Nie war es leichter, Menschen kennenzulernen. Doch das Verlieben? Das klappt nur bedingt. Eine Liebe über Tinder & Co. ist manchmal nur halb so romantisch wie den Traumpartner an der Kühltheke oder beim Gassigehen mit dem Hund zu treffen. Haben wir das Dating verlernt?

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Jeder dritte Bundesbürger sucht seinen potenziellen neuen Liebespartner online. Das ergab eine Umfrage von Bitkom Research. Bei den 16- bis 29-Jährigen sind es sogar 47 Prozent. Bei den 30- bis 49-Jährigen sind es 39 Prozent, bei den 50- bis 64-Jährigen 35 Prozent. Die Altersgruppe 65 plus ist mit 11 Prozent vergleichsweise wenig aktiv und noch analoger unterwegs.

Ein lockerer Spruch an der Bar scheint out. Ein Klick, ein Swipe, ein Date. So wird sich heute verliebt. Doch eine veränderte Dating-Welt erfordert auch neue Datingregeln, damit das mit der Liebe am Ende auch wirklich klappt.

Buchautorin Dreesbach: "Kein Date war eine Vollkatastrophe"

Eine, die es wissen muss, ist Buchautorin Anne Dreesbach. Nach 20 Jahren Beziehung war sie plötzlich wieder Single – und im Haifischbecken der neuen Datingwelt verloren.

"Ich habe schnell gemerkt, oldschoolmässig komme ich hier nicht weit. Also musste ich dem Online-Dating eine Chance geben", erzählt die Autorin des Buches "Liebe lieber analog".

Schlecht waren die Erfahrungen der Autorin nicht – und trotzdem, so richtig warm wurde sie mit dem Online-Dating nicht. "Kein Date war eine Vollkatastrophe, trotzdem schwebte über jedem Date dieses Damoklesschwert des 'Sehen wir uns wieder?' und 'Ist er der Richtige?'."

Nicht gleich aufgeben, besser dreimal daten

Das sei ein Fehler, den viele Menschen laut Dreesbach beim Online-Dating machen. Es sei hektisch, viele Menschen würden Date für Date abarbeiten und viel zu schnell Entscheidungen treffen. "Und das oft gegen sein Gegenüber." Schliesslich gebe es ja noch genügend Auswahl und jede Menge weitere Dates.

"Doch das ist das Problem. Beim ersten Date sind wir aufgeregt, unentspannt und können uns nur bedingt von unserer besten Seite zeigen." Dreesbach wünscht sich, dass sich die Menschen beim Dating Zeit geben. "Wenn das Treffen nett war, warum nicht nochmal treffen?"

Auch Partnerschaftsvermittlungen arbeiten oft nach diesem Prinzip. Potentielle KandidatInnen müssen unterschreiben, dass sie jeden Date-Partner mindestens dreimal treffen. "Das macht total Sinn. Denn frühestens beim dritten Date ist man halbwegs normal und kann sich normal unterhalten und besser einschätzen", sagt die Autorin des Dating-Buches.

Die Erfahrung ist aber oft eine andere. Nach einem ersten Date herrscht dann: Funkstille. Kein Wort, obwohl der Abend gut lief. Keine Nachricht, keine Frage, auch kein zweites Date. Dieses sogenannte "Ghosting" schmerzt. "Online-Dating verändert uns Menschen – und das nicht immer zum Besten", sagt Dreesbach.

Die Kommunikation wird beendet, Ghosting ist die Folge. "Wir werden verletzt, wütend und aggressiv." Passiert das öfter, wächst die Wut aufs andere Geschlecht. "Was total verständlich, aber auch schade ist."

Selbstversuch: Funktioniert analoges Dating noch?

Dreesbach merkte schnell nach mehreren Online-Dates, dass das nicht ihre Welt ist. Funktioniert analoges Dating noch? Das wollte sie ausprobieren. "Das war der Moment, in dem mir die Idee zum Buch kam", sagt die Autorin.

Gleichzeitig wurde ihr bewusst: Einfach wild drauf los flirten im Supermarkt funktioniert genauso wenig. "Also habe ich mir erstmal gesagt, ich versuche, jeden Tag Menschen anzusprechen und so mit den verschiedensten Menschen analog ins Gespräch zu kommen."

Sie besucht einen Italienisch-Kurs, spricht mit alten Damen auf der Strasse und irgendwann auch mit tollen Männern. "Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, hat erst die Chance, tolle Männer und Frauen zu sehen."

Die Realität sieht oft anders aus: Wir sitzen in der U-Bahn vor dem Smartphone, bleiben in Gruppen und brechen jeden Smalltalk bei Beginn ab. "Dabei sollte man wissen: Auch Thomas Mann hat seine Frau in der Strassenbahn kennengelernt", lacht Dreesbach.

Die drei grossen Dating-Fehler

Für die Autorin sind die häufigsten Fehler beim Dating, dass die Menschen zu früh Entscheidungen treffen. "Man sollte sich einfach nach dem Date fragen: War es nett und würde ich mit demjenigen nochmal einen Kaffee trinken? Wenn die Antwort ja lautet, machen."

Das Dating müsse wieder entschleunigt werden. Weg von der Zielorientierung hin zum Weg. "Dating kann Spass machen und man sollte es einfach geniessen und nicht schon an Hochzeit und Ehe denken."

Ein zweiter Fehler, den laut Dreesbach viele Menschen machen: "Spielchen spielen." Unbedingt aufhören, lautet das Motto der Autorin. "Wir müssen offen kommunizieren, was wir wollen. Zeitnah und direkt. Dann weiss jeder, woran er ist."

Ansonsten warnt Dreesbach vor dem dritten grossen Fehler, den viele Menschen machen: "Bitte nicht zu früh von seinem schwierigen, vergangenen Liebesleben erzählen."

Smalltalk will gelernt sein. Geheimnisse und Probleme sollte man laut Autorin erst auspacken, wenn eine Bindung vorhanden ist. "Sie würden ja auch nicht jedem in der U-Bahn ihre Geschichte erzählen, oder?"

Online-Blind-Date: Ist das überhaupt das Richtige für mich?

Wer vom Dating frustriert ist, sollte einfach das machen, was ihm Spass macht. "Vergessen Sie erstmal das Dating und nutzen Sie die Chance, sich auf ganz normale Art und Weise Menschen anzunähern. Über einen Verein, einen Sprachkurs oder eine Reise." Das Leben habe so viel zu bieten – auch abseits der Suche nach der grossen Liebe.

Wenn dann ein Date steht, heisst es "cool bleiben". Wer aber vor jedem Online-Blind-Date kurz vorm Umkippen steht, sollte laut Dreesbach für sich den Check machen: Ist das überhaupt das Richtige für mich?

"Vielleicht muss man dann einfach raus ins analoge Leben und Menschen anders kennenlernen, als in der künstlich erzwungenen Situation des Online-Datings."

"Wer Fragen stellt, hat Interesse"

Doch wie finden wir heraus, ob sich ein Treffen lohnt? "Checken Sie, ob elementare Fragen gestellt werden. Wer Fragen stellt, hat Interesse", sagt Anne Dreesbach.

Schwieriger wäre es, wenn das Gespräch zu schnell und früh in Richtung Sex rutscht. "Für alle, die einen One-Night-Stand suchen, ist das okay." Ansonsten Finger weg, für eine Beziehung sei das die falsche Richtung.

Und hat es bei der Autorin zu "Liebe lieber analog" geklappt? "Ja, ich war erfolgreich", lacht Dreesbach. Ihren neuen Partner traf sie ganz analog in einer Buchhandlung.

Verwendete Quellen:

  • Anne Dreesbach "Liebe lieber analog – 99 Offline-Dating-Ideen"
  • Bitkom-Research-Umfrage via dpa
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