Wann sollte ein Paar eine Paartherapie besuchen und worum genau geht es im Rahmen der Sitzungen eigentlich? Paartherapeutin Carlotta Baehr im Gespräch über Fallstricke in Beziehungen, wann der Weg zur Paartherapie sinnvoll ist und die Unterschiede bei Frauen und Männer während der Sitzungen.

Ein Interview

Wann sollte ein Paar eine Paartherapie besuchen?

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Carlotta Baehr: In der Regel bekommen Paare es gut hin, viele Dinge im Rahmen ihrer Beziehung zu verhandeln. Mitunter wird ihnen dieser Prozess gar nicht wirklich als Verhandlung deutlich, weil sie Lösungen zu gemeinschaftlichen Fragen finden. Damit kann etwa das gemeinschaftliche Führen des Haushalts oder die Kindererziehung gemeint sein. Meistens werden Kompromisse geschlossen – mal funktioniert das einfacher, mal etwas schwerer.

Bei den meisten Paaren ist irgendwann aber ein Punkt erreicht, an dem keine Kompromisse zu bestimmten Themen mehr gefunden werden können. Führt diese Kompromisslosigkeit dann zu ernsthaften Konflikten, in deren Folge sich dann etwa viel gestritten wird oder ein Part sich nur noch anpasst, wird es auf längere Sicht gesehen für beide Seiten sehr problematisch. An diesem Punkt gehen Paare häufig den Schritt in die Therapie. Es geht darum, sich nicht der lieben Harmonie willen Stück für Stück als Individuum aufzugeben, sondern sich selbst treu zu bleiben, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und den Partner oder die Partnerin auch in schwierigen Situationen im Blick zu behalten.

Wirklich jeder Mensch kann ein wenig Hilfestellung gebrauchen. Immerhin haben wir alle nicht gelernt, wie Beziehungen funktionieren.

Carlotta Baehr, Paartherapeutin

Gibt es auch Paare, die eine harmonische Beziehung führen und prophylaktisch eine Paartherapie besuchen?

Das wäre auf jeden Fall sehr wünschenswert, weil ich glaube, dass wirklich jeder Mensch ein wenig Hilfestellung gebrauchen kann. Immerhin haben wir alle nicht gelernt, wie Beziehungen funktionieren, damit meine ich vor allem längerfristige Beziehungen. Mir sind in meiner Praxis schon Paare begegnet, die es zunächst so darstellen, nie zu streiten oder keine Probleme zu haben. Im konkreten Austausch werden die Probleme in der Regel aber schnell deutlich – zumindest auf einer Seite gibt es immer einen Leidensdruck. Ein Part bringt in der Regel also immer ein Leiden oder eine psychische Labilität mit in die Gespräche.

Die konkrete Aufgabe der Paartherapeutin

Was ist Ihre konkrete Aufgabe als Paartherapeutin? Sind Sie eine Art Moderatorin im Austausch des Paares?

Wenn ich moderieren würde, wie ein Paar sich streitet oder sich innerhalb einer Krise verhält, könnte ich nicht helfen. Natürlich kann ich durch meine Anwesenheit Einfluss darauf nehmen, dass ein Paar sich im Gespräch besser zuhört oder sich nicht mehr ständig ins Wort fällt, aber das allein reicht nicht aus, um eine bessere Kommunikation stattfinden zu lassen.

Letztendlich geht es darum, zu verstehen, welche destruktiven Anteile ein Part in die Beziehung einfliessen lässt. Meine Rolle ist in diesem Zusammenhang, mit den Paaren zu überlegen, wo und wie eine Veränderungsbereitschaft zu finden ist. Es gilt also, Fragen zu klären, wie "Wo liegen meine Anteile an der Situation?" Häufig ist es so, dass Menschen die Anteile der Probleme eher beim Gegenüber sehen und nicht bei sich. Meine therapeutische Haltung ist also, ein Paar an den Punkt zu leiten, an dem sich ein jeder auf die Schliche kommt.

Was muss ein Paar tun, um sich, wie Sie sagen, selbst auf die Schliche zu kommen?

Es gilt, sich hier konkret mit Fragen zu konfrontieren. Dazu zählen etwa Fragestellungen wie "Worin liegt mein Beitrag darin, dass wir immer wieder in dieselben Streitereien und kritischen Situationen geraten?" oder "Was bin ich bereit zu verändern, um eine andere Dynamik herzustellen?" Jedoch wollen viele Menschen diese Konfrontation bei sich selbst nicht sehen, da es natürlich zunächst naheliegender ist, die Probleme beim Gegenüber zu suchen. Vielen fehlt aber auch der selbstreflektierte Blick auf sich selbst, was eine Auseinandersetzung dementsprechend erschwert.

Nehmen Sie einen Wandel bei den Menschen wahr, wenn um Therapien geht?

Ja. Je jünger die Menschen, desto offener sind sie mit Blick auf Therapien. Vor allem in der Altersgruppe von 25 bis 30 Jahren spielen natürlich die sozialen Medien eine entsprechende Rolle. Meine Tochter ist 20 und berichtete mir kürzlich von der Erfahrung, die sie auf einem Musik-Festival gemacht hat. Dort sprachen sich drei Musiker nach ihrem Auftritt vor dem Publikum dafür aus, wie wichtig es sei, sich in schwierigen Lebenslagen professionelle Hilfe zu holen. Das finde ich toll und ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Appelle dieser Art heute so öffentlich stattfinden. Im Gegenzug wird es in der Altersgruppe 50 plus bei Konzerten solche Appelle wohl eher nicht oder weniger geben.

Tabuisierung von psychischen Erkrankungen

Sprechen wir also – je nach Altersgruppe – von einer Tabuisierung von psychischen Erkrankungen und Therapieformen?

Grundsätzlich schon – und das ist fatal. Die Statistik sagt eindeutig, dass die Zahl psychischer Erkrankungen, von leichten Depressionen bis hin zu schweren psychischen Erkrankungen, stetig steigt. In den vergangenen zehn Jahren gab es einen rasanten Anstieg – trotzdem findet noch keine wirkliche Enttabuisierung statt. In der breiten Masse herrscht noch häufig das Vorurteil, "psychisch gestört", "nicht ganz richtig im Kopf" oder "nicht normal" zu sein. In den Köpfen der Menschen kursiert der Glaube, Menschen mit psychischen Erkrankungen, wie etwa Depressionen, seien gefährlich. Somit herrscht nach wie vor eine Bandbreite an Vorurteilen im Denken vieler Menschen.

Paartherapie, Liebe, Beziehung, Tipps

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Wie so häufig gehen wir davon aus: Wenn das für mich so oder so ist, dann ist das bei dem anderen auch so. In der Beziehung wird das zum klassischen Problem. Wir übersehen sogar die Signale der Liebe, die uns der andere sendet. (Bild: istock/vadimguzhva)

Wie alt sind die Paare, die Sie therapieren, durchschnittlich?

Es sind alle Altersgruppen vertreten. Die jüngsten Paare sind etwa Ende 20. Deutlich jüngere Paare gibt es eher nicht. Vermutlich, weil sie sich noch in einer Findungsphase befinden, überhaupt eine ernste Beziehung zu führen. Mit Ende 20, Anfang 30 befassen sich viele Menschen mit Themen wie der Familienplanung oder dem Kinderwunsch. Beziehungen werden intensiver und es geht um mehr. Insofern besuchen mich häufig Paare im Alter von Anfang, Mitte 30.

Dann gibt es noch die etwas ältere Altersgruppe. Bei diesen Paaren sind häufig die Kinder bereits aus dem Haus und es treten vermehrt Themen wie etwa Krankheiten auf. Es geht also immer um Umbruchsituationen oder schwierige Umstände, die eine gewisse Belastung in die Beziehung bringen. Dazu können auch der Antritt der Rente oder die Frage nach dem Sinn des Lebens gehören. Allgemeingültig kann man sagen: Durch sogenannte Schwellensituationen, in denen ein Umbruch stattfindet, können Paare in Krisen gelangen, die sie schliesslich häufig in die Therapie bringen.

Entschluss zur Therapie: "Frau bringt den Stein meistens ins Rollen"

Wenn wir von einer heteronormativen Paarbeziehung ausgehen – welches Geschlecht äussert Ihrer Erfahrung nach eher den Impuls, sich in Therapie zu begeben?

Witzigerweise frage ich die Paare häufig, wer den Vorschlag gemacht habe, eine Therapie zu beginnen. Dazu muss ich sagen, dass ich in etwa zwei Drittel der Fälle die Anfragen von Männern erhalte. Das vermittelt zunächst das Bild, der Mann sei der Initiator des Ganzen. In der ersten Sitzung mit dem Paar stellt sich dann aber häufig recht schnell heraus, dass die Idee, eine Paartherapie zu machen, von der Frau geäussert wurde, während sich der männliche Part um die Terminfindung gekümmert hat. Insofern kann ich sagen, dass der sprichwörtliche Stein meistens von der Frau ins Rollen gebracht wird.

Fällt es den Männern also schwerer, sich im Rahmen einer Therapie zu öffnen?

Anfangs zieren sie sich häufig mehr als die Frau. Haben sie aber zusammen mit ihrer Partnerin den Weg in die Therapie gefunden, steht das natürlich für die Einsicht, etwas an der Beziehung verändern zu wollen. Auch wenn die Frau häufig also den Impuls gibt, eine Paartherapie zu besuchen, sind die Männer in der Regel dennoch motiviert, mitzuarbeiten.

"Grundsätzlich würde ich sagen, dass Frauen eher die veränderungsbereiteren Menschen sind"

Nichtsdestotrotz klingt es etwas nach dem vorherrschenden Klischee, dass Frauen diejenigen sind, die die Dinge besprochen haben wollen …

Grundsätzlich würde ich sagen, dass Frauen eher die veränderungsbereiteren Menschen sind. Das beginnt schon bei optischen Veränderungen, etwa der Inneneinrichtung des Hauses. Im Vergleich dazu sind Männer in der Regel eher daran interessiert, Dinge zu sichern. Diese Attribute kann man den Geschlechtern durchaus zuordnen.

In einer Therapie, in der es viel um Gefühle geht, fällt es Männern zunächst oft schwer, sich entsprechend einzulassen. Sobald die erste Scheu aber überwunden ist, lassen sie sich in der Regel sehr intensiv auf die Gespräche ein. In meiner Paartherapie sitzt der Mann zudem mit zwei Frauen im Raum. Hier ist es wichtig, nicht den Eindruck zu erwecken, die Frauen würden sich gegen den Mann solidarisieren. Sobald aber meine neutrale Rolle im Rahmen der Sitzungen verstanden und angenommen wird, entwickelt sich meistens ein konstruktiver Austausch – auch wenn der Mann zunächst skeptisch war.

Beobachten Sie Fälle, in denen Paare, die in Paartherapie sind, die therapeutische Begleitung vor ihrem Umfeld verheimlichen?

Ich höre häufig, dass im Freundeskreis irgendwann von der Therapie erzählt wird. Nicht selten treffen die Paare dann auf überraschte Reaktionen, weil nach aussen ja das Bild einer heilen Beziehung gezeichnet wurde. Häufig wird dann im Rahmen dieses Austauschs deutlich, dass auch im Freundeskreis schon Paartherapien besucht wurden. Somit finden zwar Outings statt, die Scham spielt aber noch immer eine grosse Rolle, wenn es darum geht, die Therapie und die Gründe dafür zu kommunizieren. Die Überwindung spielt für viele Menschen nach wie vor eine grosse Rolle.

Der Irrglaube, man müsse alles im Leben alleine schaffen, spielt häufig noch eine sehr grosse Rolle.

Carlotta Baehr, Paartherapeutin

Sobald die Betroffenen dann aber feststellen, dass Therapien auch im Freundeskreis eine Rolle spielen, löst sich die Scham …

Ja, viele Menschen verbinden die Paartherapie immer noch mit Gedanken "Unsere Beziehung stimmt nicht". Der Irrglaube, man müsse alles im Leben alleine schaffen, spielt häufig noch eine sehr grosse Rolle – auch in Bezug auf unsere Beziehungen. Das Outing, viel zu streiten oder seit Jahren keinen Sex miteinander gehabt zu haben, stellt für viele Menschen eine grosse Hürde dar. Dann sind da noch jene, die sich etwa in einer gewaltvollen Beziehung befinden und Hilfe benötigen. All diese Dinge klar zu benennen, hat etwas mit Outings zu tun – aller kritischen Auswirkungen inklusive.

Beziehungsaus trotz Paartherapie?

Gibt es auch Fälle, in denen trotz Paartherapie die Beziehung in die Brüche geht und Sie eine Trennung begleiten?

Ja, die gibt es auch. Als erfahrene Therapeutin kann ich aber sagen, dass es sich in der Regel sehr früh abzeichnet, ob ein Part des Paares mehr daran interessiert ist, die Beziehung zu beenden. Häufig ist es so, dass ein Part grosse Angst davor hat, den letzten Schritt zur Trennung zu gehen – in diesem Fall werden die Gespräche im Rahmen der Therapie genutzt, um mit meiner Hilfe diese Herausforderung zu meistern.

Dazu muss man sagen, dass Paarbeziehungen freiwillig geführt werden – insofern kann eine Beziehung auch beendet werden. Nur ist das für manche Menschen mitunter sehr schwierig. Vor allem, wenn es sich um eine langjährige Beziehung handelt oder Kinder im Spiel sind, zeigen Beobachtungen, dass nicht selten eine sehr lange Ambivalenzphase eintritt, die bis zu zwei Jahren dauern kann.

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Paare, die sich in Paartherapie begeben, tragen die Kosten für die Sitzungen selbst; der finanzielle Aspekt spielt also eine entsprechende Rolle. Gibt es eine Art Faustregel, auf welche Beträge sich die Paare einzustellen haben?

Auf meiner Website sind die Kosten für die Sitzungen transparent ersichtlich. In der Regel treffe ich Paare zwischen acht und zehn Mal – manche brauchen länger, um aus ihren Dynamiken und alteingesessenen Prozessen herauszufinden, andere weniger lang. Es gibt auch Paare, die ich über mehrere Jahre begleite, das ist immer individuell.

Wenn das Paar aber nach der fünften Sitzung nicht verstanden hat, wo die Probleme in der Beziehung verankert sind und woran gearbeitet werden muss, kann es meiner Erfahrung nach an dieser Stelle nicht weitergehen. Mein Konzept ist demnach so aufgebaut, dass es fünf vereinbarte und hoch frequentierte Sitzungen gibt, nach denen ein Resümee gezogen und in die Zukunft geblickt wird. So kann das Paar selbst entscheiden, ob und in welcher Frequenz es mit der Therapie weitergeht und zudem die anfallenden Kosten realistisch überblicken.

Zur Person:

  • Carlotta Baehr ist Paar-, Sexual-, Familien- und Einzeltherapeutin in Hannover. Ein besonderes Anliegen ihrer langjährigen psychotherapeutischen Tätigkeit ist es, dass die Patienten in ihrem Tempo zu ihren eigenen Lösungen und Antworten finden. Denn die Expertin ist davon überzeugt, dass jeder Mensch den Schlüssel zu seiner Problemlösung bereits in sich trägt.
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