Das Leben mit einem Alzheimer-Kranken ist für Angehörige ein physischer und emotionaler Kraftakt - tagtäglich. Eine der grossen Herausforderungen: die Geduld nicht zu verlieren. Etwa, wenn der Erkrankte aggressiv auf gut gemeinte Hilfe reagiert oder wieder und wieder dieselbe Frage stellt. Wir haben bei einer Expertin nachgefragt, was in solchen Situationen hilft.
Der typische Verlauf von Alzheimer: schleichend. Allmählicher Verlust der geistigen Fähigkeiten. Langsame Veränderung der Wahrnehmung. Schleichender Verlust der Orientierung und des Urteilsvermögens.
"Demenz - genau hinsehen!" lautet deshalb das Motto des Welt-Alzheimertages am 21. September 2021 - weil der Verlauf schleichend ist, weil Angehörige sich immer wieder neu anpassen müssen. "Wird die Diagnose Demenz gestellt, sehen wir manchmal statt des Menschen nur noch die Krankheit. Doch Menschen mit Demenz verfügen über Fähigkeiten, wollen selbstbestimmt leben, wollen mit einbezogen werden, wollen sich aktiv einbringen", heisst es von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Damit Menschen mit Demenz teilhaben können, gibt es verschiedene Dinge, die die Menschen in ihrem Umfeld beachten sollten:
- langsamer reden
- Blickkontakt suchen
- einfache Worte wählen
- geduldig sein
- aufmerksam sein, ob jemand im Supermarkt, im Bus, auf der Strasse oder anderswo unsere Unterstützung benötigt.
Wenn Angehörige oder Freunde feststellen, dass sich jemand verändert, Verabredungen vergisst, anderen Familienmitgliedern oder Bekannten plötzlich unberechtigte Vorwürfe macht oder sich aus Hobbys und Aktivitäten zurückzieht, dann sollten auch sie genau hinsehen, behutsam mit den Betroffenen darüber reden und eine ärztliche Untersuchung anregen. "Es gibt viele Formen der Unterstützung und Entlastung – sie helfen Menschen, so lange wie möglich gut mit einer Demenzerkrankung zu leben und im Alltag teilhaben zu können", erklärt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft.
Tragik der Krankheit: Schleichender Abschied von geliebtem Menschen
Für den Partner oder nahen Angehörigen eines Erkrankten bedeutet der Verlauf einen ebenso schleichenden und langsamen Abschied von der Person, die ihm nahesteht. "Zur Alzheimer-Erkrankung gehört ja der zunehmende Gedächtnisverlust und somit der Verlust des gemeinsam Erlebten, aber auch die Veränderung der Persönlichkeit des Betroffenen", erklärt Saskia Weiss, stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft in Berlin.
Für den Partner ändert sich damit - wiederum schleichend und langsam - das ganze Leben. Das Bemerken der ersten Symptome, die Diagnose, der zunehmend schwierige Umgang mit dem Erkrankten, die Trauer, die mit alledem einhergeht, die Last diverser neuer Aufgaben im Alltag.
"Angehörige von Alzheimer-Kranken müssen sehr viel zurückstecken", so Weiss. "Sie müssen sich zurücknehmen und das annehmen, was ihnen der Betroffene gerade bietet, in welcher Situation er heute ist." Das Gefühl, immer da sein zu müssen, nimmt zu. "Sie sind der Anker für den Erkrankten. Das führt oft so weit, dass sie kaum allein auf die Toilette gehen können", schildert Weiss.
Eine traurige, aber sehr gängige Begleiterscheinung: Es kommt immer wieder zum Streit zwischen dem Erkrankten und dem Angehörigen. Zwei typische Ursachen:
- Der Erkrankte fühlt sich entmündigt und reagiert wütend
- Der Angehörige verliert die Geduld, weil er Gesagtes ständig wiederholen muss
Alzheimer-Kranken nicht alle Aufgaben abnehmen
"Angehörige kommen in die Situation, immer mehr der Aufgaben zu übernehmen, die der Erkrankte nicht mehr schafft", beobachtet Weiss. Das Problem dabei: "Damit zeigt man ihnen auch: Du kannst das nicht mehr."
Sie nennt als Beispiel die demenzkranke Mutter, deren erwachsene Tochter ihr so lange wie möglich ein Leben zu Hause ermöglichen will. Sie erledigt in aller Schnelle das Wichtigste im Haushalt, während die Mutter sich des Grades ihrer Erkrankung nicht bewusst ist und meint, alles im Griff zu haben.
"Die Mutter fühlt sich nun bevormundet, behandelt wie ein Kind", analysiert Weiss. Die Folge ist oft eine abwehrende, mitunter auch aggressive Reaktion. "Die Tochter rückt in den Fokus der Anklage - obwohl sie es natürlich nur gut gemeint hat."
Weiss' Tipp: "Man muss den Erkrankten nicht alle Aufgaben abnehmen. Das nimmt viel von seinem Selbstwertgefühl". Hinzu komme: "Alles, was man an Fähigkeiten nicht benutzt, geht verloren. So lange es also noch möglich ist, sollte man den Betroffenen Dinge selbst erledigen lassen. Wenn das selbständige Einkaufen also im Moment noch gut klappt, sollte der Erkrankte dies weiterhin tun."
Grundsätzlich sei es hilfreich, auf Struktur und Überschaubarkeit solcher Aufgaben zu achten, im konkreten Beispiel: eine überschaubare Einkaufsliste zu schreiben und denjenigen damit einkaufen gehen zu lassen.
Wichtig sei, die Aufgaben an die Fähigkeiten anzupassen und das immer wieder zu überprüfen, denn die Krankheit wird fortschreiten. "Der nächste Schritt könnte dann sein, zusammen einkaufen zu gehen. Eine Erklärung wie 'Das tut mir gut, dann komm ich mal an die Luft' sorgt an dieser Stelle für weniger Zündstoff als der Hinweis, dass man es dem anderen nicht mehr zutraut", sagt Weiss.
Je länger der Betroffene noch Aufgaben erledigen könne, desto besser. "Man darf sich aber keine Illusionen machen: Das Kurzzeitgedächtnis wird weiter schwinden", betont Weiss. "Aber sich gebraucht zu fühlen, das macht auch etwas mit mir. Das Wahrnehmen von Stimmungen und Emotionen funktioniert noch sehr, sehr lange – oft noch, wenn der Betroffene schon in einem Stadium ist, in dem er nicht mehr sprechen kann."
Dinge wieder und wieder zu erklären, kostet Kraft
Entsprechend nehme der Erkrankte auch jeden Stress beim anderen wahr. Und den haben Angehörige auf vielen Ebenen, das Leben mit einem Alzheimer-Kranken ist eine hohe Belastung.
"Da ist die grosse Anstrengung einerseits, aber es sind eben auch viele Emotionen im Spiel. Das Bild, das ich von meinem Ehemann immer hatte, stimmt nicht mehr mit dem überein, was da tagtäglich passiert", so Weiss.
Und das zeigt sich auf teils nervenaufreibende Art. Die Geduld des Angehörigen ist gefragt, wenn er wieder und wieder Dinge erklären und wiederholen muss. "Die klassische Situation: Ein Termin steht an oder Besuch hat sich angekündigt. Der Erkrankte weiss das und fragt seine Ehefrau immer wieder, wann es so weit ist. Und obwohl sie weiss, dass er nichts dafür kann, wird sie irgendwann wütend", beschreibt Weiss.
"Das habe ich dir schon zehn Mal gesagt!", sei dann eine Reaktion, die einfach vorkomme. "Denn: Wir sind alle nur Menschen. Selbst wenn ich über die Erkrankung genau Bescheid weiss, selbst wenn ich mich habe beraten lassen und sogar in eine Angehörigengruppe gehe, kann es trotzdem passieren, dass ich auch einmal ausraste", meint Weiss.
- Tipp: "Versuchen Sie, sich zu beruhigen. Gehen Sie in solchen Situationen auch einmal vor die Tür, um durchzuatmen." Die Situation zu unterbrechen, bringe auch einen anderen Effekt mit sich: "Es kann sehr gut sein, dass der Betroffene sich an den Streit oder die Diskussion nicht mehr erinnert, wenn Sie zurückkommen."
Dieses "Sich-Herausnehmen" dürfen Angehörige sich erlauben, "man muss es aber lernen", sagt Weiss. Sie betont, wie wichtig Beratung für Angehörige ist - und zwar so früh wie möglich. "Manchen reicht es, sich eine Broschüre zuschicken zu lassen und zu wissen, wo sie anrufen können. Anderen hilft es, wenn sie sich in einer Gruppe austauschen können."
Hilfe für Angehörige
Eine wichtige Anlaufstelle ist die Deutsche Alzheimer Gesellschaft, die entsprechende Beratungen und Gruppen in der Nähe der Betroffenen vermittelt und umfassend zum Thema informiert. Auch gibt es eine Hotline für Betroffene (siehe Ende des Artikels).
Ein zentrales Anliegen der Gesellschaft ist es, die Situation der Demenzkranken und ihrer Angehörigen zu verbessern. "Die Lebensqualität der betroffenen Familien muss keine schlechte sein", betont Weiss, "das Umfeld spielt dabei eine entscheidende Rolle."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Saskia Weiss, stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft
- Webseite der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V.
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