- Nicht depressiv, aber auch alles andere als euphorisch: Gibt es ein Wort für unser Corona-Gefühl 2021?
- Ein US-Psychologe bringt einen Begriff ins Spiel, der bei vielen einen Nerv trifft: "Languishing".
- Er hält es für wichtig, dass wir uns bewusst machen, wie es uns gerade geht. Sonst drohten schwere Folgen.
Im Moment fällt es gar nicht so leicht, auf die Frage "Wie geht's?" eine ehrliche Antwort zu finden. "Gut" geht vielen nicht mehr so leicht über die Lippen - es gab schliesslich Zeiten, in denen das schon besser gepasst hat. Wie geht es uns denn eigentlich? Gibt es ein Wort für das, was wir gerade durchleben und empfinden?
Ein Artikel in der "New York Times" traf zumindest bei den Amerikanern, betrachtet man das Echo in den sozialen Medien, einen Nerv - um nicht zu sagen: viele mitten ins Herz. Und auch immer mehr deutschsprachige Leserinnen und Leser teilen den Text mit dem Vermerk: Hier werde genau das Gefühl umschrieben, das gerade viele verbindet. Es könnte die vorherrschende Emotion in diesem Jahr 2021 sein, analysiert der Autor des Textes, Adam Grant.
"Languishing": Ziellos, freudlos, leer
Der amerikanische Psychologe rückt den Begriff "Languishing" in den Fokus: Er beschreibe den Zustand der Mattheit, in dem sich gerade viele befinden. Wenig klanghaft ist zwar die deutsche Übersetzung "Dahindümpeln" - auch "Schmachten", "Schmoren" und "Darben" sind mögliche Übersetzungen - doch tatsächlich fallen vergleichbare Worte gar nicht selten, fragt man aktuell Menschen nach ihrem Empfinden: "Wir hangeln uns durch" oder "ich dümpele so vor mich hin". In Bayern und Österreich auch gern: "Mei, wir wurschteln uns halt durch!"
Euphorisch klingt es jedenfalls nicht. Manche sprechen auch von Corona-Erschöpfung oder "Pandemüdigkeit". Tatsächlich beschreibt "Languishing" den Ort zwischen Berg und Tal, die Leerstelle zwischen Depression und Euphorie - die Abwesenheit des grundsätzlichen Wohlfühlens. Nachdem Angst und Trauer grosse Emotionen des vergangenen Jahres gewesen seien, habe viele dieses neue Gefühl unvorbereitet getroffen, meint Grant. Freudlos, ziellos fühlt man sich, leer in gewisser Weise.
Was das Fatale an diesem Gefühl ist
Man habe keine Symptome einer psychischen Erkrankung, aber wirklich mental gesund sei man auch nicht. "Nicht deprimiert zu sein heisst nicht, dass wir nicht am Kämpfen sind", stellt Grant klar. Wir könnten nicht wie sonst aus unseren Ressourcen schöpfen, unsere Kapazitäten nicht voll nutzen: "Languishing" beeinträchtige unsere Motivation und Konzentration.
Was vielleicht gar nicht so gefährlich klingt, hat aus Grants Sicht grosse Tücken: "Languishing" scheine häufiger aufzutreten als schwere Depressionen, "und in gewisser Weise kann es ein grösserer Risikofaktor für psychische Erkrankungen sein", schreibt der Professor an der Wharton School der University of Pennsylvania.
Ursprünglich prägte der US-amerikanische Soziologe und Psychologe Corey Keyes den Begriff. Seine Forschungen legen nahe: Ein höheres Risiko, im nächsten Jahrzehnt an schweren Depressionen und Angststörungen zu leiden, hätten diejenigen, die sich heute im Zustand von "Languishing" befinden. Grant erklärt, was daran so folgenreich ist: "Sie werden vielleicht nicht bemerken, dass die Freude nachlässt oder der Antrieb schwindet. Sie ertappen sich nicht dabei, langsam in die Einsamkeit zu driften. Ihre Gleichgültigkeit ist Ihnen gleichgültig. Erkennen Sie aber Ihr eigenes Leiden nicht, holen Sie sich auch keine Hilfe und tun nicht einmal viel, um sich selbst zu helfen."
Wichtig, die Emotion zu benennen
Auch wenn man sich selbst nicht in diesem Zustand befinde: "Sie kennen wahrscheinlich Menschen, die davon betroffen sind", schreibt Grant. Er verweist auf die Erkenntnis der Psychologie, dass eine der besten Strategien zur Bewältigung von Emotionen diejenige sei, sie beim Namen zu nennen. Das hält er gerade jetzt für wichtig. Es könnte uns bei den neuen und schwer greifbaren Erfahrungen helfen, die wir gerade machen. Es könnte uns daran erinnern, dass wir nicht allein sind. Es könnte uns auch eine gesellschaftsfähige Antwort liefern auf die Frage: "Wie geht's Dir?"
Anstelle von "Great" und "Fine", wie in Amerika gang und gäbe, könne man antworten: “Honestly, I’m languishing.” - "Ehrlich gesagt, ich dümpele vor mich hin." Mit anderen Worten: Wir sollten ruhig mal ehrlich antworten, dass wir ermattet sind.
Wege aus der Leere
Was nun lässt sich tun gegen "Languishing"? Wie kommen wir dahin, dass es uns besser geht? Grant bringt das Konzept "Flow" ins Spiel, das hierzulande unter eben diesem englischen Begriff bekannt ist und sich mit "im Fluss sein" übersetzen liesse. Im "Flow" ist man, wenn man auf beglückende Weise mit einer Beschäftigung verschmilzt, sich ganz vertieft in etwas und dabei Raum und Zeit vergisst - wie ein Kind, das völlig in sein Spiel versunken ist. Grant räumt diesem "Flow" einen höheren Stellenwert als Optimismus und Achtsamkeit ein: Es habe sich in der ersten Phase der Pandemie als zuverlässigeres Anzeichen für Wohlbefinden entpuppt.
Schwer in den "Flow" komme man, wenn man sich nicht fokussieren könne - etwa, weil man 74 Mal am Tag seine Mails checke, ständig zwischen Aufgaben hin- und herspringe oder - typisch Lockdown - die Kinder oder der Chef ständig etwas von einem wollen. Menschen funktionierten nun mal anders als Computer, die viele Prozesse gleichzeitig bewältigen können. Grenzen zu setzen, sei also wichtig.
"Flow" könne durch spielerische Rituale am frühen Morgen entstehen wie auch durch Serienschauen am Abend: Dabei verschmelzen wir mit einer Geschichte und fühlen uns den fiktiven Charakteren verbunden. Weitere mögliche Heilmittel gegen "Languishing": Erlebnisse, die uns Genuss bringen, oder sinnvolle Arbeit.
Am besten sollten wir uns jeden Tag Zeit für etwas nehmen, das uns viel bedeutet: eine neue Herausforderung, ein interessantes Projekt oder ein gutes Gespräch: "Manchmal ist es nur ein kleiner Schritt dahin, die Energie und Begeisterung wiederzufinden, die uns in all diesen Monaten gefehlt hat." Anzuerkennen, dass ,Languishing' weit verbreitet sei, wäre ein Anfang: "Stiller Verzweiflung eine Stimme zu geben und uns einen Weg aus der Leere zu leuchten."
Verwendete Quellen:
- The New York Times, Adam Grant: "There’s a Name for the Blah You’re Feeling: It’s Called Languishing", 19.4.21. Der Autor des Artikels, Prof. Adam Grant, ist an der Wharton School der University of Pennsylvania tätig und auf Organisationspsychologie spezialisiert. Grant verfasste mehrere Bücher, darunter das auf Deutsch erhältliche "Geben und Nehmen: Warum Egoisten nicht immer gewinnen und hilfsbereite Menschen weiterkommen".
- dpa: "Mattheitsgefühl und Bettgeh-Aufschieberitis als Trends?", 22.4.2021
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