Weizen ist für die meisten Deutschen ein selbstverständlicher Bestandteil ihres täglichen Speiseplans und in vielen Lebensmitteln enthalten, die als Grundnahrungsmittel gelten. Dass das beliebte Getreide pures Gift sein soll, wie es Julien Venesson in seinem Buch "Wie der Weizen uns vergiftet" darstellt, klingt zumindest nach einer groben Übertreibung. Doch nach der Lektüre des Buches erscheint eine kritische Prüfung der eigenen Essgewohnheiten durchaus sinnvoll.
In der Schule, aus der Werbung und aus den Empfehlungen der Gesundheitsbehörden lernen wir, dass Getreideprodukte wie Brot, Nudeln und Getreideflocken einen wesentlichen Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung ausmachen. Die Ansicht, dass Getreide zur vermeintlich natürlichen Ernährungsweise des Menschen gehört, ist in unserer Kultur tief verankert. Doch mit dieser Idee räumt Venesson gleich zu Beginn des Buches auf.
Seit wann essen wir überhaupt Weizen?
Der Ackerbau begann vor etwa 10.000 Jahren. Das klingt nach einer langen Zeit, aber in der acht bis neun Millionen Jahre dauernden Menschheitsgeschichte stellt er doch eine relativ junge Entwicklung dar. Davor standen Weizen und andere Getreideprodukte nicht auf unserem Speiseplan. "Der Mensch hatte keine Zeit, sich an die moderne Ernährung anzupassen, und eben diese neue Ernährungsweise ist vermutlich die Wurzel unserer modernen Krankheiten", meint Venesson.
Unsere Gesundheit ist wesentlich vom richtigen Funktionieren des Darmes abhängig. Das komplexe Organ ist nicht nur für die Aufnahme lebenswichtiger Nährstoffe, sondern auch für das Ausfiltern von gesundheitsschädigenden Molekülen zuständig. Einige Weizenbestandteile können diese Funktion stören. Das trifft nicht nur für Menschen mit einer nachweisbaren Unverträglichkeit gegen die Proteine des Weizens zu. Laut Venesson sind auch bei Menschen, die negativ auf eine Unverträglichkeit getestet werden, viele Beschwerden darauf zurückzuführen.
Immer mehr Menschen leiden unter Glutenunverträglichkeit
Venesson erklärt, dass das Weizenprotein Gliadin, das ein Bestandteil des Weizenglutens ist, nicht wie andere Eiweiss-Arten von den Enzymen im Magen oder im Zwölffingerdarm aufgespalten wird. Es gelangt unverändert in den Dünndarm und kann dort bei manchen Menschen die Darmwand passieren.
Bei entsprechender Veranlagung lösen diese unerwünschten Fremdkörper eine Immunreaktion aus, in deren Verlauf die Darmzotten durch Entzündungen nach und nach zerstört werden. Das daraus resultierende Krankheitsbild wird Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit genannt. Diese kann in jedem Alter auftreten. Häufige Erscheinungsformen sind Darmbeschwerden, Nährstoffmangel und chronische Durchfälle. Dass der Darm seine Filterfunktion nicht erfüllen kann, kann zu unterschiedlichen Folgekrankheiten, insbesondere weitere Formen von Autoimmunerkrankungen, führen. "Unser gutes Brot gleicht inzwischen eher einem trojanischen Pferd, mit verlockendem Duft, aber voller krank machender Proteine", meint Venesson.
Als typische Symptome der Zöliakie nennt er Blutarmut, Sodbrennen, Verdauungsbeschwerden, Reizdarm, chronische Müdigkeit, Reizbarkeit, Depression, Angstzustände, Gelenkschmerzen, Knochenschwäche, chronische Aphten, Unfruchtbarkeit und Migräne. Folgekrankheiten können demzufolge unter anderem Typ-1-Diabetes, Nebennierenrindeninsuffizienz, Herzmuskel-Erkrankungen, Arthrose, Erkrankungen der Schilddrüse, Schuppenflechte, Morbus Duhring oder Multiple Sklerose sein.
Sollten gesunde Menschen auch auf Weizen verzichten?
Laut Venesson gibt es auch eine verdeckte Art der Empfindlichkeit gegen Weizenproteine. Weil bei dieser Form nicht die typischen Antikörper gebildet werden, fällt ein Unverträglichkeitstest negativ aus. Obwohl die Existenz einer verdeckten Glutensensitivität laut Venesson wissenschaftlich bewiesen ist, wird sie sehr oft nicht erkannt. Dabei leiden dem Autor zufolge ganze 15 Prozent der Menschen daran.
Aber auch bei gesunden Menschen funktioniere der Darm besser, wenn er nicht mit Gluten belastet wird, so Venesson. Bei glutenfreier Ernährung sinke die Produktion entzündungsauslösender Stoffe im Darm markant. Auch bei Gesunden erhöhe glutenhaltige Nahrung die Durchlässigkeit des Darms zulasten seiner schützenden Filterfunktion. Bei Hinzukommen weiterer schädlicher Faktoren wie beispielsweise einer bakteriellen Infektion, könnten ähnliche Folgekrankheiten wie bei der Glutenunverträglichkeit die Folge sein.
Darum rät er jedem, sich zumindest für drei Monate glutenfrei zu ernähren. "Womöglich werden Sie sehr überrascht sein von dem daraus resultierenden Nutzen, der sich eventuell 'nur' in einem gesteigerten allgemeinen Wohlbefiden, mehr Energie, weniger Stress oder einer besseren Laune äussert", schreibt Venesson.
Weizenfrei essen - wie soll das gehen?
Doch selbst wenn diese These sinnvoll klingt: Es ist leichter gesagt als getan, auf Weizen zu verzichten – selbst für wenige Monate. Schliesslich ist der Weizenverzehr in unserer Kultur und in unseren persönlichen Gewohnheiten stark verankert. Darum gibt Venesson im letzten Abschnitt seines Buches Tipps, wie man den weizenfreien Alltag in der Praxis gestalten kann. Sein Ansatz besteht darin, die Sichtweise umzudrehen: Anstatt nur daran zu denken, was man alles nicht essen darf, solle man sich bewusst machen, wie vielfältig die Auswahl an glutenfreien Lebensmitteln ist und sich mit Neugierde und Spass daran machen, diese auszuprobieren. Dabei könnten beispielsweise Kochbücher mit glutenfreien Rezepten helfen.
Leider bleibt der eigentliche Ratgeberteil relativ allgemein. Konkretere Tipps würden die Lust auf die weizenfreie Diät sicherlich steigern. Die Dringlichkeit von Venessons Botschaft kommt eher im umfangreichen Mittelteil durch, wo die Sorge über die vielfältigen Gesundheitsschäden durch den Weizenverzehr im Vordergrund steht. Der Gesundheitsberater stellt den Weizenverzehr als Mitverursacher von schweren Krankheiten wie beispielsweise Morbus Crohn, Neurodermitis, Epilepsie, Bulimie und Schizophrenie dar. Eine detaillierte Auflistung der Krankheiten und die jeweilige Begründung, warum diese durch den Verzehr von Weizen begünstigt werden, bildet den Hauptteil des Buches.
Doch sollte Venesson mit seiner These Recht haben, dann ist der Wert dieses Abschnitts nicht zu überschätzen: Schliesslich leiden und sterben täglich Menschen an manchen der Krankheiten, für die Venesson dem Weizen eine Mitschuld gibt.
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