Sie fühlen sich seit Wochen krank? Manchmal liegt es daran, dass man sich nicht lang genug schont, manchmal steckt etwas anderes dahinter. Ein Blick ins Internet und auf Social Media lässt viele Menschen Letzteres vermuten. Momentan geistert ein Begriff besonders oft durch Kommentarspalten: Mykoplasmen.
Die Beschwerden bei einer Erkältung lassen im Schnitt nach drei bis sieben Tagen nach, bei einer Grippe kann man auch nach den etwa fünf bis sieben akuten Tagen auch Wochen später noch typische Symptome haben. Doch die für die Genesung auch notwendige Zeit und Ruhe gönnen sich viele Menschen nicht. Man will wieder auf Knopfdruck funktionieren, arbeitet zu früh, belastet sich zu schnell wieder.
Wenn sich Husten und Schnupfen dann länger halten als gedacht, werden die Symptome oft durch Suchmaschinen und Social Media gejagt. Und auf Dr. Google oder TikTok ist Verlass: In den sozialen Netzwerken und Kommentaren erzählen viele – besonders junge Menschen – in den letzten Wochen, dass sie einfach nicht gesund werden. Oft ist in diesem Zusammenhang von Mykoplasmen die Rede, immerhin gab es zuletzt auch Meldungen über ein stärkeres Aufkommen von Infektionen mit speziell diesen Bakterien.
Mehr Arztbesuche wegen Medienhypes
Fertig ist also die (Selbst-)Diagnose – ab zum Arzt damit!
"Es schlägt sich unmittelbar in den Arztpraxen nieder, wenn es gerade einen bestimmten Medienhype gibt", bestätigt Bernhard Junge-Hülsing. Er ist der Landesvorsitzende des Bayerischen Berufsverbandes der HNO-Ärzte und arbeitet als niedergelassener Arzt. In den letzten Monaten seien vor allem jüngere Menschen in seine Starnberger Praxis gekommen und hätten konkret nach Mykoplasmen gefragt: "Sie sind sich schon vor der Untersuchung sicher, eine bestimmte Erkrankung zu haben und verlangen einen PCR-Abstrich."
Wichtiges über Mykoplasmen im Überblick
- Mykoplasmen sind Bakterien, die im Vergleich mit anderen Bakterien vor allem zwei Besonderheiten aufweisen: Sie sind winzig und haben keine Zellwand. Das heisst: Die Antibiotika, die Ärzte bei bakteriellen Infekten als Erstes verschreiben – Antibiotikum und Amoxicillin – wirken nicht, da diese lediglich die Zellwände von Bakterien angreifen.
- Infektionen mit Mykoplasmen verlaufen in der Regel mild. Sie können aber Lungen- und Harnwegsinfektionen auslösen. In schlimmeren Fällen kann es zu Lungenentzündungen kommen.
- Die Bakterien sind nur mit einem PCR- und einem Bluttest nachweisbar.
Wie lange eine solche Infektion dauert, kommt laut Junge-Hülsing darauf an, ob der Körper bereits mit dem Erreger in Kontakt war und etwa auf eine frühere Variante Antikörper entwickelt hat. In diesem Fall dauere die Infektion sieben bis zehn Tage bei Erwachsenen. Wenn man diesen Infekt noch nicht hatte, könne es aber vier bis acht Wochen dauern.
Mykoplasmen-Welle mittlerweile abgeflaut
Aber gibt es momentan mehr Mykoplasmen-Infektionen als üblich? So leicht lässt sich diese Frage nicht beantworten. Denn es ist ein spezieller Test nötig, um Mykoplasmen nachzuweisen. Und viele Hausärztinnen und -ärzte böten diesen gar nicht an, so Junge-Hülsing. Zwar habe man im Oktober und November viele Infektionen nachgewiesen, sagt er weiter. Aber: Es wurden auch deutlich häufiger Mykoplasmentests durchgeführt als sonst.
Ende September sprach auch Roger Dumke von einer "Mykoplasmen-Welle", gerade unter Kindern und Jugendlichen. Dumke leitet das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Virologie am Uniklinikum Dresden - das Konsiliarlabor des Robert-Koch-Instituts für Mykoplasmen.
Den Grund für den Anstieg der Infektionen in den letzten Monaten erklären beide Experten unter anderem mit einem Nachholeffekt nach der Corona-Pandemie. Vielleicht hat auch das veränderte Gesundheitsbewusstsein während der Pandemie dazu beigetragen, dass Menschen in Praxen nun auch selbstverständlicher nach PCR-Tests fragen.
Junge-Hülsing sieht das im Falle von Mykoplasmen kritisch. "Diese Tests machen das Gesundheitssystem teurer." Was dann besser wäre, als selbst Diagnosen zu stellen und nach speziellen Tests zu verlangen? Man solle Ruhe halten, viel trinken, Vitamine nehmen, die Füsse warmhalten und ausreichend schlafen. Denn unser Immunsystem sei dafür gebaut, bei einer normalen Lebensweise mit diesen normalen, banalen Infekten alleine klarzukommen.
Über den Gesprächspartner
- Bernhard Junge-Hülsing ist Landesvorsitzernder des Bayerischen Berufsverbandes der HNO-Ärzte, Vizepräsident der Bayerischen Landesärztekammer und niedergelassener HNO-Arzt in Starnberg.
Verwendete Quellen
- Telefonisches Interview mit Bernhard Junge-Hülsing
- Infektionsschutz.de: Grippe
- mit Material der dpa