Xylit gilt als gesunde und natürliche Alternative zu Zucker. Die süssen Kristalle haben weniger Kalorien, sind für Diabetiker geeignet und obendrein zahnfreundlich – doch Studien zeigen: Völlig unbedenklich ist der Zuckerersatzstoff nicht.
Zucker gilt heute als das neue Rauchen: Er ist ein bedeutender Risikofaktor für Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes Typ-2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen oder Schlafstörungen. Auf den weissen "Dickmacher" zu verzichten, fällt jedoch vielen Menschen schwer – denn unser Gehirn liebt Süsses.
Deshalb greifen viele Menschen zu Zuckeralternativen wie Xylit, die in diesem Dilemma Abhilfe schaffen sollen. Der sogenannte Birkenzucker verspricht, weiterhin Süsses geniessen zu können, ohne gesundheitliche Risiken befürchten zu müssen – doch das ist wahrscheinlich zu schön, um wahr zu sein.
Was genau ist Xylit?
Xylit beziehungsweise Xylitol ist ein Zuckeralkohol, der in geringen Mengen in vielen Obst- und Gemüsesorten vorkommt. Der menschliche Körper produziert Xylit sogar selbst, als Zwischenprodukt des Glukosestoffwechsels.
Das Xylit, das heute in der Industrie verwendet wird und das man im Handel für ein Vielfaches des Preises von Haushaltszucker kaufen kann, wurde früher meist aus der Rinde von Bäumen wie Buche oder Birke gewonnen. So kam der "Birkenzucker" zu seinem Namen. Heute wird Xylit auch aus Maiskolbenresten, Stroh, Getreidekleie oder Rückständen aus der Zuckerherstellung gewonnen.
Kosten von Xylit
- Ein Kilo Birkenzucker kostet zwischen 10 und 20 Euro. Die gleiche Menge normaler Rüben- oder Rohrzucker ist dagegen schon für weniger als einen Euro erhältlich.
Weil Birkenzucker, anders als künstliche Süssstoffe wie Aspartam oder Cyclamat, in der Natur vorkommt, gilt er als natürlicher Zuckeraustausch- oder Zuckerersatzstoff. Um aus dem pflanzlichen Material reines Xylit zu gewinnen, ist allerdings ein mehrstufiges chemisches Verfahren nötig. Es handelt sich also am Ende um ein industriell gefertigtes Produkt.
Welche Vorteile hat Xylit gegenüber normalem Zucker?
Das Ergebnis dieser aufwendigen Herstellung sieht aus wie Zucker, ist genauso süss, hat aber deutlich weniger Kalorien: Während Zucker mit 387 Kalorien pro 100 Gramm zu Buche schlägt, sind es bei Xylit mit 240 Kalorien rund 40 Prozent weniger. Das macht Xylit für all jene interessant, die abnehmen und Kalorien einsparen wollen.
Und noch etwas hat Xylit dem herkömmlichen Zucker voraus: Er erhöht weder den Blutzucker- noch den Insulinspiegel, was ihn insbesondere für Diabetiker attraktiv macht.
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Da er im Gegensatz zu vielen Süssstoffen keinen Nachgeschmack hat, verwendet die Industrie Xylit gerne in zucker- und kalorienreduzierten Light-Produkten, die sich vor allem an Diabetiker und Abnehmwillige richten. Als Zusatzstoff E967 findet man es in Softdrinks, Joghurts, Marmeladen oder Desserts.
Viele Menschen ersetzen Zucker auch beim Backen zu Hause durch Xylit – und selbst in Zahnpflegekaugummis, Zahnpasta und Mundwasser ist Birkenzucker oft enthalten. Denn Xylit sorgt nicht nur dafür, dass sich weniger Zahnbelag bildet, er hemmt auch das Wachstum von Kariesbakterien im Mund.
Ist Xylit wirklich gesund?
Gesundheitsbehörden der USA und der Europäischen Union stuften den Zuckeralkohol lange "generell als sicher" ein. Sie weisen lediglich darauf hin, dass übermässiger Konsum von Xylit eine abführende Wirkung haben kann. Verschiedene Leitlinienorganisationen wie die World Health Organisation (WHO) empfahlen den Zuckeraustauschstoff ausdrücklich zur Gewichtsreduktion – also vor allem für Personen, die an Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden.
Doch diese Empfehlungen sind durch eine Studie der Cleveland Clinic in Ohio ins Wanken geraten. Darin fanden der Kardiologe Marco Witkowski, der inzwischen aus Cleveland zurück am Deutschen Herzzentrum der Charité in Berlin ist, und sein Team Hinweise darauf, dass Xylit das Risiko für schwerwiegende kardiale Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Thrombosen erhöhen könnte.
Für die Studie werteten die Forschenden um Witkowski die Blutproben von 1.157 Probandinnen und Probanden aus, die zu Herzuntersuchungen in die Klinik gekommen waren. Dabei stellte sich heraus, dass Personen mit hohen Xylit-Konzentrationen im Blut in den folgenden drei Jahren ein um 57 Prozent höheres Risiko hatten, einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden oder aufgrund eines Herz-Kreislauf-Problems zu sterben. Eine Folgeuntersuchung mit 2.149 weiteren Testpersonen bestätigte das Ergebnis.
In Laborexperimenten stiessen Witkowski und seine Kolleginnen und Kollegen auf eine mögliche Erklärung: Hohe Xylit-Konzentrationen im Blut begünstigen offenbar auch bei gesunden Menschen das Zusammenklumpen der Blutplättchen, der sogenannten Thrombozyten. Das fördert die Bildung von Blutgerinnseln, was "der erste Schritt zu einem Schlaganfall oder Herzinfarkt ist", sagt Witkowski.
Xylit könnte demnach vor allem für jene Menschen gefährlich sein, denen der Zuckeraustauschstoff besonders empfohlen wird: Diabetiker und übergewichtige Personen. Denn gleichzeitig haben diese Personengruppen ohnehin ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Wie viel Xylit ist unbedenklich?
Ab welcher Konzentration Xylit nun gesundheitsgefährdend ist oder welche Menge noch als unbedenklich gilt, darüber können die Forscherinnen und Forscher in ihrer Studie allerdings keine Aussage treffen. Um eine konkrete Dosis-Wirkungs-Beziehung zu definieren und langfristige gesundheitliche Effekte von Xylit zu beurteilen, seien weitere umfangreiche Studien erforderlich, sagt Witkowski. "Unsere Ergebnisse deuten zunächst einmal darauf hin, dass Zuckerersatzstoffe nicht die harmlosen Zuckeralternativen sind, für die sie oft gehalten werden."
Sollte man auf Birkenzucker also besser komplett verzichten – und auch die Xylit-haltige Zahnpasta aus dem Badezimmer verbannen? Zumindest Letzteres wäre aufgrund der niedrigen Dosierung wohl übertrieben. "Ich meide Xylit nicht komplett – denn dann müsste ich auch um Pflaumen einen Bogen machen. Aber diese geringen Mengen sind nicht bedenklich", sagt Witkowski. Nur von höheren Konzentrationen, wie sie zum Beispiel beim Backen oder in industriellen Lebensmitteln zum Einsatz kommen, rät der Experte ab.
Andere Zuckerersatz- und Süssstoffe sind keine echte Alternative
Statt zu Zucker und Xylit einfach zu anderen Zuckerersatzstoffen zu greifen, ist womöglich auch keine echte Alternative. In einer früheren Studie hatten Witkowski und seine Kollegen für Erythrit, einem Xylit sehr ähnlichen Zuckeralkohol, einen ähnlichen Effekt auf das Herz-Kreislauf-System nachgewiesen. "Wir vermuten, dass das möglicherweise für die ganze Gruppe der Zuckeralkohole gilt", sagt Witkowski – und damit möglicherweise auch für Sorbit (Sorbitol) und Mannit (Mannitol).
Und auch andere Süssungsmittel haben ihre Tücken. Im vorvergangenen Jahr wurde der künstliche Süssstoff Aspartam von der WHO als "möglicherweise krebserregend" eingestuft. Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) warnte 2019 davor, Sucralose-haltige Lebensmittel zu braten oder zu backen, weil dabei möglicherweise gesundheitsschädliche Stoffe entstehen. Zudem gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass Süssstoffe dem Darmmikrobiom schaden können.
Die Warnungen rund um Süssmittel nehmen also zu. Die WHO rät deshalb inzwischen davon ab, zuckerfreie Süssstoffe als Mittel zur Gewichtskontrolle einzusetzen. Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat angekündigt, verschiedene Süssungsmittel neu zu bewerten.
Generell rät Witkowski beim Konsum von Zuckerersatz- und Süssstoffen zur Vorsicht. "Solche Lebensmittelzusätze durchlaufen nicht die gleichen Prüfprozesse wie ein neues Medikament", sagt der Experte. Bei Lebensmittelzusätzen werde zwar untersucht, ob ein Stoff krebserregend ist – aber nicht, wie er sich zum Beispiel im Kontext von Blutgerinnung oder anderer Stoffwechselprozesse verhält. Denn dazu sind aufwendige und umfangreiche klinische Studien notwendig.
Theoretisch könnten sich viele der heute zugelassenen Lebensmittelzusätze – darunter auch 19 Süss- und Zuckeraustauschstoffe – durch Studien schon morgen als problematisch erweisen. Oder auch nicht. "Am besten wäre wohl, wir würden uns damit anfreunden, zusätzlichen Zucker und Zuckerersatzstoffe einfach wegzulassen", sagt Witkowski.
Über den Gesprächspartner
- Dr. med. Marco Witkowski ist Kardiologe am Deutschen Herzzentrum der Charité Berlin (DHZC).
Verwendete Quellen
- Suessstoff-verband.de: Süssstoffe im Überblick
- Klinische Wochenschrift (1971): "Xylit, Stoffwechsel und klinische Verwendung"
- Trahan, L., 1995, International Dental Journal: "Xylitol: a review of its action on mutans streptococci and dental plaque--its clinical significance"
- Maguire & Rugg-Gunn, 2003, British Dental Journal, 2003: "Xylitol and caries prevention — is it a magic bullet?"
- Witkowski et al., 2024, European Heart Journal: "Xylitol is prothrombotic and associated with cardiovascular risk"
- Witkowski et al., 2023, Nature Medicine: "The artificial sweetener erythritol and cardiovascular event risk"
- Bundesinstitut für Risikobewertung: "Süssungsmittel: Mehrheit der Studien bestätigt keine Gesundheitsbeeinträchtigung – allerdings ist die Studienlage unzureichend"
- Suez et al., 2022, Cell: "Personalized microbiome-driven effects of non-nutritive sweeteners on human glucose tolerance"
- who.int: "WHO advises not to use non-sugar sweeteners for weight control in newly released guideline"
- efsa.europa.eu: "Süssungsmittel"
- Bundesinstitut für Risikobewertung: "Bewertung von Süssstoffen und Zuckeraustauschstoffen"
- AOK.de: "Xylit: Die Alternative zu Haushaltszucker?"
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