- Zittern, in der Fachsprache "Tremor" genannt, tritt in verschiedenen Situationen auf.
- In einigen davon lässt sich das Zittern schnell wieder in den Griff bekommen und eine harmlose Ursache feststellen.
- Im Interview erklärt der Neurologe Prof. Lars Timmermann, wann man sich ärztliche Hilfe holen sollte.
Herr Timmermann, was können Ursachen für unkontrolliertes Zittern sein?
Prof. Lars Timmermann: Zittern kennen wir alle aus dem Alltag ganz gut. Mitunter bibbern wir vor Angst oder vor Kälte. Mitunter auch dann, wenn wir uns das erste Mal wieder ein hartes Training zugemutet haben und die Muskeln zittern, nachdem man sich heftig angestrengt hat. Das ist alles völlig natürlich und zum Teil auch sinnvoll. Denn zum Beispiel mit dem Kältezittern wärmt man sich und sorgt dafür, dass man nicht auskühlt. Es gibt aber auch Erkrankungen, bei denen das Zittern ein wesentlicher Teil ist. Am häufigsten tritt der sogenannte essentielle oder familiäre Tremor auf. Das ist das medizinische Wort für Zittern. Oder auch beim Parkinson zittert mitunter die Hand oder ein Körperteil.
Was versteht man unter einem essentiellen Tremor?
Der essentielle Tremor ist eine der häufigsten Formen und tritt vor allen Dingen in Familien auf. Es gibt oft Menschen, deren Verwandte das auch haben. Bei ihnen tritt das Zittern vor allem beim Halten eines Gegenstandes auf und beim Zielen. Wenn die Hand, der Kopf oder das Bein ruhig liegen, zittert es nicht. Und was dabei sehr häufig auftritt: Wenn man einen Schluck Alkohol trinkt, wird das Zittern oft dramatisch besser. Das ist natürlich keine Dauer-Therapie, aber ein wichtiges diagnostisches Zeichen. Deswegen fragen Ärzte oft danach.
Wie sieht das Zittern bei einem essentiellen Tremor aus?
Es ist ein bisschen schneller – ungefähr so schnell wie das Zittern, das man hat, wenn man nervös ist. Das behindert viele Patientinnen und Patienten in ihrem Alltag, vor allem beim Zielen. Wenn ich auf der Tastatur meines Handys eine bestimmte Taste treffen, den Schlüssel in das Schlüsselloch bekommen möchte oder eine ganz bestimmte Münze aus dem Portemonnaie rausholen, dann ist es sehr lästig, ein Zielzittern zu haben. Viele sind beschämt, wenn sie das haben.
Ist diese Art des Zitterns "nur" lästig, oder auch gefährlich?
Für betroffene Menschen ist damit verbunden, dass es ganz erheblich unangenehm ist. Wir nennen das "Stigma einer Erkrankung". Einfache Dinge im Leben wie Nägel schneiden, Fingernägel lackieren oder unterschreiben werden dadurch sehr schwierig bis unmöglich. Eine triviale Geschichte ist etwa, dass das Menschen sind, die ganz oft ihre Passwörter falsch eingeben, weil sie beim Zittern doppelt auf die Tastatur prellen. Das digitale Zeitalter bringt da einige Probleme mit sich. Wenn man nicht gut zielen kann mit der Maus oder den Fingern, kann das verheerend für die Funktionsfähigkeit im Alltag oder im Beruf sein. Es heisst eigentlich in der Literatur, dass der essentielle Tremor ein gutartiger ist. Vor kurzem hat aber ein befreundeter Kollege aus Florida, Michael Okun, in einem unserer Fachjournale vorgeschlagen, "gutartige" zu streichen, weil es eben für die Betroffenen so beschämend auf der einen Seite und so eine Behinderung auf der anderen Seite ist.
Kann die Art des Zitterns auf eine Ursache hinweisen?
Ja, es gibt einige sehr typische Formen des Zitterns, die für eine bestimmte Ursache typisch sind. Ein Beispiel wäre ein Moment, in dem man ein Zielzittern hat. Das bedeutet, ich hebe ein Glas hoch und es zittert immer permanent an der Stelle und wenn ich es zum Mund führe, wird es immer schlimmer, bis dahin, dass ich vielleicht etwas verschütte. Das ist typisch für eine der häufigsten Formen des Zitterns, nämlich den essentiellen Tremor.
Aber auch ohne Bewegung kann ja ein Zittern entstehen …
Genau, das ist eine andere Form des Zitterns, die viele schon mal gesehen haben. Gerade bei älteren Menschen kommt das vor: Die Hand, die ganz entspannt und ruhig liegt und gar keinen Grund hat, sich zu bewegen, fängt plötzlich an zu zittern. Und zwar recht langsam und kontinuierlich, sodass man es selbst nachmachen könnte. Diese Art von Zittern ist typisch bei Menschen, die Parkinson haben. Das tritt sehr selten bei anderen Tremor-Formen auf. Die Besonderheit ist, dass es ein einseitiges Zittern ist und sobald man dann etwas mit der zitternden Hand macht, lässt es nach. Wer das hat, dem würde ich unbedingt raten, eine Neurologin oder einen Neurologen aufzusuchen.
Ab wann würden Sie allgemein raten, zum Arzt zu gehen?
Das ist wichtig, wenn ein Zittern neu auftritt, insbesondere in Situationen, in denen man das sonst nicht kennt. Wenn zum Beispiel die Hand plötzlich in einer bestimmten Stellung anfängt zu zittern, obwohl sie das sonst nie getan hat. Wenn man merkt, dass die Schrift anfängt, zittrig zu werden, obwohl sie das normalerweise nie getan hat. Gerade aber auch, wenn ich merke: Meine Stimme beginnt zu zittern, mein Kopf zittert, oder das ein oder andere Bein beginnt plötzlich zu zucken, obwohl ich das vorher nie kannte. Dann sollte man zur Neurologin oder zum Neurologen gehen.
Auch Müdigkeit, psychische Belastungen oder Sport können ein Zittern auslösen. Gibt es eine Möglichkeit, dies zu unterbinden?
Ich bin Sonntagnacht nach einem sehr sportreichen Wochenende von einem Krampf im Bein schmerzhaft wach geworden. Und ich glaube, das kennt jeder von uns - gerade wenn man es mit dem Sport übertreibt. Dann zittern zum Beispiel mal die Hände nach Kraftübungen oder die Beine krampfen oder zittern. Das geht in der Regel gut weg, wenn man sich ausruht, ausreichend trinkt, ausreichend Salz zu sich nimmt und - insbesondere, wenn es krampft - auch Magnesium. Wenn es aber immer so ist, dass man nach dem Sport erst mal für mehrere Stunden ein ausgeprägtes Zittern hat, wenn es einseitig ist oder wenn es immer in bestimmten Haltungen passiert, so wie man das gar nicht kennt, sollte man sich ärztliche Hilfe holen.
Gibt es ein Alter, in dem man besonders aufmerksam sein sollte?
Wenn man älter wird, sollte man besonders darauf achten, wann und wie man zittert und sich die Frage stellen: Ist das neu? Kenne ich das? Im Alter treten viele Erkrankungen, die mit Zittern einhergehen, deutlich häufiger auf. Extrem selten leiden Menschen unter 40 an Parkinson, aber jenseits der 70 sind viele Menschen betroffen. Und da kann Zittern durchaus eines der ersten Symptome sein. Unter essentiellem Tremor leiden zwischen ein und fünf Prozent der Bevölkerung, aber vor allem bei älteren Leuten zeigt er sich vermehrt. Ich empfehle auch, zum Arzt zu gehen, wenn man merkt, dass einen das Zittern so sehr behindert, dass man sich bestimmte Dinge nicht mehr traut. Bekannte Menschen, die bei mir in Behandlung sind, würden wegen ihres Zitterns zum Beispiel nie in der Öffentlichkeit ein Glas in die Hand nehmen. Da würden alle direkt denken, sie hätten ein Alkoholproblem, ist die Begründung. Oder Betroffene vermeiden es, mit Freunden essen zu gehen, weil es ihnen peinlich wäre, wenn etwas von der Gabel fällt.
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Das Zittern kommt bei vielen also erst im Alter. Wie kann man vorbeugen?
Was für die meisten Bewegungsstörungen gut ist: regelmässige Bewegung. Wir wissen inzwischen, dass sie hilft, auch wenn man bereits erkrankt ist. Wir wissen aber auch, dass man mit genug Bewegung eine gute Chance hat, das Zittern zu verzögern. Und deswegen empfehle ich allen, sich mindestens 30 Minuten an mindestens drei Tagen pro Woche zu bewegen, insgesamt 150 Minuten Sport die Woche. Insbesondere lockeren Ausdauersport, also die Art von Sport, bei der man sich gerade eben noch unterhalten kann. Das macht auch Spass und lässt einen körperlich und psychisch gesund bleiben.
Sie empfehlen, zum Arzt zu gehen, wenn man sich Sorgen macht. Einige Menschen googeln heutzutage jedoch erst einmal ihre Krankheitssymptome. Und beim Stichwort Zittern können die Ergebnisse ziemlich angsteinflössend sein. Was halten Sie davon?
Ich glaube, dass es eine ganz grosse Chance ist, informierte Patienten zu haben. Allerdings sollte man sich auf seriösen Seiten informieren. An der Uniklinik in Marburg, wo ich tätig bin, arbeiten wir intensiv daran, solche Programme so gut zu machen, dass zum einen die Menschen, die im Alltag plötzlich mit medizinischen Problemen umgehen müssen, damit zurechtkommen können. Zum anderen lohnt sich das auch für Hausärzte, die gar nicht alle unterschiedlichen Erkrankungen kennen können, weil sie aus allen Fachgebieten Fachwissen bräuchten. Da gibt es eine ganze Reihe von Programmen. Wir haben gerade eine grosse Studie veröffentlicht. Dabei haben wir geprüft, ob Symptome von Patienten, mit denen sie eine Notaufnahme betreten, von einem automatisierten Programm besser erkannt werden können als von einem übermüdeten Assistenzarzt oder Assistenzärztin. Das Programm hat Fragen gestellt, die Patienten beantworten sollten. Erschreckenderweise war das Programm teils sogar besser.
Sind solche Programme also die Zukunft?
Es wird uns helfen, bessere Medizin in Krankenhäusern und Praxen zu machen, wenn solche Programme unsere Ärztinnen und Ärzte unterstützen. Und zum zweiten glaube ich, dass es viele Menschen durchaus beruhigen kann, wenn man gute und medizinisch begründete Programme verwendet.
Gibt es für essentiellen Tremor Behandlungsmethoden?
Wir haben für eine ganze Reihe von Formen von Zittern recht gute Medikamente, eben auch für den essentiellen Tremor. Viele der Zitter-Formen lassen sich mit Medikamenten sehr gut in den Griff bekommen. Entspannungsverfahren helfen auch. Das ist gerade in Momenten sinnvoll, in dem das Zittern gekoppelt ist an Aufregung und Stress, etwa bei Prüfungssituationen. Wir wissen, dass das Zittern nicht in den Händen oder Beinen, die zittern, entsteht. Es handelt sich um eine Vibration in den Kommunikationskreisen von Hirnarealen. Wenn ein Areal zum anderen spricht und das wiederum zu einem dritten und so quasi eine Art Kreis-Kommunikation entsteht, die sich aufschaukelt.
Das ist so, wie in einem alten Auto, in dem das Armaturenbrett bei einer bestimmten Geschwindigkeit wackelt. Deshalb können wir im Gehirn gezielt modulieren. Bei Patienten, bei denen Medikamente nicht ausreichend helfen, implantieren wir tief im Gehirn Elektroden, um mit feinen elektrischen Pulsen gegen diese aufgeschaukelten Erregungskreise vorzugehen. Das ist der sogenannte Hirnschrittmacher. Damit lässt sich das Zittern sehr effizient unterdrücken und der Tremor fast vollständig beseitigen.
Ist das eine sichere Methode?
Das ist eine sehr sichere Methode, die wir seit zwei Jahrzehnten in Deutschland verwenden. In unserer Klinik allein werden über 40 Eingriffe im Jahr, also ungefähr einer pro Woche, durchgeführt. Das hilft vielen Patienten enorm: Sie können wieder ihren Berufen nachgehen. Was heutzutage an einigen Unikliniken schon gemacht wird, ist, dass man das Zitter-Netzwerk durch gezielten fokussierten Ultraschall mit der MRT-Technik bestimmte Hirnareale heraussuchen kann und diese quasi mit einem Strahlenschuss kurzzeitig erhitzt, sodass die Nervenzellen an der Stelle verkochen. Das führt dazu, dass das Zittern bei vielen dieser Patienten auf Dauer unterbrochen ist.
Die Forschung im Bereich Tremor ist offenbar schon sehr weit. Wo liegt noch Potenzial?
Der eigentliche Mechanismus, der dazu führt, dass Patienten zu zittern beginnen, ist bei einigen wichtigen Erkrankungen noch nicht bis ins Letzte verstanden. Ein triviales Beispiel ist, dass viele Menschen mit Tremor wissen, wie gut Alkohol wirkt. Zum Teil so gut, dass der eine oder andere tatsächlich in einen Alkoholismus verfällt, weil er weiss, dass mit einer kleinen Einheit Wodka das Zittern erst einmal für einige Stunden verschwunden ist. Wenn wir herausfinden würden, warum der eine oder andere Patient wirklich zittert, welche Regionen verändert sind, welche Gene verändert sind, dann glaube ich, dass wir Patienten noch deutlich besser helfen könnten.
Hat sich in den vergangenen Jahren ein Trend bemerkbar gemacht?
Wir haben bemerkt, dass es einigen Patienten mit Tremor-Symptomen seit Beginn der Corona-Pandemie sehr viel besser geht. Das liegt wohl daran, dass sie nicht mehr gezwungen sind in der Öffentlichkeit zu sein. Das ist aber auch eine grosse Gefahr, weil viele mit Bewegungsstörungen lieber alleine zu Hause bleiben. Aus meiner Sicht das grösste Probleme seit Beginn der Krise ist Einsamkeit. Und Einsamkeit macht krank.
Das andere Problem ist ein banales: Viele Menschen, die in der Büro-Welt leben, sind ins Homeoffice gezogen und müssen Videokonferenzen machen. Das stellt für Menschen mit Tremor schlichtweg ein Problem dar. Da ist es schwierig, den kleinen Button zu treffen, dass das Mikro aktiv geschaltet wird. Das führt dazu, dass einige bei den Videokonferenz etwas sagen möchten, nicht rechtzeitig das Mikro anbekommen und dann ist die Chance schon wieder vorbei. Solche Probleme kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man nicht zittert. Wir sehen leider auch, dass einige es aus Angst vor Ansteckung seit Corona meiden, ihre Ärzte zu sehen.
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