Süchtig werden kann man nach nahezu jeder Substanz und jeder Tätigkeit. Besonders häufig kommen Abhängigkeiten in Bezug auf Tabak, Alkohol, verschiedene Drogen oder Medikamente vor. Doch auch Sexualität, Arbeit oder Freizeitaktivitäten wie Sport, Surfen im Internet und PC-Spiele können süchtig machen. So schnell man in eine solche Abhängigkeit rutschen kann, so schwer ist es, wieder aus der Sucht herauszufinden. In unserer Aktion "Leser helfen Lesern" wollten wir von Ihnen wissen: Wie haben Sie es geschafft? Die ersten Leserantworten stellen wir heute vor.
Andreas K. (52 Jahre): Waffenstillstand mit dem Alkohol
Seit dem 3.Januar 2000 bin ich bekennender trockener Alkoholiker. Nach drei Monaten Therapie in einer Sucht-Klinik im Frühjahr 2000 habe ich mir eine Selbsthilfegruppe gesucht, bin aus meinem damaligen Wohnort weggezogen und erst nach zwei Jahren zurückgekehrt. Meinen damaligen "Freundeskreis" habe ich radikal umgekrempelt. Alte Saufkumpanen kamen nicht mehr, denn es gab ja bei mir nichts mehr zu trinken.
Ich bin nach wie vor in der Selbsthilfe aktiv: Seit 2003 bin ich ausgebildeter Gruppenleiter und leite seit mehreren Jahren eine Selbsthilfegruppe. Ich habe mit dem Alkohol eine Art "Waffenstillstand" geschlossen: "Du bleibst auf deiner Seite der Grenze und ich bleibe auf meiner".
Ich freue mich über jeden Tag an dem ich morgens meine Augen aufmache, das Tageslicht sehe und sagen kann: "Hey, ich bin noch da!". Ja klar, ab und zu kommt der Alkohol mir näher, aber ich kenne meine Sicherheitsmassnahmen und bin nie rückfällig geworden.
Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, "Nein, danke" zu sagen. Mittlerweile kann ich auch zu Feiern und Festen gehen. Aber wenn mir die Luft zu "flüssig" wird, dann gehe ich nach Hause. Dort ist eine absolut alkoholfreie Zone .
Ich wünsche jedem, der sich im Klaren darüber ist, dass er/sie zu viel Alkohol trinkt, dass es "klick" im Kopf machen möge. Es ist keine "Schande" sich zu seiner Sucht zu bekennen und mit professioneller Hilfe etwas dagegen zu tun. Hilfe und Unterstützung gibt es überall, nur muss man sie annehmen WOLLEN!
Frank B.: Es kommen immer wieder Rückfälle
Aus wirklicher Alkoholabhängigkeit zu kommen ist alles andere als leicht. Bei mir war es mit mehreren eigenen Kaltentzügen und mehreren Fachklinikentzügen verbunden. Es dauerte über Jahre.
Zunächst war ich - wie alle - der Meinung, ich sei nicht abhängig. Bis ich als Notfall in die internistische Klinik eingewiesen wurde. Mit Geh- und Bewegungsproblemen, die so dramatisch waren, dass ich selbständig nicht mehr stehen konnte. Und mit Schlafproblemen.
Ich machte einen stationären Entzug von 14 Tagen. Aber es kommen immer wieder Rückfälle! Und Alkoholabhängige zu kontrollierten Trinker zu machen, das geht nicht!
Fazit: Wer bemerkt, dass er dauerhaft trinken "muss", sollte das Trinken komplett radikal von jetzt auf gleich einstellen. Das ist in den ersten Tagen schwer. Aber dann wird das Lebensgefühl besser. Der Schlaf auch und auch der Blutdruck. Man freut sich wieder am Leben. Während der masslosen Trinkerei ist die Welt vernebelt und kommt einem vielleicht "schöner" vor. Dafür ist es in den folgenden Stunden umso schlimmer! Zum Beispiel, wenn der Spiegel in der Nacht wieder nachlässt.
Das Alkoholproblem ist eine ernsthafte Krankheit, die sehr oft auf einer Depression basiert. Die wegzubringen ist wichtig. Und das geht am besten durch Verhaltens- und Gesprächstherapie bei einem Psychologen. Da muss man sich "einlassen" und bereit sein, an sich (mit-) zu arbeiten. Dann hört das mit der Sucht auch auf. Aber in der Gefahr eines Rückfalles befindet sich der Betroffene immer.
Sarah K. (24 Jahre): Ehrlichkeit zu sich selbst ist ein Muss
Ich bin seit sieben Jahren computerspielsüchtig und habe sogar meinen Job deswegen verloren. In eine Sucht gerät man schneller, als man denkt. Oft bemerkt man die Sucht erst dann, wenn man Einschränkungen im Alltag erlebt, Aussenstehende einen darauf ansprechen, oder sehr deutlich, wenn das entsprechende Suchtmittel fehlt.
Der erste Schritt zu einer Therapie beginnt bei einem selbst. Man muss sich eingestehen, dass man ein Problem hat. Zur Therapie muss man bereit sein und vor allem muss man sich klar machen: Ohne geht es in den allermeisten Fällen nicht.
Es hilft auch, sich möglichst vielen Personen anzuvertrauen, nicht allein wegen der Unterstützung, sondern auch, um sich und seinem Problem keinen Ort zum Verstecken mehr zu geben. Eine Sucht ist wie ein Schatten, der den Platz der wirklichen Person eingenommen hat. Man muss das Licht anmachen, damit der Schatten verschwindet. Ehrlichkeit zu sich selbst ist ein Muss.
Ich habe durch meine Sucht den Schulabschluss verpasst, keine Ausbildung bekommen und sämtliche Nebenjobs in den Sand gesetzt. Geholfen hat mir die Einsicht, dass ich mein Leben so nicht weiterführen möchte. Ich will nicht, dass mein Leben von irgendwem anderes bestimmt wird als von mir selbst!
Ich rate Betroffenen, jede mögliche Hilfe anzunehmen. Auch ich begebe mich bald in eine Tagesklinik, welche übrigens eine ideale Alternative ist, wenn man seine Tagesstruktur (sofern man eine hat) trotz Therapie aufrecht erhalten will.
Abschliessend möchte ich erwähnen, dass ich Anfang Februar dieses Jahres aufgehört habe zu spielen, aber ich sitze immer noch viel zu lange am PC. Ich hoffe, dass ich standhaft bleibe, denn meine Gedanken waren selten so klar wie seit der Abstinenz. Ich will nicht mehr dorthin, wo ich sieben Jahre lang gefangen war.
Der Weg in die Freiheit ist ein Schritt, der Mut und Kraft erfordert, aber niemand muss diesen Weg allein beschreiten. Ich kenne niemanden, der den Schritt bereut hat.
Ralf S. (28 Jahre): Die Droge kann man nicht ändern, nur sich selbst!
Mein Leben war lange Zeit geprägt von Drogen, bis ich begann dieses Thema für mich zu entdecken und zu erforschen.
Alkohol war nie ein Thema aber der Konsum von Rauchwaren war und ist immer ein gewisses Problem gewesen. Heute bin ich zeitweise clean und zeitweise in Abhängigkeit. Letztlich besteht eine Abhängigkeit immer aus zwei Punkten: Zum einem dem abhängig machenden Faktor und zum anderen einem selbst. Das eigene Selbst ist immer der Punkt, an dem sich die Abhängigkeit aufbauen kann und das eigene Selbst ist auch der einzige Punkt in einer Abhängigkeit, den man wirklich langfristig ändern kann. Eine Droge wird letztlich immer eine Droge bleiben.
So halten uns alle Abhängigkeiten auch einen Spiegel vor, in den man unbedingt blicken sollte um den Grund der Abhängigkeit zu finden und sich selbst zu ändern.
Einerseits ist es ein Fakt, dass der regelmässige Konsum von Drogen schädlich für Körper, Geist und Seele ist. Doch ich möchte sie nicht als etwas grundsätzlich Negatives betrachten. In meinen Augen begeht man einen Fehler, wenn man die Essenz einer Pflanze mit so menschlichen Begriffen wie "gut" oder "schlecht" belegt. Das führt eigentlich nur dazu, dass man die Verantwortung für das Suchtproblem an die Substanz abgibt und so vermeidet, sich selbst und die Sucht zu betrachten. Vielmehr versucht man nur aus der Situation zu fliehen ohne verstehen zu wollen, warum man sich darin befindet.
In meinen Augen führen harte Entzüge nicht zum Ziel, wenn die Ursache dabei nicht aufgearbeitet wird. Wenn man sich einer Droge entledigt, das tieferliegende Problem jedoch weiterhin besteht, sucht man sich früher oder später nur einen Ersatz und der kann dann genauso gefährlich oder gefährlicher werden.
Peter W. (53 Jahre): Nie wieder Tabletten!
In den neunziger Jahren war ich geschäftlich sehr aktiv. Ständig war ich im Stress, habe aber auch Erfolge ausgiebig gefeiert. 1999 liess ich mir von meinem Arzt Lendormin, ein Schlafmittel verschreiben. Niedliche kleine Pillen, ein Viertel reichte für eine angenehme, erholsame Nachtruhe. Jetzt konnte ich arbeiten, feiern und gut schlafen.
Über die Jahre musste ich die Dosis ständig erhöhen. Ob Sie es glauben oder nicht: 2008 habe ich pro Nacht sechs bis acht ganze Lendormin und etwa vier Flaschen Bier konsumiert. Gut durchgeschlafen habe ich trotzdem nicht. Ich dachte, dass ich bald sterben würde, denn das hält auf Dauer keiner aus. 2005 verlor ich meinen Job, 2007 meine Frau. Die Beschaffung der erforderlichen Tabletten wurde immer schwieriger. Mein Arzt verschrieb mir 100 Tabletten pro Quartal - die reichten nur ein paar Wochen. Ich begann die Rezepte zu kopieren, "baggerte" jeden Krankenpfleger an, suchte mir etliche Apotheken die "keinen Ärger" wegen den Mengen machten und gab im Monat ca. 150 Euro dafür aus.
Anfang 2009 klappte ich mehrmals zusammen, vor 12 Uhr war ich grundsätzlich nicht ansprechbar, ich mutierte zum Zombie... Ich musste mich entscheiden: Leben oder sterben!
Im Netz informierte ich mich über Therapiemöglichkeiten. In die Entzugsklinik wollte ich nicht, ambulant war mir zu unsicher. Dann las ich was über den "kalten" Entzug - einfach aufhören! Anfang der 90er Jahre hatte ich mir so das Rauchen abgewöhnt. Ich trennte mich von meinem alten Arzt, nahm die letzten Tabletten, trank das letzte Bier. Ich kaufte ein paar Kisten Wasser und schloss mich im Juni 2009 für fast zwei Wochen in meinem Haus ein. Es war die Hölle. Ich hatte Krämpfe, Herzrasen, wurde ohnmächtig, war klitschnass vor Schweiss, schrie, heulte, schlief drei Tage gar nicht, dann zwei Stunden, dann drei usw. Der harte Entzug dauerte "nur" zwei Wochen, aber die Sucht wirkte noch fast zwei Jahre in Form von Schlafstörungen, Schweissausbrüchen und Nervosität.
Jetzt nach fast drei Jahren bin ich glücklich. Ich habe eine kleine Firma, eine süsse Freundin, mache Sport und weiss, NIE WIEDER Tabletten!!!
Zsuzsa V.: Ich habe meine Gefühle weggegessen
Die Esssucht wiederholte sich mehrmals in meinem Leben. Als Kind durfte ich keine "negativen" Gefühle zeigen, weder Traurigkeit noch Wut. So lernte ich nicht, wie ich mit diesen Gefühlen umgehen kann. Ich bekam von den Eltern einfach eine Brezel oder Schokolade in die Hand, um ruhig zu werden. Später, als Erwachsene, wiederholte ich dann dieses Verhalten in stressigen Zeiten.
In meiner Ehekrise kam es dann so weit, dass ich selbst nachts aufgestanden bin, um zu essen. Natürlich wurde ich sehr dick, die Waage zeigte dann eines Tages über 90 Kilo.
Der erste Schritt aus der Esssucht war, zu erkennen, dass es sich um ein Verhaltensmuster aus der Kindheit handelt. Ich sah den Grund für das übermässige Essen und entwickelte Mitgefühl für mich selbst. Langsam lernte ich meine Gefühle zuzulassen, statt sie wegzuessen. Es dauerte etwa ein halbes Jahr, bis ich begriff, dass ich viel stärker bin, als ich geglaubt hatte.
Der zweite Schritt bestand darin, mich seelisch zu ernähren. Ich reduzierte den Stress. Stattdessen ging ich in Kurse, in die Natur, fing Yoga an.
Im dritten Schritt begann die eigentliche Diät. Auch hier ging ich langsam vor: Zuerst probierte ich es aus, nachts nicht zu essen. Als es mir gelungen war, feierte ich diesen Erfolg - wie auch jeden darauffolgenden kleinen Erfolg. Wöchentlich schob ich das Essen um eine Viertelstunde weiter nach hinten. Als ich soweit war, um 8 Uhr zu frühstücken, war ich bereits voller Zuversicht: Ich wusste, ich würde es schaffen! Und so war es dann auch: Im Laufe von zwei Jahren habe ich 25 kg abgenommen!
In schwierigen Zeiten falle ich in mein altes Essmuster zurück. Meine Erfahrung ist, dass die Sucht zurückkommen kann, solange die Verletzungen aus der Kindheit nicht verarbeitet worden sind.
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