In Europa leidet jeder dritte Erwachsene unter Bluthochdruck. Die Erkrankung ist lebensgefährlich: Hypertonie ist für Millionen Todesfälle verantwortlich. Könnte eine neue "Impfung" nun helfen? Ein Experte erklärt, was Bluthochdruck so gefährlich macht und was von der neuen Behandlung zu halten ist.
Bluthochdruck ist eine Volkskrankheit: In Europa ist jeder dritte Erwachsene von Hypertonie betroffen. Einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge weiss aber rund die Hälfte nicht einmal, dass sie davon betroffen ist. Dabei wäre eine frühzeitige Behandlung enorm wichtig, denn Bluthochdruck ist eine lebensgefährliche Krankheit: Weltweit sind nach Angaben der WHO 8,5 Millionen Todesfälle jährlich darauf zurückzuführen.
Aus Sicht von Christian Hengstenberg, Leiter der Klinischen Abteilung für Kardiologie an der Medizinischen Universität Wien, ist es daher wichtig, seinen Blutdruck früh überprüfen zu lassen. "Je früher man anfängt, desto geringer sind die Schäden", sagt der Experte – und an wirksamen Medikamenten zur Behandlung von Hypertonie mangelt es nicht.
Eine Studie zum neuartigen Medikament Zilebesiran gibt zudem Anlass zur Hoffnung. Eine entscheidende Rolle bei der Blutdruckregulation spielt das Prohormon Angiotensinogen, das in der Leber produziert wird. Die einmalige Injektion von Zilebesiran soll laut der Studie die Produktion von Angiotensinogen inaktivieren – und so den Blutdruck verringern.
Die beschriebene Wirkung ist beeindruckend: Schon die einmalige Injektion von 200 Milligramm soll den systolischen Blutdruck um mehr als zehn mmHg und den diastolischen Blutdruck um rund fünf mmHg senken – und das über einen Zeitraum von sechs Monaten.
Hintergrundinformation:
- Der Blutdruck wird in der Einheit "Millimeter Quecksilbersäule" gemessen, abgekürzt mmHg
- Der systolische Blutdruck gibt den Druck beim Herzschlag an
- Der diastolische Blutdruck gibt den Druck auf die Gefässe an, wenn der Herzmuskel erschlafft
- Optimaler Blutdruck: <120 mmHg (systolisch) und <80 mmHg (diastolisch)
- Normaler Blutdruck: 120-129 mmHg und/oder 80-84 mmHg
- Hochnormaler Blutdruck: 130–139 mmHg und/oder 85–89 mmHg
- Hypertonie: 140–159 mmHg und/oder 90–99 mmHg
Im Interview erklärt Professor Hengstenberg, was Hypertonie zum "stillen Killer" macht, ob sich Bluthochdruck tatsächlich "wegatmen" lässt und ob die neue "Impfung" gegen Bluthochdruck die Behandlung in Zukunft tatsächlich revolutionieren wird.
Herr Hengstenberg, warum ist Bluthochdruck eigentlich so gefährlich?
Christian Hengstenberg: Durch Bluthochdruck können Schäden an verschiedenen Stellen im Körper entstehen. Beispielsweise kann es zu einer Verdickung des Herzmuskels kommen, weil das Herz permanent gegen einen erhöhten Widerstand ankämpfen muss. Sie können sich das so vorstellen, als würden Sie den ganzen Tag bergauf gehen - dann würde nach einer gewissen Zeit auch die Beinmuskulatur dicker werden. Diese Verdickung des Herzmuskels führt zu vermehrter Steifigkeit des Herzmuskels und damit zu Einschränkungen der Belastbarkeit, also zu stärkerer Luftnot bei Belastung.
Welche Folgen kann Bluthochdruck ausserdem noch haben?
Hoher Blutdruck ist auch ein Risikofaktor bei der Entwicklung eines Schlaganfalls. Das gesamte Gefässsystem wird geschädigt. Grosse Gefässe wie die Halsschlagader oder die Herzkranzgefässe, aber auch kleine, wie die Adern in den Augen oder den Nieren, können dadurch geschädigt werden. Dies kann zu einer eingeschränkten Organfunktion führen, etwa bei der Niere, weshalb der Bluthochdruck auch eine der häufigsten Ursachen für die Dialyse ist. Diese Schädigung der Gefässe sollte man unbedingt vermeiden.
Die Schäden, die Sie beschrieben haben, entstehen wahrscheinlich nicht sofort. Wie lange muss hoher Blutdruck vorhanden sein, damit es zu diesen Schäden kommt?
Das ist schwer pauschal zu beantworten, denn es ist sehr individuell. Es sind aber schon Jahre bis Jahrzehnte nötig, bis es zu dieser Schädigung kommt. Das Problem ist, dass viele gar nicht wissen, dass sie hohen Blutdruck haben, und jahrelang unbehandelt damit herumlaufen.
Gibt es Anzeichen, an denen man merken kann, dass der Blutdruck zu hoch ist?
Bluthochdruck tut nicht weh, man kann ihn nicht schmecken und nicht riechen. Manchmal gibt es Zeichen, die auf einen erhöhten Blutdruck hinweisen. Ein hochroter Kopf und sehr starkes Schwitzen im Sommer zum Beispiel, aber das kann natürlich auch andere Ursachen haben. Kopfschmerzen und Nasenbluten sind typische Anzeichen, bei denen Sie den Blutdruck überprüfen lassen sollten. Besser wäre aber natürlich, den Blutdruck zu kennen, bevor solche Symptome auftreten.
Ab welchem Alter sollte man seinen Blutdruck kennen?
Bluthochdruck ist kein reines Altersphänomen. Personen im fortgeschrittenen Alter sind zwar deutlich häufiger betroffen, etwa 60 Prozent aller 60-Jährigen haben mit Hypertonie zu tun. Aber auch deutlich jüngere Personen können einen zu hohen Blutdruck haben. Bleibt der bis ins höhere Alter unbehandelt, steigt natürlich das Risiko für Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Deshalb sollten Sie unabhängig vom Alter bei jedem Arztbesuch den Blutdruck messen lassen. Allerdings haben vielen Menschen beim Arzt häufig einen zu hohen Blutdruck. Man nennt das "White Coat Syndrome": Sobald ein Mensch im weissen Kittel auftaucht, ist der Blutdruck erhöht. Da ergibt die Messung dann tatsächlich keinen Sinn. Deswegen ist es so wichtig, eigene Messungen zu Hause durchzuführen – insbesondere, wenn schon Bluthochdruck vorliegt.
"[Bei Blutdruckmessungen] kann man wirklich viele Dinge falsch machen."
Bei der Blutdruckmessung zu Hause gibt es allerdings auch Fehlerquellen, die das Ergebnis verfälschen können. Nicht alle Blutdruckmessgeräte sind zum Beispiel gleichermassen zuverlässig. Wie und womit misst man den Blutdruck am besten?
Blutdruckmessungen sind in der Tat eine Wissenschaft für sich. Da kann man wirklich viele Dinge falsch machen. Im Krankenhaus oder in der Arztpraxis werden Messgeräte mit Oberarm-Manschetten und Stethoskop verwendet. Solche Oberarm-Messgeräte gibt es auch automatisiert für zu Hause. Die sind gar nicht so schlecht, haben aber eine gewisse Grösse. Deshalb bevorzugen viele das kompaktere Gerät für das Handgelenk. Um herauszufinden, wie zuverlässig Ihr Gerät misst, können Sie es zum Beispiel mit zum Arzt oder in die Apotheke nehmen, sich dort messen lassen und die Werte vergleichen. Neben den technischen Aspekten gibt es noch andere Dinge, die die Zuverlässigkeit der Blutdruckmessung beeinflussen.
Welche sind das?
Wir beurteilen immer den Blutdruck im Ruhezustand. Sie sollten also nicht kurz zuvor die Treppe hinaufgerannt sein. Setzen Sie sich irgendwo hin, warten Sie drei bis fünf Minuten ab und messen Sie dann den Blutdruck. Schreiben Sie sich den Wert auf und messen Sie gleich noch einmal. Und noch einmal. Am besten tun Sie das am späten Vormittag, dann ist der Blutdruck meist am höchsten. Sie werden sehen, dass der zweite Messwert schon niedriger ist als der erste und der dritte noch niedriger. Dann haben wir den Wert, über den wir hier reden: den Blutdruck in Ruhe. Wenn Sie das jeden Tag zur gleichen Zeit am gleichen Ort wiederholen und aufschreiben, bekommen Sie einen sehr guten Überblick über Ihre Blutdrucksituation.
Ab welchen Werten komme ich nicht mehr um die Einnahme von Medikamenten herum?
Die Frage, ob Bluthochdruck überhaupt behandelt werden muss, wird in der Medizin schon sehr lange untersucht. Und das Ergebnis ist ganz klar: Ja. Bluthochdruck sollte unbedingt behandelt und gesenkt werden, weil schwerwiegende Komplikationen drohen. Ab welchen Werten man behandeln sollte, ist eine andere Frage. Der Blutdruck ist eine biologische Grösse und die Komplikationen richten sich nicht nach irgendwelchen Grenzwerten – aber das Risiko steigt linear an. Generell sagen wir, ab 140/90 mmHg sollte behandelt werden. Unser Zielwert ist immer ein Blutdruck von 120/80 mmHg, das gilt für alle Altersgruppen. Früher hat man gesagt: 100 plus Alter - dann ist der Blutdruck okay. Bei einer 80-Jährigen würde das einen Wert von 180 bedeuten. Da können wir heute nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und uns schütteln, das ist viel zu hoch.
Viele Menschen haben bei Blutdrucksenkern Sorge vor Nebenwirkungen. Sind die unbegründet?
Es gibt verschiedene Substanzen, die man bei Bluthochdruck einsetzen kann. Kalzium-Antagonisten, ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten, Betablocker und Diuretika. Meist werden sie in unterschiedlichen Kombinationen eingesetzt, weil so mit einer vergleichsweise niedrigen Dosis jedes einzelnen Wirkstoffs gute Effekte erreicht werden können. Und je niedriger die Dosis, desto seltener treten Nebenwirkungen auf. Die Medikamente, die wir heute zur Verfügung haben, sind sehr gut verträglich und die meisten lange über den Tag wirksam. Das heisst, mit einer einmaligen Einnahme ist man den ganzen Tag gut versorgt.
"Angst vor Nebenwirkungen sollten kein Grund sein, auf die Behandlung von Bluthochdruck zu verzichten."
Früher mussten die Medikamente dreimal am Tag eingenommen werden. Einmal vergessen oder später eingenommen, führt das zu grossen Schwankungen des Blutdrucks, was die Sterblichkeit der Patienten enorm erhöht. In seltenen Ausnahmefällen können durch die Medikamente Beschwerden auftreten, aber dann kann man immer die Medikamente wechseln oder eine neue Kombination ausprobieren. Angst vor Nebenwirkungen sollten überhaupt kein Grund sein, auf die Behandlung von Bluthochdruck zu verzichten.
Welche Alternativen gibt es? Habe ich neben Medikamenten noch andere Möglichkeiten, den Blutdruck zu beeinflussen?
Unser Lebensstil ist zu grossen Teilen dafür verantwortlich ist, dass Bluthochdruck zur Volkskrankheit geworden ist. Daher können auch Veränderungen des Lebensstils den Blutdruck sehr positiv beeinflussen. Bei Übergewicht hilft es unglaublich, einige Kilo abzunehmen. Regelmässige körperliche Bewegung ist ganz wichtig und da braucht es gar nicht so viel: Schon 50 Minuten körperliche Tätigkeit pro Woche reichen aus, um das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen deutlich zu senken. Die Bewegung sollte dabei schon so anstrengend sein, dass der Puls nach oben geht. Aber Sie müssen dafür kein Marathontraining veranstalten. Das sollte jeden motivieren, sich mehr zu bewegen, damit tun Sie sich wirklich etwas Gutes.
"Ihre Tasse Morgenkaffee können Sie trotz Bluthochdruck weiter geniessen."
Bei der Ernährung ist vor allem eine salzarme Kost empfehlenswert. Essen Sie wenig Fleisch, wenig prozessierte Lebensmittel und dafür viel Obst und Gemüse. Wenn Sie mit Blutdruck ein Thema haben, sollten Sie sich unbedingt erkundigen, in welchen Speisen wie viel Salz enthalten ist. Besonders in den industriell verarbeiteten Lebensmitteln steckt oft sehr viel Salz, und auch in der Gastronomie wird meist mehr gesalzen als zu Hause.
Wie wirkt sich Koffein aus? Ist Kaffee bei Blutdruck verboten?
Dazu gibt es keine Daten. Soweit ich weiss, hat Koffein keinen Einfluss auf die Mortalität bei Bluthochdruck. Ihre Tasse Morgenkaffee können Sie trotz Bluthochdruck weiter geniessen – aber zwei Liter Kaffee sollten Sie besser nicht pro Tag trinken.
Es gibt angeblich Atemtechniken, mit denen man den Blutdruck senken kann. Was halten Sie davon?
Stress spielt beim Blutdruck eine grosse Rolle. Aber Stress ist etwas sehr Individuelles. Der eine fühlt sich von Situationen gestresst, in denen andere noch ganz entspannt sind. Wenn Sie wissen, dass Sie ein Stressproblem haben, sollten Sie unbedingt versuchen, Ihre Lebenssituation anzupassen und den Stress zu reduzieren. Manchmal geht das aber nicht. Hier können bestimmte Entspannungstechniken wie autogenes Training oder Meditation Abhilfe schaffen. Dabei spielt auch die Atmung eine Rolle und in diesem Zusammenhang können Atemtechniken tatsächlich helfen, den Blutdruck zu senken.
Wir haben nun viel über den Lebensstil gesprochen. Welche Rolle spielt die genetische Veranlagung?
Wir wissen, dass es eine genetische Komponente bei Bluthochdruck gibt. Sind beide Eltern an Bluthochdruck erkrankt, hat man eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er auch bei einem selbst auftritt. In einem solchen Fall sollte man schon im Alter von 25 oder 30 Jahren den Blutdruck regelmässig kontrollieren. Ist der Blutdruck erhöht, haben Sie so die Chance, frühzeitig in die Behandlung einzusteigen. Je früher man anfängt, desto geringer sind die Schäden, die durch Bluthochdruck verursacht werden. Das kann man gar nicht oft genug betonen.
"Vielleicht gehen wir in Zukunft einmal im halben Jahr zum Arzt, lassen uns eine Spritze gegen Bluthochdruck und Cholesterin geben [...] und sind dann für das nächste halbe Jahr gut versorgt."
Im August kam die Meldung, dass es möglicherweise bald eine "Impfung" gegen Bluthochdruck geben wird. Wird das die Behandlung von Hypertonie in Zukunft revolutionieren?
Das war eine Phase-I-Studie. Wir müssen also noch weitere Studien abwarten, um diese Frage beantworten zu können. Aber die ersten Ergebnisse geben schon Anlass zum Träumen. Damit hätten wir die Möglichkeit, Bluthochdruck mit einer Spritze alle sechs Monate zu behandeln. Das tägliche Tabletten-Schlucken fiele damit weg – das wäre schon ziemlich cool. Aber so weit sind wir noch nicht.
Die "Impfung" gegen Bluthochdruck basiert auf sogenannter small interfering RNA, kurz siRNA. Wie sicher ist dieser vergleichsweise neue Behandlungsansatz?
Die bisherige Datenlage zeigt, dass das Medikament sicher und wirksam ist. Deswegen sind jetzt zwei weitere Studien in Planung, um das Ergebnis in randomisierten Studien zu überprüfen. Neben aller Begeisterung ist aber etwas Zurückhaltung angebracht. Es können bei den grösseren Untersuchungen immer Nebenwirkungen auftauchen, die bei kleineren Testgruppen nicht aufgetreten sind. Und selbst wenn alles gut läuft, wird es noch einige Jahre dauern, bis das Medikament auf den Markt kommt. Es gibt aber schon Medikamente gegen Cholesterin auf dem Markt, die wie die Blutdruck-"Impfung" auf siRNA basieren. Vielleicht gehen wir in Zukunft einmal im halben Jahr zum Arzt, lassen uns eine Spritze gegen Bluthochdruck und Cholesterin geben, schauen noch bei der Zahnreinigung vorbei – und sind dann für das nächste halbe Jahr gut versorgt. Aber das wird noch ein bisschen dauern.
Über den Gesprächspartner:
- Univ.-Prof. Dr. Christian Hengstenberg leitet die Klinische Abteilung für Kardiologie an der Medizinischen Universität Wien.
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit Prof. Dr. Christian Hengstenberg
- Universitätsspital Zürich: Bluthochdruck
- Deutsches Herzzentrum der Charité Berlin: Einteilung des Blutdrucks
- New England Journal of Medicine: "Zilebesiran, an RNA Interference Therapeutic Agent for Hypertension"
- Gesundheitsinformation.de: Was ist der Blutdruck und wie wird er gemessen?
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