Die konventionelle Lebensmittelindustrie steht immer heftiger in der Kritik. Im Falle des jüngsten Skandals um Pferdefleisch in Fertigprodukten werden Verbraucher wieder einmal damit konfrontiert, meist nicht zu wissen, was in ihrem Essen steckt. Dann doch lieber Bio! Aber sind die Konsumenten dabei vor Nepp gefeit?

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Um sich gesund und bewusst zu ernähren, greifen immer mehr Menschen zu ökologisch produzierten Lebensmitteln, der Umsatz der Branche ist im letzten Jahr um sechs Prozent gestiegen. Auch die Discounter wollen ein Stück vom Kuchen und haben eigene Marken für Bio-Produkte eingeführt. Aber was taugt "Billig-Bio"? Und wo lauern auch bei ökologisch erzeugten Nahrungsmitteln Probleme für Hersteller und Verbraucher? Wir haben mit Gerald Wehde gesprochen. Er ist Sprecher beim Anbauverband Bioland e.V., dessen Standards noch deutlich über die der EG-Öko-Verordnung hinausgehen.

Ist Discounter-Bio schlechter?

Herr Wehde, wie schätzen Sie das Phänomen "Billig-Bio" ein?

Gerald Wehde: Man muss bei dem Begriff "Billig-Bio" aufpassen, was man vergleicht. Natürlich ist das Preisniveau im Discounter niedriger. Im klassischen Einzelhandel, also etwa Edeka oder Rewe, sind Bio-Produkte nicht unbedingt billiger als im Fachhandel. Aber das Angebot an Bio-Produkten ist im klassischen Einzelhandel sehr überschaubar. Wenn ich ein breites Sortiment möchte, stosse ich als Verbraucher dort an Grenzen. Dann gehe ich vielleicht doch in den Bio-Handel, wo ich alles kriege.

Generell leisten Verbraucher aber auch einen Beitrag, wenn sie Bio-Produkte im Discounter kaufen statt konventionell hergestellter Lebensmittel?

Wehde: Ja, das ist ein sinnvoller und guter Beitrag. Bio-Ware ist EU-weit geschützt und verfügt daher über ein Grundniveau, das bereits deutlich höher ist als das konventioneller Herstellung. Die verschiedenen Anbauverbände setzen eins oben drauf, indem deren Richtlinien noch strenger sind.

Es wurde von Tierschützern jedoch schon häufiger aufgedeckt, dass auch auf Bio-Höfen unwürdige Zustände für Tiere herrschen.

Wehde: Ja, wir haben insbesondere Probleme im Geflügelbereich. Der ist im EU-Bio-Bereich schon weitgehend industrialisiert. Von diesen Strukturen grenzt sich Bioland klar ab. Wir befürworten die von Konzernen gesteuerte Grosshaltung nicht, sondern wollen selbstbestimmte Bauern mit einer Geflügelproduktion in überschaubaren Einheiten. Leider schaden diese schlechten Bilder allen und Bio kann schnell an Glaubwürdigkeit verlieren.

Ist die Industrialisierung des Bio-Landbaus eine generelle Gefahr, je weiter die Nachfrage nach Bio-Produkten steigt?

Wehde: Das kommt darauf an, was man mitmacht. Akteure wie Bioland ziehen auf der Erzeugerebene Grenzen - diese Verantwortung haben alle Verbände. Und es wäre gut, wenn viele unseren Weg gehen, weil die Glaubwürdigkeit von Bio dann hoch bleibt.

Wenn der Verbraucher auf Nummer sicher gehen will, muss er also auf Produkte der Marken der Anbauverbände zurückgreifen?

Wehde: Ja, und da kann er weiter differenzieren. Jeder Verband steckt die Grenzen anders. Bioland oder auch Demeter haben sehr strenge Richtlinien.

Teure Produkte = gute Qualität?

Auch konventionelle Markenprodukte kosten ja teilweise viel. Ist das ein Zeichen höherer Qualität?

Wehde: Nein, nicht unbedingt. Zum Beispiel gibt es einige konventionelle Milchprodukte, die teurer sind als Bio. Aber es steckt nichts anderes drin als in der Discounter-Milch, die die Hälfte kostet. Der Verbraucher denkt, dass das Produkt höherwertig ist - das ist aber oft nur auf gelungenes Marketing zurückzuführen.

Kann man bei konventionellen Premiumprodukten darauf schliessen, dass sie qualitativ minderwertiger sind als Bio-Produkte, weil sie ansonsten das Bio-Siegel beantragen würden?

Wehde: Wenn die konventionellen Hersteller Bio machen wollten, müssten sie sich den Kontrollen und dem ganzen Zertifizierungssystem unterwerfen. Es wird bei den konventionellen Premiummarken viel Geld in Werbung gesteckt und so setzen sie sich auch ohne Biosiegel mit hohen Preisen durch. Wenn sie auf Bio umsteigen würden, dann hätten sie preislich nicht mehr viel Spielraum nach oben. Generell haben wir in Deutschland ein viel zu niedriges Preisniveau. Das ist unser Hauptproblem. In Deutschland werden Verbraucher zum Schnäppchen-Kauf erzogen. Die Hardcore-Discounter wie Aldi und Lidl haben einen Marktanteil im Lebensmittelbereich von 46 Prozent. Wir sind ein Discounterland.

Alles Bio: Kann das funktionieren?

Das grosse Ziel von Bioland und anderen Anbauverbänden ist, dass eines Tages alle Lebensmittel ökologisch produziert werden. Ist das überhaupt realistisch?

Wehde: Es ist möglich, davon sind wir überzeugt. Es ist natürlich ein langer Prozess. Dafür brauchen wir nicht nur die Agrarwende, sondern auch eine Ernährungswende. In den industrialisierten Staaten wird im Moment doppelt so viel Fleisch gegessen wie von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für eine gesunde Lebensweise empfohlen wird. Darin liegt der Schlüssel. Wir sagen: Iss die Hälfte, dafür Bio. Dann kann ich Öko-Landbau auch ohne Probleme in den Industrieländern in die Fläche bringen. Wir belegen in Deutschland derzeit 60 Prozent der Agrarfläche für die tierische Produktion, also Milchprodukte und Fleisch. Allein diese Dimension zeigt: Wenn ich da reduziere, gleicht das auch aus, dass Öko-Landbau ein bisschen weniger Ertrag hat.

Und lässt sich Öko-Landbau auch in Entwicklungsländern flächendeckend umsetzen?

Wehde: Da sind die Potenziale des Ökolandbaus sogar höher. Weil es oft Kleinlandwirte sind, die mit Mischanbau arbeiten (ganz anders als hierzulande), ist der Ökolandbau dort sogar ertragreicher als der konventionelle. Das industrialisierte Modell passt überhaupt nicht für Kleinbauern.

In der Ausbildung wird Öko-Landbau vernachlässigt

Ab wann lohnt sich für europäische Bauern ein Umstieg auf Öko-Anbau?

Wehde: Das ist eine interessante Sache. Es gibt von Bundesinstituten Berechnungen, welche Anbauweise sich für Betriebe jeweils lohnt. In den letzten zehn Jahren hat Öko beim Gewinn fast immer besser abgeschnitten. Das führt aber leider nicht dazu, dass viele ihren Betrieb umstellen. Da sind andere Hemmnisse am Wirken. Die ökonomischen Rahmenbedingungen – der Markt wächst ja auch immer stärker – sind das eine. Aber man muss auch offen dafür sein und in der Ausbildung damit konfrontiert werden, was nicht stattfindet.

In der Ausbildung kommt Öko-Landbau zu kurz?

Wehde: Die Ausbildung ist ein ganz zentraler, aber vernachlässigter Punkt. Das fängt an in den Fachschulen, wo Ökolandbau eigentlich als Pflichtveranstaltung laufen müsste. Aber wir haben bundesweit nur zwei Schulen, die Öko-Landwirte ausbildet. Dabei bräuchte man das auf allen Ebenen der Ausbildung.

Herr Wehde, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

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