- Online-Dating ist heutzutage eine der vielen Möglichkeiten, jemanden kennenzulernen.
- Doch hat diese Art des Kennenlernens möglicherweise einen Einfluss auf die spätere Beziehung?
- Paartherapeut Eric Hegmann klärt im Interview mit unserer Redaktion auf.
Online-Dating ist mittlerweile omnipräsent. Viele Singles, die auf der Suche sind, lernen ihre Dates heutzutage auf Portalen und Apps wie Parship, Tinder, Grinder, Bumble oder Elite Partner kennen. Sie chatten, verabreden sich und manchmal entsteht daraus eine ernsthafte Beziehung. Wir haben Paartherapeut Eric Hegmann gefragt, ob das Kennenlernen über Dating-Apps einen Einfluss auf die Beziehung hat.
Wie stehen Sie als Paartherapeut ganz allgemein zum Thema Online-Dating? Gibt es dabei möglicherweise eine Problematik oder besondere Vorteile?
Eric Hegmann: Für meine Arbeit mit Paaren und Partnersuchenden ist unwichtig, wo sich die Partner kennengelernt haben. Vielmehr ist die Partnerwahl entscheidend und die Gründe hierfür. Grundsätzlich stellt Online-Dating eine Chance dar, Menschen kennenzulernen ausserhalb des eigenen Trampelpfades von Freundeskreis, Arbeitsumfeld und Freizeit, denen man sonst nie begegnet wäre. Das kann es einfacher machen, neue Kontakt zu knüpfen. Auch in der Pandemie haben wir erlebt, dass es ein Segen ist, dass wir dort, wo wir uns 24/7 aufhalten, eben auch neue Kontakte herstellen oder bestehende vertiefen können.
"Wir haben uns über Tinder kennengelernt." Diesen Satz hört man inzwischen immer häufiger, doch nach wie vor hat es einen schlechten Ruf, sich über Online-Dating kennengelernt zu haben. Was glauben Sie, woran liegt das?
Online-Dating gibt es seit 20 Jahren. Seitdem meldet das Statistische Bundesamt, dass Ehen wieder länger werden, überhaupt wieder mehr geheiratet wird und sich weniger Paare scheiden lassen. Online- und Offline-Dating haben sich längst vermischt. Je nach Milieu und Altersgruppe sind zwischen 50 und 90 Prozent der neuen Beziehungen über einen Online-Kontakt entstanden, sei es über Tinder, Parship oder Instagram. Der schlechte Ruf wird vor allem über angeblich neue "Dating-Phänomene" wie Ghosting herbeigeschrieben. Das sind aber reine Suchmaschinen-Optimierungsmassnahmen, damit Artikel über neue Suchworte gefunden werden können. So wurde aus dem plötzlichen Kontaktabbruch "Ghosting" oder dem Verbleiben bei einem nicht erfolgreichen Partnerschema "Groundhogging". Das gab es aber bereits vor Online-Dating. Die Verrohung der Kommunikation, die es in Kommentarspalten gibt, gibt es leider auch beim Kennenlernen.
Also spielt das "Wie" des Kennenlernens, egal ob online oder offline, in der Beziehung keine Rolle?
Nein. Relevant ist, wie die Partner das Kennenlernen erlebt haben, nicht wo es stattfand. Also war da sofort eine Verbindung? Fühlte ich mich sicher und wohl? War der Start holprig und von Zweifeln begleitet?
Beim Online-Dating werden den Suchenden Partnervorschläge gemäss der persönlichen Angaben gemacht. Glauben Sie, dass es so einfach ist? Wenn ja, wäre das dann nicht sehr unromantisch?
Kennenlernen ist nur in Filmen romantisch. Die Wirklichkeit ist anders und folgt eben nicht dieser "Disneyfizierung der Liebe", wo zwei Menschen von der Liebe auf den ersten Blick wie ein Blitzschlag getroffen werden, dann unüberwindbare Hindernisse erleben, um sich dann zu finden. Eine solche Achterbahnfahrt der Gefühle ist für eine wahre Beziehung auf Augenhöhe ein denkbar schlechter Start. Wenn Sie mit 120 Prozent beginnen, dann können Sie danach nur abstürzen. Wenn Sie aber einander immer besser kennenlernen, immer mehr gemeinsam erleben, sich austauschen und zusammenwachsen, dann starten Sie bei einem tollen ersten Date eher mit 70 Prozent und haben dann noch Luft nach oben. Ihre Beziehung soll ja über Jahrzehnte halten und wachsen und nicht immer weiter nachlassen.
Durch Dating-Plattformen weiss man bereits im Vorhinein eine ganze Menge über sein potenzielles Date. Wird damit die Kennenlernphase nicht bereits vor dem ersten Treffen eingeleitet?
Vor Online-Dating waren der Freundeskreis und der Arbeitsplatz die erfolgreichsten und am weitesten verbreiteten Kuppler. Die funktionierten deshalb so gut, weil man durch dieses gleiche Umfeld viele Dinge teilte und sich auf einer Wellenlänge wähnte. Um sich zu verlieben, benötigen die meisten Menschen viele Gemeinsamkeiten, denn die geben ihnen Sicherheit und schaffen Sympathie. Das Bedürfnis, viel über den anderen zu erfahren und heute eben auch den neuen Kontakt zu googeln, ist nur eine moderne Entsprechung dieses Wunsches. Leider führt dies dazu, Menschen vorschnell einzuordnen, basierend auf früheren Erfahrungen der Klischees. Hier wäre sicher in vielen Fällen mehr Offenheit schön, um dem anderen und sich eine Chance zu geben.
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Verkompliziert es den Start in eine Beziehung, wenn einer oder beide Partner durch die App oder Website mit mehreren Dates in Kontakt ist oder auf mehrere Dates gegangen ist?
Paralleles Daten ist nach meiner Beobachtung der häufigste Grund für Ghosting, also den unerklärten Kontaktabbruch. Das hat sich zu einem sehr schmerzhaften Standard des Kontaktabbruchs entwickelt. Und der ist tatsächlich gefährlich, denn dadurch verlieren viele Singles das Vertrauen in neue Kontakte. Sie entwickeln dann Schutzstrategien, entweder sie klammern oder sie lassen niemanden mehr an sich heran. Wir erleben heute mehr Begegnungen und Beziehungen als unsere Eltern, Grosseltern und Urgrosseltern zusammen. Diese Erfahrungen, die ja alle mit einer Trennung, mit einer Zurückweisung oder Verlust enden, die machen etwas mit uns. Sie nagen bei manchen stark am Selbstwert, andere erleben Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit. Ich behandle sogar Patientinnen und Patienten, die nach einem solchen Erlebnis eine Anpassungsstörung entwickelt haben oder sich sogar selbst als traumatisiert bezeichnen.
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