Auch wenn sich der Welt-Aids-Tag an diesem 1. Dezember schon zum 35. Mal jährt, ist die Weltbevölkerung noch weit entfernt vom Ziel der Vereinten Nationen, Neuansteckungen mit dem HI-Virus bis zum Jahr 2030 gänzlich zu verhindern.

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Es begann vor 42 Jahren mit Berichten über ungewöhnliche Lungenentzündungen und seltene aggressive Krebserkrankungen bei sonst gesunden homosexuellen Männern in den Metropolen der USA. Als Ursache stellten Ärztinnen und Ärzte eine Immunschwäche fest, an der Ende 1981 bereits 130 Menschen gestorben waren.

Schon zwei Jahre später, im Jahr 1983, berichteten die Virologin Françoise Barré-Sinoussi und ihre KollegInnen vom Pasteur-Institut in Paris von einem Virus, das die Ursache dieses "Aquired Immune Deficiency Syndrome" (zu Deutsch: "Erworbenes Immunschwächesyndrom"), kurz Aids, sein könnte. Ein internationales Fachgremium taufte das neue Virus am 1. Mai 1986 auf den Namen HIV, Humanes Immundefizienz-Virus.

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Welt-Aids-Tag wird am 1. Dezember gefeiert

Das HI-Virus sollte die Welt verändern. Über 75 Millionen Infizierte bisher, über 32 Millionen Tote weltweit – ein traumatisches Erleben für betroffene Familien, Paare, die Gesellschaft. Der Welt-Aids-Tag wird seit 1988 immer am 1. Dezember begangen, aus Solidarität mit den Menschen, die mit dem HI-Virus leben und zum Gedenken an die Toten.

Die Identifizierung des Virus vor 40 Jahren machte möglich, dass Tests zum Nachweis von HIV zur Verfügung standen. Ausserdem begann die Suche nach Medikamenten. Im Jahr 1987 wurde das erste zugelassen: Azidothymidin hemmt die Achillesferse des Virus, das Enzym Reverse Transkriptase, sodass sich der Erreger nicht vermehren kann. Inzwischen sind über 30 verschiedene Arzneistoffe gegen HIV verfügbar, die in unterschiedlichen Kombinationen die Virusvermehrung sehr effektiv unterdrücken können.

Betrug die Lebenserwartung nach einer Aids-Diagnose in den 1980er-Jahren rund ein Jahr, können Menschen, die heutzutage nach einem positiven HIV-Test früh mit der antiviralen Kombinationstherapie starten, eine nahezu normale Lebensdauer erwarten. Die teilweise schweren Nebenwirkungen der Medikamente wurden durch Modifikationen und Anpassungen der Substanzen deutlich gemildert. Auch die komplizierte Verabreichung ist inzwischen stark vereinfacht: von bis zu 20 Tabletten täglich, die auch noch in unterschiedlichen Zeitintervallen einzunehmen waren, hin zu einer einzigen Pille, die mehrere Wirkstoffe in sich kombiniert. Inzwischen gibt es sogar Depotspritzen mit HIV-Medikamenten, die etwa nur monatlich gegeben werden müssen.

Seit rund zehn Jahren stehen zudem HIV-Medikamente zur Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) zur Verfügung: "Die PrEP ist eine Safer-Sex-Methode, bei der HIV-Negative ein Medikament einnehmen, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen", schreibt die Deutsche Aidshilfe.

Auch wenn sich die kurz nach der Entdeckung des Virus geäusserte Hoffnung auf einen baldigen Impfstoff bis heute nicht verwirklichen liess, hat das Virus in weiten Teilen der Welt seinen Schrecken verloren. Alles gut? Nein, noch nicht. Es gibt mindestens vier Lücken, die noch geschlossen werden müssen.

1. Versorgungslücken

Die verfügbaren HIV-Therapien sind sehr wirksam und werden permanent durch neue Entwicklungen verbessert. "Wichtig ist, dass weltweit möglichst vielen Infizierten diese Therapie auch zur Verfügung steht", sagt Ulf Dittmer vom Institut für Virologie am Universitätsklinikum Essen. Dafür müssten HIV-Infektionen früh diagnostiziert werden und die Therapie finanziell erschwinglich sein: "Das führt dann nicht nur zum Überleben von HIV-PatientInnen, sondern senkt auch die weltweiten Infektionszahlen – wie in den letzten Jahren zu beobachten ist –, weil gut therapierte Patienten das Virus nur noch selten übertragen."

Das HIV/Aids-Programm der Vereinten Nationen (UNAIDS) hat im Jahr 2015 ein ambitioniertes Kampagnenziel formuliert: Bis zum Jahr 2030 soll die Neuansteckungsrate weltweit auf Null zurückgedrängt werden. Doch die Covid-19-Pandemie, humanitäre Krisen und die Klimakrise haben die Gesundheitssysteme weltweit auf eine harte Probe gestellt und gefährden die 95–95–95-Ziele der UN:

  • 95 Prozent der HIV-positiven Menschen sollten informiert sein, dass sie das Virus in sich tragen. Voraussetzung dafür ist eine flächendeckende Diagnostik.
  • 95 Prozent der HIV-Positiven sollten HIV-Medikamente erhalten, die wiederum bei
  • 95 Prozent von ihnen das HI-Virus wirksam unterdrücken und eine Weitergabe, zum Beispiel über sexuelle Kontakte, nicht mehr möglich ist.

Dass es geht, zeigen Länder wie Botswana, Ruanda, Tansania und Simbabwe: Dort sind die 95–95–95-Ziele erreicht. Nicht so in Deutschland, wo es noch an der ersten 95, der Diagnostik hapert: Hierzulande wissen aktuell nur rund 90 Prozent der HIV-Positiven, dass sie das Virus in sich tragen.

Im Jahr 2022 lebten nach Zahlen der UNAIDS weltweit rund 39 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, 1,3 Millionen infizierten sich in diesem Jahr neu, 630.000 starben an Erkrankungen, die durch Aids bedingt waren.

"Wir können Aids beenden, wenn wir die Ungleichheiten beseitigen, die die Krankheit aufrechterhalten", sagt UNAIDS-Direktorin Winnie Byanyima. Alle müssen Zugang zu Präventionsmethoden, zu diagnostischen Tests und zur medizinischen Versorgung haben. Vor allem junge Frauen sind hier weltweit vernachlässigt. Auch Kinder sind davon betroffen: 800.000 Kinder (0 bis 14 Jahre), die mit dem HI-Virus infiziert sind, erhalten weltweit aktuell keine antivirale Therapie.

2. Wissenslücken

Wer sich einmal mit dem HI-Virus angesteckt hat, wird es nicht mehr los. Die Vermehrung des Virus kann mit den Medikamenten zwar so stark gedrosselt werden, dass der Erreger in den Körperflüssigkeiten nicht mehr nachweisbar ist. Dennoch überdauert das Virus lebenslang in infizierten Körperzellen, es baut sein Genom in die Erbanlage der Wirtszellen ein.

"Ungelöst ist, dass wir keine Heilung von HIV durch die Therapie haben", sagt der Virologe Ulf Dittmer vom Uniklinikum Essen. Dadurch müsse man die Therapie lebenslang einnehmen. Die Folgen seien hohe Kosten, Nebenwirkungen und die Entwicklung von Resistenzen. Letztere haben zwar seit Einführung der Kombinationstherapie, die das Virus an verschiedenen empfindlichen Punkten angreift, abgenommen. Trotzdem ist es weiterhin wichtig zu verstehen, wie sich die Resistenzen gegen HIV-Medikamente entwickeln, was man dagegen unternehmen kann und wie die betroffenen Patienten dennoch behandelt werden können.

Ausserdem gibt es Menschen, bei denen sich eine gesunde Immunfunktion trotz antiviraler Therapie nicht wieder vollständig herstellen lässt, die also anhaltend immungeschwächt bleiben.

Um hier weiterzukommen, beschäftigen sich Forscherteams daher zum Beispiel mit einer Gruppe von HIV-Infizierten, die auch ohne Medikamente das Virus jahrelang in Schach halten und nicht an Aids erkranken. Das sind etwa fünf Prozent aller HIV-Infizierten. Offenbar gelingt es vor allem den Zellen der angeborenen Immunabwehr bei diesen Personen, das Virus zu kontrollieren und an seiner Ausbreitung zu hindern. Bei den sogenannten Elite-Controllern sinkt die Virusmenge sogar unter die Nachweisgrenze. Die Hoffnung ist, dass ein besseres Verständnis der immunologischen Prozesse bei den Elite-Controllern den Weg zu weiteren medikamentösen Therapien eröffnet, die das Virus dauerhaft unterdrücken.

3. Impflücke

"Der beste Schutz wäre ein Impfstoff, hier sind aber alle Entwicklungsversuche der letzten 40 Jahre gescheitert", sagt Ulf Dittmer. Vielleicht brächten mRNA-Impfstoffe jetzt den entscheidenden Schritt nach vorn. Bisher sei das aber noch unklar.

Die Mikrobiologen Ralf Wagner und Benedikt Asbach von der Universität Regensburg machen sich diesbezüglich wenig Hoffnung. HIV sei ein Meister darin, der Immunantwort auszuweichen: "Die Fehlschläge bisheriger Impfstoffe liegen in der Natur des Virus mit seiner enormen Diversität und Immunevasionsstrategien", schreiben sie in der "Münchner Medizinischen Wochenschrift". Dennoch werde die Forschung an HIV-Impfstoffen von der RNA-Technologie profitieren. Unter anderem weil eine schnellere und günstigere Produktion von Testchargen für klinische Studien möglich und von einer sehr guten Immunogenität auszugehen sei.

4. Informationslücken

Die Deutsche Aids-Stiftung, die Deutsche Aidshilfe und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung starten zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember eine neue Kampagne: "Leben mit HIV. Anders als du denkst?" Mit dabei: Hildegard, 47, Postbotin in Bayern. Mit Verdacht auf eine Leukämie kam sie vor zehn Jahren ins Krankenhaus. Der positive HIV-Test dort kam für sie völlig überraschend. Ein wichtiges Thema im Freundeskreis damals sei gewesen, ob Ansteckungsgefahr bestünde. "Vor meiner Infektion kannte ich mich da auch nicht aus", sagt Hildegard. Es sei aber so: "HIV ist unter Therapie nicht übertragbar. Das ist für mich eine wichtige Botschaft. Die meisten Leute wissen das noch nicht."

Hildegard rät ausserdem dazu, auch als Hetero hin und wieder einen HIV-Test zu machen. Sie selbst habe sich überhaupt nicht als gefährdet eingestuft. Dabei sei eine HIV-Infektion nichts, was man sicher ausschliessen könne. "Wer unbemerkt HIV-positiv ist, kann aus Versehen seine Partner anstecken. Wer einen Test macht und im Fall der Fälle eine Therapie beginnt, ist auf der sicheren Seite."

Informieren schützt vor Diskriminierung. In einer Befragung des Forschungsprojektes "positive stimmen 2.0" erklärte ein Grossteil der Befragten (90 Prozent), gut mit der HIV-Infektion leben zu können. Über die Hälfte beschreiben aber auch, dass Vorurteile ihr Leben beeinträchtigten; 95 Prozent hatten im Jahr vor der Befragung Diskriminierung erfahren, fasst die Deutsche Aidshilfe die Befragung zusammen.

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Verwendete Quellen

Virologe Klaus Stöhr

Virologe Stöhr warnt vor "heftigem" Corona-Winter ohne Auflagen

Der erste Winter ohne Corona-Auflagen könnte laut Virologe Klaus Stöhr "heftig" werden. Ein ausreichender Immunstatus sei nach drei Jahren Pandemie noch nicht erreicht.

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