- Erste grosse Liebe, Streit mit der Freundin, Stress in der Schule: Das alles haben wir früher in unserem Tagebuch festgehalten.
- Mittlerweile kann man Tagebuch nicht nur klassisch in ein Buch schreiben, sondern auch mithilfe bestimmter Apps.
- Studien zeigen, dass Tagebuch führen eine gute Idee ist: Es kann mental helfen und somit gesundheitsfördern sein.
Ob der erste Kuss oder die schlechte Mathe-Note: Das eigene Tagebuch kannte früher alle Geheimnisse. Wer heute etwa sportliche Aktivitäten, gelungene Rezepte oder ein schönes Treffen mit Freunden schriftlich festhalten will, kann das digital tun: mithilfe von Tagebuch-Apps.
In solchen Apps können Ereignisse und Aktivitäten, aber auch Ideen, Stimmungen oder persönliche Ziele erfasst und an einem Ort gespeichert werden. Manche Apps werten am Ende eines Monats oder Jahres sogar den eigenen Stimmungsverlauf in einer Grafik aus. Das kann Spass machen und als Erinnerungsstütze dienen.
Wobei soll das Tagebuch helfen? Grund bestimmt die Art und Weise
Dabei lässt sich so ein "Lebens-Album" auf verschiedene Weise mit verschiedenen Schwerpunkten gestalten. Inzwischen gibt es zahlreiche Tagebuch-Apps mit unterschiedlichen Anwendungsschwerpunkten, die unterschiedlichen Zwecken dienen.
"Es kommt immer darauf an, welche Funktion eine Tagebuch-App erfüllen soll", erklärt Joachim Grabowski. Er forscht am Institut für Psychologie der Leibniz Universität Hannover zu schriftlicher Sprachproduktion und Schreibprozessen. Beim Führen eines "klassischen" Tagebuchs gehe es ja nicht nur darum, Informationen aufzubewahren.
Das Schreiben hilft bei der Verarbeitung von Erlebnissen
Ein Tagebuch im herkömmlichen Sinn habe eher die Funktion, sich etwas, was einen selber angeht, zu vergegenwärtigen. Es sei eine Art Bestandsaufnahme, ein Innehalten. Man denke über etwas nach, ordne ein, bringe Sachverhalte zusammen, nehme sich Zeit zum Reflektieren.
Dazu passt, was zum Beispiel auch in der Schreibdidaktik im schulischen Kontext als Vorteil gesehen wird: Schreiben ist langsam. "Das hat ganz einfach mit der Motorik zu tun", so Grabowski. "Wir schreiben langsamer als wir sprechen" - normalerweise auch am Computer. Das klassische Tagebuchführen sei ein Prozess der Selbstvergewisserung. "Man wählt aus, was relevant ist, festgehalten zu werden - und was nicht", so der Sprachwissenschaftler.
Datensicherheit und ständige Verfügbarkeit wichtig
"Meiner Meinung nach muss eine App leicht zugänglich sein", sagt Gregor Pichler. Er ist App-Entwickler, Mobile Computing Spezialist und Lektor an der Fakultät für Informatik, Kommunikation und Medien der Fachhochschule Hagenberg. "Je einfacher und hürdenloser der Anfang des Tagebuchschreibens mit einer App ist, desto besser." Graphisch ansprechend und einfach aufgebaut müsse sie sein. Zudem dürfe sie keine unnötigen Passwörter erfordern und keinen Druck erzeugen, jeden Tag schreiben zu müssen.
Ausserdem sei natürlich gerade bei Tagebuch-Apps das Thema Datensicherheit sehr wichtig. "Die Tagebucheinträge sollten im Idealfall das Gerät nicht verlassen, sondern lokal auf den eigenen Geräten gespeichert und ausgewertet werden", so Pichler. Wer sichergehen will, dass die Dateneinträge nicht verloren gehen, sollte nach einer App suchen, bei der die Daten optional in einer persönlichen Cloud gespeichert werden können, auf die nur die Nutzer selbst Zugriff haben.
Wer nicht schreiben will, kann Fotos oder Sprachnotizen anfügen
Funktionen, die laut Pichler im Bereich Tagebuch-Apps aktuell interessant sind, sind nicht nur das Hinzufügen von Fotos oder Sprachmemos zu den Einträgen, sondern auch die Integration anderer Tools und Services. Zum Beispiel aus dem Bereich der Musik oder der Vitaldaten. "Für Nutzerinnen und Nutzer, die gar nicht schreiben wollen, wird in Zukunft das Hinzufügen von Songs in Tagebuch-Apps möglich sein", sagt der App-Entwickler.
Potenzial läge dann zum Beispiel darin, diese Daten mit einem Schrittzähler zu koppeln und nachzuverfolgen, an welchen Tagen man zu welchem Song vielleicht einen besonders langen Spaziergang zu einem persönlichen Lieblingsplatz gemacht habe. So könne dann beispielsweise eine individuelle Playlist für einen bestimmten Zeitraum generiert werden. "Viele wollen sich einfach an schöne Ereignisse oder vielleicht auch an schwerere Zeiten erinnern", so Pichler. "Ohne gross zu schreiben."
Bilder und Videos können unterstützend helfen
"Dass viele Apps tatsächlich ohne den aufwendigen Schreibprozess auskommen, sehe ich als Vorteil", sagt Grabowski. Bildungsbezogen könne man das positiv sehen: Die Teilhabe werde dadurch erhöht. Es müsse ja nicht immer darum gehen, das Tagebuch als Leistungsdimension zu messen und die Fitness in den psychischen Bereich fortzuführen.
"Solche hybriden Formate sind meines Erachtens eine positive Errungenschaft der Digitalisierung", sagt der Sprachwissenschaftler. Anhand von Bildern oder Videos, also von plastischerem Material, könnten Menschen sich eher an etwas erinnern als anhand von Geschriebenem.
Ein Nachteil des Tagebuchführens ohne Schreiben sei laut Grabowski hingegen, dass vieles von dem, was Tagebuch führen "eigentlich" ausmacht, nicht mehr möglich sei. "Wenn die Bedienung der Apps auf Schnelligkeit und Zweckmässigkeit ausgelegt ist, werden Erlebnisse nicht wirklich gedeutet und sprachlich ausgestaltet, sondern es entstehen kleine, punktuelle Berichte oder Dokumentationen."
Gesetzliche Krankenkassen müssen Kosten für die Apps übernehmen
Jemand, der es auf die "klassische" Funktion des Tagebuchführens abgesehen hat, findet so wahrscheinlich keinen Spass an den Apps. Wer sich Zeit fürs Schreiben nehmen möchte, fühlt sich wahrscheinlich auch bald von der Begrenztheit des Bildschirms beim Nutzen einer App gestört. "Wer Einordnungsprozesse machen oder sich sprachlich ausprobieren möchte, wird eher auf ein traditionelles Medium zurückgreifen", schätzt Grabwoski.
Seit dem Inkrafttreten des Digitale-Versorgung-Gesetzes 2019 können Ärzte ihren Patienten bestimmte Gesundheitsapps verschreiben. Das Gesetz besagt auch, dass die Kosten für die Apps von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden müssen.
"Das sehe ich als wichtiges Signal - gerade auch, wenn es um mentale Gesundheit geht", sagt Computerspezialist Gregor Pichler. Studien weisen darauf hin, dass das Schreiben über traumatische, belastende oder emotionale Ereignisse nachweislich zu einer Verbesserung der physischen und psychischen Gesundheit führt. © dpa
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