Schüssler Salze zählen in Deutschland zu den meistverkauften Arzneimitteln. Jährlich gehen Millionen Packungen über die Apotheken-Tresen oder in den Online-Versand. Für die Hersteller ist das nicht nur eine lohnendes Geschäft, sondern auch ein grandioser Marketing-Erfolg. Immerhin mangelt es an jedem Beweis, dass Schüssler Salze tatsächlich die Leiden lindern, gegen die sie eingesetzt werden.

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Zwar konnte bisher kein wissenschaftlicher Beleg die Wirksamkeit der Mineralstoffe erbracht werden, doch es gibt Millionen zufriedener Kunden weltweit. Viele von Ihnen würden schwören, dass ihre Leiden durch Schüssler Salze gelindert werden. Sie fragen nicht nach dem Warum, es zählt allein die eigene Erfahrung. Wir wollen wissen, wie die Sache funktioniert.

Wie alles begann

Wilhelm Heinrich Schüssler war ein Mann des 19. Jahrhunderts. Gebildet und an vielem interessiert, wendete er sich schliesslich der Homöopathie zu. Doch was er hier fand, gefiel ihm nicht. Zu umständlich und verzweigt kam die Liste der homöopathischen Ursubstanzen daher, die Schüssler radikal vereinfachen wollte. Und so schuf er mit seiner "Biochemie" eine Art Verschlankung, die auf lediglich zwölf Substanzen gegründet war.

Dreh- und Angelpunkt sind die zwölf Mineralsalze Eisenphosphat, Kaliumchlorid, -phosphat, -sulfat, Kalziumfluorid, -phosphat, -sulfat, Magnesiumphosphat, Natriumchlorid, -phosphat, -sulfat und Silizium, die selbst noch in der Asche eines verbrannten Organismus nachzuweisen sind. Diese für den menschlichen Körper unentbehrlichen anorganischen Substanzen sind der Grundstock von Schüsslers Therapie. Denn er war der Überzeugung, dass mit diesen Mineralien alle Krankheiten zu heilen wären, da sie lediglich von Störungen und Ungleichgewichten im Mineralstoffwechsel ausgelöst würden. Der Körper leidet an einen Mangel, der durch die Zuführung der Substanz behoben werden kann, womit die Heilung eintritt. Es ist eine ebenso einfache wie logische Formel.

Wirkungsweise

Allen Salzen ist gemeinsam, dass sie ähnlich wie in der Homöopathie potenziert - also in beträchtlichem Masse verdünnt - angewendet werden. Es wird, beginnend mit D1, in Zehnerschritten vorgegangen. Eine D6-Potenz bedeuten bereits die Verdünnung von Eins zu einer Million, bei einer D12-Potenz ist es Eins zu einer Milliarde. Diese Potenzierung macht nach Schüsslers Ansicht die Wirkung der Salze erst möglich, weil sie nur in diesen Minimalmengen in alle Zellen eindringen könnten, was bei einer "normalen" Konzentration nicht möglich wäre. Das erklärt auch, warum die vielfache Menge der Substanzen, die mit der Nahrung aufgenommen wird, ohne Effekt bleibt.

Am Beginn stand die von Schüssler entwickelte "Antlitzanalyse". Sie geht davon aus, dass sich der biochemische Mangel an bestimmten Mineralsalzen am Gesicht erkennen lässt. Demnach verraten Hautfarbe, -zustand und -spannkraft, Zustand der Lippen, der Zunge, Haare, Ohren usw. (fast) alles. Der Einsatz der Schüssler Salze kann demnach nicht erst beim Auftreten gesundheitlicher Probleme, sondern bereits nach der Antlitzanalyse gezielt erfolgen.

Alternativmediziner gehen heute davon aus, dass die potenzierten Mineralien Vorgänge im Organismus in Gang bringen, die einer Ungleichverteilung entgegenwirken und den Körper zudem wieder befähigen, das jeweilige Salz vermehrt aufzunehmen und zu verwerten. Seit Schüsslers Tod sind zusätzlich zu den zwölf von ihm identifizierten Mineralstoffen, den "Funktionsmitteln", weitere 15 Substanzen entdeckt worden, die heute als sogenannte "Ergänzungsmittel" bezeichnet werden. Der Heilpraktiker Joachim Broy (1921-2003) hat die Liste um weitere sieben Salze erweitert.

Anwendungsbeispiele

Welche Mineralsalze für welche Krankheitssymptome eingesetzt werden können, ist in dicken Wälzern dokumentiert. Fast alle nur denkbaren Leiden sind aufgelistet. Jedem Salz wurden Beschwerde-Gruppen zugeordnet, bei denen ihr Einsatz Linderung bringen soll. So steht Calcium Phosphoricum (Nr. 2) für den Bereich Knochen und Haut, Kalium Phosphoricum (Nr. 5) für die Nerven, Natrium Sulfuricum (Nr. 10) für die Entschlackung und so weiter.

Darreichungsformen

Üblicherweise gibt es Salzpastillen, die man einzeln im Mund zergehen lassen soll, damit die Inhaltsstoffe über die Mundschleimhaut aufgenommen werden und schnell ins Blut übergehen können. Da die Grundlage hierbei Milchzucker bildet, werden aber für Anwender mit Laktose-Intoleranz auch Schüssler Salze als Globuli mit reinem Zucker oder in Tropfenform angeboten. Letztere enthalten allerdings Alkohol. Daneben existieren Salben und Gele. Salz-Umschläge lassen sich auch mit den gängigen Tabletten anwenden.

Expertensicht

Naturwissenschaftler und Schulmediziner sind sich einig: Die heilende Wirkungsweise der Schüssler Salze ist wissenschaftlich nicht zu erklären oder durch Studien zu belegen. Wie homöopathische Mittel zählen sie laut Arzneimittelgesetz zu den "besonderen Therapierichtungen". Ein wissenschaftlicher Wirkungsnachweis oder eine klinisch-kontrollierte Prüfung sind daher nicht erforderlich.

"Biochemie nach Schüssler ist zur Behandlung von Krankheiten nicht geeignet." urteilte die Stiftung Warentest im Jahr 2005. Und der Medizinprofessor Edzard Ernst zeigte sich 2010 im "Stern" ebenfalls kritisch. Er erklärte, die Behandlung mit den Salzen sei in jedem Fall als unwirksam einzustufen sei, selbst wenn einige deutsche Krankenkassen die Kosten übernehmen würden.

Fast schon amüsant ist auch das Urteil der Öko-Test vom März 2008. Hier war man der Meinung, die Salze könnten zumindest keinen Schaden anrichten, da sie frei von gefährlichen Verunreinigungen seien. Allerdings bestehe die Gefahr, Krankheiten zu verschleppen.

Wer Schüssler Salze probieren will, kann dies also bedenkenlos tun - als Ergänzung, nicht als Ersatz für andere Medikamente. Der Hausarzt sollte darüber informiert werden. Wie er dazu steht, führt vielleicht zu einem spannenden Gespräch.

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