Zürich ist mit London und Antwerpen eine der Kokain-Hochburgen Europas. Das weisse Gift gehört in der Limmatstadt bei schätzungsweise 2.000 Personen zum Alltag. Fachleute, aber auch manche Politiker, fordern deshalb ein Umdenken in der Drogenpolitik, nämlich eine Entkriminalisierung auch von harten Drogen. Rechtskonservative hingegen fühlen sich vor den Kopf gestossen.

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Verwahrloste Leute, die sich zu Tausenden im berühmt berüchtigten Platzspitz-Park tummeln und sich in aller Öffentlichkeit Heroin spritzen, sind längst aus Zürichs Stadtbild verschwunden.

Inzwischen ist Kokain zur Droge von Zürich geworden. Die Stadt gehört europaweit zur "Kokain-Spitze", das zeigt eine internationale Studie, deren Ziel es war, in rund 20 europäischen Grossstädten das Abwasser auf Kokain und andere Suchtmittel zu testen, um daraus den Drogenverbrauch der Bevölkerung zu schätzen.

Stolz ist Zürich nicht auf diese Spitzenposition. Aber anstatt für Repression spricht sich die Zürcher Gesundheitsvorsteherin Claudia Nielsen für einen neuen Umgang mit Suchtmitteln aus.

Das Ziel müsse sein, dass Drogen möglichst wenig Schäden anrichten, sagte sie in einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). "Es braucht deshalb eine Entkriminalisierung von Konsumentinnen und Konsumenten sowie eine Schwächung des Schwarzmarkts."

"Repression, Abstinenz, Prävention"

In rechtskonservativen Kreisen sorgen die Forderungen der Zürcher Stadträtin für rote Köpfe. Verena Herzog, Nationalrätin der Schweizerischen Volkspartei (SVP), gibt sich empört.

"Es ist erschreckend, dass sogar die NZZ bei dieser Legalisierungsoffensive mitmacht", sagt sie gegenüber swissinfo.ch. "Das zielt völlig in die falsche Richtung." Erfahrungen mit dem Drogenelend hat die Mutter dreier erwachsener Kinder laut eigenen Angaben bei Jugendlichen im Bekanntenkreis gemacht, "die in diesen Teufelskreis geraten sind: Cannabis, Alkohol, Aggressionen, Polizei, Lehrabbruch, Kliniken".

Verena Herzog sieht sogar die Wirtschaft des Landes in Gefahr: "Unseren Erfolg haben wir durch Schweizer-Präzision und Zuverlässigkeit erarbeitet. Werden Drogen legalisiert, wird unsere Gesellschaft immer weniger leistungsfähig. Je einfacher es ist, an Drogen zu kommen, umso mehr wird konsumiert", sagt die Präsidentin des Vereins "Jugend ohne Drogen".

Im Kampf gegen Suchtmittel plädiert sie für "mehr Prävention, Abstinenz und wirkliche Repression."

Hat restriktive Drogenpolitik versagt?

Michael Herzig kennt die Argumente des Vereins. Der Dozent an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft (ZHAW) war während vielen Jahren Drogenbeauftragter der Stadt Zürich.

"Welche Probleme sollen damit gelöst werden?", fragt er rhetorisch. "Natürlich ist Kokain nicht harmlos. Aber es hilft nicht, in die Welt zu schreien, dass es eine gefährliche Substanz ist. Ich sehe den Erfolg dieser restriktiven Drogenpolitik nicht. Das weltweite Verbot hat nicht dazu geführt, dass weniger Drogen konsumiert werden. Aber was ich sehe, sind deren Kollateralschäden", sagt Herzig und weist auf die organisierte Kriminalität hin, die sich auf Kosten der Drogensüchtigen bereichert.

Die Geschichte habe gezeigt, dass "Prohibition mehr Probleme schafft, als löst".

Zum gleichen Schluss kam die Schweiz vor mehr als 20 Jahren bereits im Fall von Heroin, nachdem Tausende meist jugendliche Konsumenten durch die repressive Politik in die Illegalität, Verelendung und den Tod getrieben wurden.

Seither stützt sich das Land im Umgang mit dieser Droge auf ein sogenanntes 4-Säulen-Modell: Prävention, Therapie, Repression und Schadensminderung.

Zur letzten Säule gehört unter anderem, dass Schwerstabhängige an einem staatlich kontrollierten Heroinabgabe-Programm teilnehmen können.

Das Modell, das die damalige Gesundheitsministerin Ruth Dreifuss einführte, hat inzwischen auch in anderen Ländern Schule gemacht. Die alt-Bundesrätin ist immer noch von dieser Politik überzeugt und spricht sich für eine Entkriminalisierung aller harten Drogen aus.

"Staat als Dealer"

Aber SVP-Nationalrätin Herzog gibt dem Schweizer Umgang mit Heroin schlechte Noten. "Es gibt zwar nicht mehr so viele Tote. Aber das Elend wurde einfach in den Hintergrund gedrängt", sagt sie.

"Dadurch fehlt die abschreckende Wirkung." Auch das Argument, dass die Leute dank der kontrollierten Heroinabgabe nicht mehr dem Beschaffungsstress ausgesetzt sind und arbeiten können, lässt sie nicht gelten.

"Diese Leute üben Tätigkeiten aus, die ihr Selbstwertgefühl glücklicherweise wieder etwas stabilisieren, die aber volkswirtschaftlich selten etwas bringen. Gelöst wären die Probleme erst, wenn die Leute von ihrer Sucht wegkämen."

Dass jetzt Forderungen Auftrieb bekommen, den Staat auch bei anderen harten Drogen "zum Dealer zu machen", verurteilt die rechtskonservative Politikerin zu tiefst. "Damit verliert die Prävention jegliche Glaubwürdigkeit."

"Legaler Zugang für gewisse Gruppen"

Anstatt von Legalisierung spricht Drogenexperte Herzig lieber von Regulierung. Allerdings nicht nur des Konsums, sondern auch des Handels und der Produktion.

Es sei unsinnig, die Konsumenten von einer Strafe zu befreien, ohne den Handel zu regeln. "Wer von Regulierung spricht, muss dafür sorgen, dass die organisierte Kriminalität nicht mehr mit im Spiel ist. Alles andere ist Symptombekämpfung."

Herzig möchte die Drogen nicht dem freien Markt überlassen, sondern den Zugang für bestimmte Konsumenten unter strengen Regeln ermöglichen. Wobei für die verschiedenen Substanzen unterschiedliche Regelungen erforderlich wären.

"Die Kunst dabei wäre es, dafür zu sorgen, dass gewisse Gruppen legal Zugang hätten und nicht kriminalisiert würden, und andere Gruppen ausgeschlossen wären, zum Beispiel Kinder und Jugendliche. Dass dies nicht so einfach ist, zeigt sich beim Jugendschutz vor Alkohol und Nikotin."


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