Dabei komme es unter anderem zu neuronaler Reorganisation mit Überarbeitung und langfristiger Speicherung von neuen Gedächtnisinhalten oder anderen neu gelernten Fähigkeiten, wie zum Beispiel Fahrradfahren. "Innerhalb und ausserhalb des Gehirns finden zudem viele andere, teils noch nicht vollständig erforschte Prozesse statt, zum Beispiel Zellreparaturarbeiten, Wachstums- und andere Regenerationsprozesse."

Verschiedene Schlafphasen

Wissenschaftlich erforscht ist, dass im Schlaf verschiedene Schlafphasen durchlaufen werden: Nach dem Einschlafen folgt zunächst eine Leichtschlafphase, gefolgt von einer Tiefschlafphase und dem Traum-Schlaf, der sogenannten REM-Schlafphase.

Dieser Ablauf wiederholt sich etwa vier bis sechs Mal pro Nacht. Im Traumschlaf ist das Gehirn aktiv, der Körper jedoch entspannt. Hier geht die Wissenschaft davon aus, dass Erlebnisse des Tages innerhalb von oft sehr plastischen Träumen verarbeitet werden. REM steht dabei für Rapid-Eye-Movement, also schnelle Augenbewegung, die diese Schlafphase charakterisiert. Die Tiefschlafphase ist die erholsamste Zeit für Körper und Geist. Es ist die Zeit für die Zellreparatur und für Wachstumsprozesse, das Immunsystem ist hier besonders aktiv.

Vor allem an der Länge des Tiefschlafes lasse sich die auch Qualität des Schlafes erkennen. "Wem der Tiefschlaf fehlt, der kann sich Sachen oft weniger gut merken", sagt Verena van Ginneken. Allerdings sei auch ein Schlaf ohne Tiefschlaf erholsam. "Wenn ältere Menschen kaum mehr Tiefschlafphasen aufweisen, dann ist das weniger problematisch. Bei einem 40-Jährigen mitten im Arbeitsleben, der über Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen und schlechten Schlaf klagt, würden wir der Sache jedoch auf den Grund gehen."

Über die Expertinnen:
Dr. med. Verena van Ginneken ist Fachärztin für Neurologie an der Charité in Berlin. Prof. Dr. Andrea Kübler ist Diplom-Biologin und Diplom-Psychologin an der Universität in Würzuburg

Verwendete Quellen:

  • Süddeutsche Zeitung: Na dann gute Nacht
  • FAZ: Bäcker schlafen wenig, Programmierer viel
  • Hult: Why executives need to wake up to the importance of sleep
  • Onmeda: Eule oder Lerche
  • PMC: Interrelationship between Sleep and Exercise: A Systematic Review
  • DAK: Müdes Deutschland: Schlafstörungen steigen deutlich an
  • DAK: Jeder dritte Schüler hat Schlafprobleme
  • PubMed: Sleep deprivation in the rat: III. Total sleep deprivation
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