Die meisten Menschen halten sich für tolerant. Schaut man allerdings genauer hin, sind es nur die wenigsten. Die Diskriminierung von Personen, die anders aussehen, leben und lieben, ist in vielen Köpfen fest verankert. Oft auch unbewusst.
Der 17. Mai ist Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie, ein Tag also, der auf die Stigmatisierung und Diskriminierung von diversen sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten aufmerksam machen soll. Doch braucht es einen solchen Aktionstag heutzutage überhaupt noch?
Wir leben in Zeiten der Diversität und Inklusion, zumindest bei oberflächlicher Betrachtung. Immer mehr Medien verwenden eine genderneutrale oder gendersensible Sprache, Menschen mit diversen Geschlechtsidentitäten werden zunehmend sichtbarer in TV und Film, Prominente outen sich oder erklären sich zu Verbündeten der LGBT+-Community.
Und die Modebranche diskutiert, ob die geschlechtsspezifische Einteilung von Kleidung überhaupt noch zeitgemäss ist (und zwar nicht erst, seit Popsänger
Irren ist menschlich
Gute Nachrichten auch aus der Instagram-Welt: Zukünftig können Nutzer und Nutzerinnen hier ihre bevorzugten Pronomen (zum Beispiel "sie/ihr", "er/ihm", "they/them" ...) in einem Textfeld direkt neben ihrem Namen ergänzen. Das soll bei der Orientierung helfen.
Denn bislang entscheiden wir meist anhand des "sichtbaren Geschlechts", welches Pronomen oder welche Anrede wir verwenden, wenn wir Fremde adressieren. Doch: Aussehen und Geschlechtsidentität können unterschiedlich sein – deshalb können wir leicht irren, was zum Beispiel für Transmenschen schmerzlich sein kann.
Wozu dennoch ein solcher Aktionstag? So begrüssenswert manche gesellschaftlichen Entwicklungen auch sein mögen: Andere Entwicklungen sind zutiefst besorgniserregend, wie ein Blick in die Statistiken offenbart. Laut Bundesinnenministerium wurden 2020 insgesamt 782 homo- und transphob motivierte Straftaten registriert, darunter 154 Gewaltdelikte – ein Anstieg von 36 Prozent gegenüber 2019. Und auch in unserem Nachbarland Frankreich stieg die Zahl der homo- und transphob motivierten Straftaten im vergangenen Jahr um 36 Prozent.
Ist das nicht (Conchita) Wurst?!
Aber was genau "motiviert" Menschen zu solchen Taten? Wovor haben homo- oder transphobe Menschen konkret Angst? Weshalb bereitet es manchen Menschen Unbehagen, wenn sich zwei Männer im Fernsehen oder auf der Strasse küssen? Oder eine Person mit Vollbart Kleid und Make-up trägt? Ist das nicht (Conchita) Wurst?! Letztlich geht es darum, dass sich Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität in unserer Gesellschaft wertgeschätzt und willkommen fühlen.
Umso wichtiger, dass es den heutigen Aktionstag gibt. Denn er macht auch auf unbegründete Ängste, unterschwellige Vorurteile und verletzende Verhaltensweisen aufmerksam, die in unserer Gesellschaft existieren – und in unseren Köpfen. Und das schliesst auch jene von uns ein, die sich als Verbündete der LGBTQ+-Community begreifen.
Schwul ist kein Schimpfwort
Anders ausgedrückt: Wir können gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie sein – und dennoch unbewusst Fehler machen. Schon alleine deshalb, weil wir bestimmte Denkmuster oder Ausdrucksweisen erlernt und verinnerlicht haben, so erzogen und sozialisiert wurden.
Mittlerweile wissen die meisten Schulkinder, dass "schwul" kein Schimpfwort ist, mit dem man sich über eine unangekündigte Klassenarbeit aufregt. Bis vor ein paar Jahren war das anders. Was uns heute etabliert erscheint, war noch gestern ein Tabu: Erst seit 1. Oktober 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland heiraten; bis vor drei Jahren wurde Transsexualität von der WHO noch als Krankheit geführt.
Das soll und darf keine Entschuldigung sein. Entscheidend ist, dass wir unser Bewusstsein schärfen, dass wir einander unterstützen und uns so verhalten, dass wir einander nicht verletzen. Wer im konkreten Fall nicht weiss, wie das geht: einfach fragen. Vor Homo-, Bi-, Inter- und Transmenschen muss nämlich keiner Angst haben.
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