Vor 85 Jahren verändert der Brite Alexander Fleming die Welt der Medizin: Er entdeckt die Wirkung von Penicillin. Unzählige Menschen sind seither durch Antibiotika vor dem Tod bewahrt worden. Doch der bakterientötende Heilsbringer hat Schattenseiten, denen Ärzte und Pharmaindustrie schon jetzt oft nicht gewachsen sind.
Mit einer verschimmelten Bakterienkultur beginnt der Siegeszug von Antibiotika in der Medizin. Am 28. September 1928 stellt der Londoner Forscher Alexander Fleming fest, dass in einer Petrischale, die er einige Wochen zuvor mit Bakterien präpariert hat, ein Schimmelpilz gewachsen ist. Durch diesen Zufall kommt ein bahnbrechender Effekt zum Vorschein: Dieser Pilz namens Penicillium notatum tötet die Bakterien in seiner Nähe ab. Fleming nennt den Stoff Penicillin und beschreibt seine Wirkung 1929 im British Journal of Experimental Pathology.
Gefährlicher Heilsbringer
Es dauert weitere zwölf Jahre, bis der erste Patient - er leidet an Blutvergiftung - erfolgreich mit Penicillin behandelt wird. Er stirbt jedoch kurze Zeit später, weil das Medikament nicht in ausreichender Menge vorhanden ist. Die industrielle Produktion ab 1942 und die Entwicklung weiterer Antibiotika läuten eine neue Runde im medizinischen Kampf gegen schwere Infektionskrankheiten ein. Doch die Sache hat einen grossen Haken.
Denn auch die Bakterien "lernen" dazu: Manche überleben den antibiotischen Angriff und geben diese Fähigkeit zur Resistenz an ihre Nachkommen weiter. Mittlerweile sind Antibiotika bei zahlreichen Bakterienstämmen wirkungslos. Auch der Bahnbrecher Penicillin macht da keine Ausnahme - im Gegenteil. "Es gibt nur noch wenige Bakterienarten, die empfindlich auf Penicillin reagieren", erklärt Ulrich Seybold, Oberarzt der Infektionsambulanz am Universitätsklinikum München.
Helfen immer neue Antibiotika?
Mit dem Durchbruch von Antibiotika in der Medizin beginnt gleichzeitig ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Medizin könnte ihn verlieren. "Bei fast allen Antibiotika hat es nur sehr kurz gedauert, bis sich resistente Bakterien gezeigt haben", sagt Seybold. Mittlerweile gebe es immer mehr Infektionen mit resistenten Bakterien. Bisher konnte die pharmazeutische Entwicklung von Antibiotika mit diesen gut Schritt halten. Doch das Blatt scheint sich zu wenden: "Der Wettlauf gegen die Zeit zwischen Resistenzentwicklung und Medikamentenentwicklung läuft momentan zugunsten der Resistenzen: Die Bakterien sind im Moment einen Tick schneller", stellt der Mediziner aus München fest.
Es kostet viel Geld, neue Medikamente zu entwickeln. Das ist für Pharmaunternehmen nur dann attraktiv, wenn sie auf einen dauerhaften Verkauf der Präparate setzen können. "Aus Sicht eines pharmazeutischen Unternehmens kann man ja eigentlich nichts Dümmeres machen, als ein Medikament zu entwickeln, das Menschen in ein paar Tagen heilt", meint Seybold. Bei Antibiotika ist genau das der Fall.
Eine Zukunft ohne Penicillin und Co.?
Eine Alternative zu gängigen Antibiotika gibt es derzeit nicht. Daher sei es das Wichtigste, die Präparate sinnvoll und zeitlich begrenzt einzusetzen, sagt Seybold. Viele Ärzte verschreiben leichtfertig Antibiotika, zum Beispiel bei Viruserkrankungen, gegen die sie generell nicht helfen.
Die Verantwortung liegt zwar letztlich beim Arzt, der das Rezept ausstellt, doch Seybold sieht auch Patienten in der Pflicht. Diese erwarteten häufig vom Arzt, dass er sie auch bei Erkältung und Grippe mit Antibiotika schnell wieder fit macht - was nicht funktionieren kann. Andere nehmen Antibiotika unregelmässig ein oder setzen sie zu früh ab. All das fördert die Bildung von resistenten Bakterien, wobei die Heilung ausbleibt.
Wohin das führen kann, zeigen Patienten, bei denen einfach nichts mehr hilft. "Man kann es dann noch mit sehr 'giftigen' Substanzen versuchen. Diese Medikamente können noch oder wieder wirksam sein, weil sie aufgrund starker Nebenwirkungen bisher wenig eingesetzt wurden", erklärt Seybold. Doch selbst dann komme es in Einzelfällen vor, dass die Bakterien auf nichts mehr ansprechen - die Infizierten sterben.
Eine Zukunft ohne Antibiotika erwartet der Infektiologe nicht: "Eventuell wird es andere Antibiotika geben. Aber das Wirkprinzip, dass eine chemische Substanz Bakterien im Körper tötet, den Menschen aber in Ruhe lässt, wird es auch in 50 Jahren noch geben." Bleibt zu hoffen, dass die Medizin bei diesem Rennen irgendwann wieder die Nase vorn hat.
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