- Im Dienste der Wissenschaft wollen britische Forscher Freiwillige gezielt mit dem Coronavirus infizieren.
- Die Studie soll weitere Erkenntnisse über das Virus liefern und eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Impfstoffen spielen.
- Deutsche Pharmafirmen lehnen solche "Human Challenge"-Studien unterdessen als unethisch ab.
Für ein besseres Verständnis des Coronavirus will Grossbritannien absichtlich Probanden mit dem Erreger infizieren. Es handele sich um die weltweit erste solche "Human Challenge"-Studie zu SARS-CoV-2, teilte das Wirtschaftsministerium in London am Mittwoch mit.
Bis zu 90 Freiwillige zwischen 18 und 30 Jahren würden in einer "sicheren und kontrollierten Umgebung" dem Virus ausgesetzt. Gesucht würden gesunde, junge Menschen. Die Probanden würden nicht zuvor geimpft, sagte eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage.
Das Projekt soll in den kommenden Wochen starten. Man wolle unter anderem herausfinden, wie das Immunsystem auf das Virus reagiert und wie Infizierte Viruspartikel in die Umgebung abgeben, hiess es. Die Studie werde auch eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Impfstoffen spielen.
Methode bei Entwicklung von Malaria-Impfstoffen erprobt
In Folgestudien könnten Probanden mit einem neuen Wirkstoff geimpft und dann dem Virus ausgesetzt werden, sagt das Ministerium. Dieses Vorgehen bei der Erprobung von Impfstoffen hat den Vorteil, dass die Wirksamkeit vergleichsweise effizient getestet werden kann. Das übliche Verfahren sieht hingegen vor, Zehntausende zu impfen und dann zu schauen, ob sich weniger Menschen auf natürliche Weise infizieren als in einer ungeimpften Kontrollgruppe.
Human Challenge Trials, bei denen gesunde Menschen einem Erreger ausgesetzt werden, kamen in der Vergangenheit zum Beispiel bei der Entwicklung von Grippe- oder Malaria-Impfstoffen zum Einsatz. Allerdings wurde den Probanden dabei - anders als bei der nun zunächst geplanten britischen Studie - zunächst ein potenzieller Wirkstoff verabreicht.
Freiwillige werden rund um die Uhr überwacht
"Die Sicherheit der Freiwilligen hat Vorrang", betonte das Ministerium. Genutzt werde der Corona-Erreger, der seit März 2020 in Grossbritannien auftritt und nicht die weitaus ansteckendere Variante B.1.1.7, die im Herbst in Südostengland erstmals aufgetreten war. Ärzte und Wissenschaftler würden die Probanden rund um die Uhr überwachen. Die Freiwilligen würden eine Entschädigung für ihre Teilnahme erhalten, hiess es ohne weitere Details.
Die Studien würden beim Verständnis helfen, wie sich das Coronavirus auf Menschen auswirkt, sagte Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng. Ziel sei, die besten und effektivsten Impfstoffe für die langfristige Anwendung zu finden. Partner sind das Londoner Imperial College sowie das Pharma-Forschungsinstitut hVivo, das bereits ähnliche Studien bei anderen Mitteln durchgeführt hat.
Deutsche Pharmaunternehmen lehnen solche Tests ab
Grossbritannien ist eines der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder Europas. Bisher sind offiziellen Angaben zufolge mehr als 115.000 Menschen an oder mit COVID-19 gestorben. Seit gut zwei Monaten läuft eine Massenimpfung. Bisher ist landesweit mehr als 15,5 Millionen Menschen eine Dosis gespritzt worden. Für den vollen Schutz ist aber eine zweite Impfung nötig. Diese haben bisher etwa 550.000 Menschen erhalten.
In Deutschland gelten "Human Challenge"-Studien als unwahrscheinlich. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) hatte solche Tests im Herbst als unethisch abgelehnt. Zudem gebe es medizinische Vorbehalte: "Challenge-Studien zeigen vielleicht ein verfälschtes Bild, da Erkenntnisse, die nur mit jungen, gesunden Menschen gewonnen wurden, möglicherweise nicht auf Ältere und chronisch Kranke übertragbar sind. Aber diese Personengruppen sind durch COVID-19 am stärksten bedroht", betont der Verband auf seiner Internetseite. Künstlich herbeigeführte Ansteckungen entsprächen nicht den echten Infektionen im Alltag. (dpa/mcf)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.