Durch einen medizinischen Eingriff, der schon lange nicht mehr angewendet wird, könnte Alzheimer in sehr wenigen Fällen übertragen worden sein: Das wollen Forscher in einer Studie herausgefunden haben. Das bedeutet, es gäbe noch eine bisher nicht bekannte dritte Variante der Erkrankung. Wie Fachleute die Studie einordnen.
Alzheimer ist die mit Abstand häufigste Demenzform weltweit – allein in Deutschland sind Schätzungen zufolge rund eine Million Menschen betroffen.
Bisher anerkannte Alzheimer-Formen:
- Gängig ist die altersbedingte, sogenannte sporadische Variante.
- Deutlich seltener tritt die genetisch bedingte Form auf.
Nun schreiben britische Mediziner von einem extrem seltenen dritten Typus, übertragbar durch eine sehr spezielle medizinische Prozedur, die seit fast 40 Jahren nicht mehr angewendet wird.
Die Gruppe um John Collinge von der Londoner National Prion Clinic (NPC) stützt die Behauptung auf Fallberichte von acht Menschen, die in ihrer Kindheit – vor 1985 – ein Wachstumshormon gespritzt bekamen, das aus dem Gehirngewebe Verstorbener stammte. Sie entwickelten demnach einige Jahrzehnte später, noch in auffällig jungem Alter zwischen 38 und 55, Alzheimer-Symptome.
Von 1959 bis 1985 waren allein in Grossbritannien mindestens 1.848 Menschen behandelt worden - auch in Frankreich, den USA, Australien und Deutschland war die Therapie in Gebrauch. Die Praxis wurde gestoppt, nachdem sich weltweit mehr als 200 Empfänger, 80 davon in Grossbritannien, mit der Creutzfeldt–Jakob-Krankheit (CJD) infiziert hatten, einer seltenen, stets tödlich verlaufenden Hirnerkrankung. Bei ihnen hatte das injizierte Präparat fehlgefaltete Proteine - sogenannte Prionen - enthalten, die sich im Körper verbreiten und diese Krankheit verursachen können.
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"Die von uns beschriebenen Menschen waren einer bestimmten und seit langer Zeit aufgegebenen medizinischen Behandlung unterzogen worden", betont Collinge in einer Mitteilung des Londoner University College. "Dabei wurde ihnen Material injiziert, von dem wir heute wissen, dass es mit krankheitsbezogenen Proteinen verunreinigt war."
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Nicht eindeutig bewiesen: Deutsche Fachleute sehen Studie kritisch
Während die Autoren der Studie von ihrer bahnbrechenden Entdeckung überzeugt sind, äussern sich deutsche Fachleute, die nicht an der Studie beteiligt waren, deutlich vorsichtiger: Eindeutig bewiesen sei der Zusammenhang noch nicht, sagt Mathias Jucker vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).
Sollte er sich bestätigen, wäre die Entdeckung "ein glaublich bedeutsames Resultat". Es wäre unter anderem der Beweis für die seit Langem diskutierte Annahme, dass fehlgefaltete Formen eines bestimmten Proteins namens Amyloid beta die Erkrankung verursachen können – und nicht nur ein Nebenprodukt des Absterbens von Hirnzellen sind.
Auch Inga Zerr von der Universitätsklinik Göttingen ist zunächst noch zurückhaltend: "Die Daten sind noch unvollständig", sagt die Neurologin, "aber es fügt sich ins Bild. Der Sache muss man weiter nachgehen."
Auch Jucker ist sich sicher: "Nach dieser Publikation wird es sicher viele Folgearbeiten geben, die das Resultat prüfen. Sollte sich das Ergebnis bestätigen, wäre das mechanistisch äusserst interessant." So könnte etwa die Erforschung von Alzheimer-Therapien, die auf Amyloid beta abzielen, einen Boost erleben. Zudem würde es dafür sprechen, dass das Alzheimer-Syndrom eine Prionenerkrankung ist – also auf fehlgefalteten Proteinen beruht, die sich im Körper ausbreiten.
Keine Übertragung im alltäglichen Umgang mit Alzheimer-Betroffenen
Einig sind sich alle Fachleute in einem Punkt: Beim täglichen Umgang mit Alzheimer-Patienten und auch bei ihrer medizinischen Versorgung besteht keinerlei Risiko.
Auch die Autoren der neuen Studie schreiben: "Es gibt keinerlei Hinweis dafür, dass die Alzheimer-Krankheit zwischen Menschen bei Alltagsaktivitäten oder bei der normalen medizinischen Pflege übertragen werden kann."(dpa/tar)
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