Die erste Verliebtheit legt sich mit der Zeit. Und Paare küssen sich in der Regel immer seltener intensiv. Laut einem Psychotherapeuten ist das ein Warnsignal dafür, dass man sich zunehmend entfremdet.
Ein flüchtiger Abschiedskuss oder ein Bussi vor dem Einschlafen. Diese Rituale in Partnerschaften sind zwar durchaus sinnvoll - allerdings sollten Paare sich auch aktiv Zeit nehmen für Küsse. Denn sie sagen eine Menge über die Qualität einer Beziehung aus, meint Psychotherapeut Wolfgang Krüger.
Herr Krüger, wieso küssen sich Paare mit der Zeit immer seltener intensiv?
Wolfgang Krüger: Es gibt Gründe, warum in einer längeren Beziehung die Intensität der Küsse zurückgeht. Der Rückgang des Küssens ist das erste Signal dafür, dass eine zunehmende Entfremdung passiert. Dass man enttäuscht ist, dass man Kritikpunkte hat, dass man nicht kommuniziert. Und im Laufe der Zeit ziehen sich beide zunehmend so zurück, dass vor allem das Küssen weniger wird. Was aber am stärksten zurückgeht, ist zunächst mal das Gespräch. Das merken wir oft gar nicht so sehr. Wir können auch oftmals die Erotik noch halbwegs gut beibehalten. Aber das Küssen ist die intensivste Form einer sinnlichen Begegnung und deshalb ist das Küssen so störungsanfällig. In dem Augenblick, wo wir das Gefühl haben, wir haben eigentlich keine richtige Intimität mehr, keine Nähe mehr, stellen wir als Erstes das intensive Küssen ein. Insofern ist die Frage: Lässt sich diese zunehmende Entfremdung durch Rituale überwinden?
Und wie lautet die Antwort?
Ja und nein. Wenn es sich nur um eine leichte Entfremdung handelt, ja. Wenn es sich aber um eine stärkere Entfremdung handelt, müsste man zunächst einmal die Voraussetzung dafür schaffen, dass man den anderen wieder gerne küsst – ansonsten würde man diese innere Entfremdung überspringen. Und das macht sich dann in der Qualität des Kusses bemerkbar.
Wieso ist es irgendwann so, dass wir kaum noch Lust haben, den anderen zu küssen?
Am Anfang einer Partnerschaft ist man verliebt. Diese Verliebtheit hat zwei Merkmale: Verliebte albern ständig miteinander herum und lachen und sie küssen sich unentwegt. Der Rückgang hängt immer damit zusammen, dass ich vom anderen mehr oder minder enttäuscht bin. Das ist ein Prozess der Ernüchterung. Und wenn das eintritt, sollte man seine Einstellung überdenken. Was sind die Kernansprüche, die ich habe? Und wie kann ich diese kommunizieren, damit der Partner darauf eingeht? Was müsste ich tun, um meine Enttäuschung zu verringern?
Das hört sich so an, als sei es ein Alarmsignal, wenn man sich nicht mehr jeden Tag intensiv küsst …
Das ist es. Weniger Küssen ist eines der interessantesten Frühwarnsymptome. Es ist ein Warnsignal dafür, dass die Leidenschaft ganz erheblich erlahmt. Es ist immer ein Zeichen dafür, dass etwas grundlegend nicht stimmt. Es kann sein, dass ich noch mit dem anderen spreche, dass man zusammen verreist, dass man Erotik hat. Aber die innere Sehnsucht danach, dem anderen nahe zu sein, ist grundlegend beschädigt.
Es reicht also nicht, sich vorzunehmen, sich jeden Tag intensiv zu küssen?
Das hilft, wenn es sich um eine kleine Entfremdung handelt. Wenn das Nicht-Küssen keine böse Absicht ist, sondern die Gründe simpel sind, kann das im Grunde helfen. Wenn das Nicht-Küssen aber ein Zeichen für einen Rückzug aus der Partnerschaft ist, wird die Sache erheblich schwieriger.
Welche Möglichkeiten hat ein Paar dann?
Miteinander reden kann helfen – in vielen Fällen allerdings nicht. Häufig geht der andere nicht so auf einen ein, wie man sich das wünscht. Einige Partnerschaften geraten in ein Tauziehen, wo man den anderen ändern möchte. Das Problem ist, dass über 70 Prozent aller Partner den anderen ändern wollen, aber 90 Prozent der anderen lassen sich nicht ändern. Da ist ein Machtkampf programmiert.
Was kann ich also tun, wenn ich merke, die Partnerschaft entspricht nicht mehr dem, was ich mir gewünscht habe?
Die meisten Partnerschaften geraten in den Zustand einer gewissen Gedämpftheit und Resignation. Man zieht sich zurück und kann vielleicht auch damit leben, aber es geht Leidenschaft verloren. Was man vor allem machen sollte, ist, sein eigenes Leben zu verändern – indem ich meine eigenen Lebensziele verwirkliche, indem ich mehr auf Freunde zugehe, indem ich eine Partnerschaft mit mir selbst beginne. Wer glücklich und zufrieden mit sich selbst ist, ist in der Lage, eine Veränderung der Partnerschaft zu bewirken.
Und dann schafft man es, wieder in diese Verliebtheitsphase zu kommen?
Wir müssen begreifen, was die Verliebtheit ausmacht. Sie besteht aus mehreren Punkten. Es besteht etwas Unsicherheit und das macht den anderen interessant. Für die Partnerschaft bedeutet das: Mehr Zeit in Freundschaften investieren und dem anderen nicht zu sehr auf den Keks gehen. In der Zeit der Verliebtheit versucht man ausserdem, sich interessant zu machen. Wieso sollte sich das in einer Partnerschaft ändern? Der Partner sollte das Gefühl haben, dass die andere Person aufregend und eine grosse Bereicherung für sein Leben ist. Und in der Verliebtheit schenke ich dem anderen viel Bedeutung und Anerkennung, sage ihm, wie wunderbar er ist. Wenn man diese Punkte in der Partnerschaft nicht aus den Augen verliert, gerät man automatisch wieder in den Zustand der Verliebtheit.
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Sich selbst zu ändern, ändert also auch die Partnerschaft?
Ja, das ist das Verrückte. Wenn ich mich auf das eigene Leben konzentriere, in einer anderen Stimmung bin, auf mich selbst achte, Freundschaften habe, werde ich aktiv und reisse den anderen mit. Partnerschaften blockieren regelrecht, weil jeder auf den anderen wartet. Man hat das Gefühl, der andere müsste aktiv werden. Und das, was ich vorschlage, ist ein Weg aus dieser Spirale.
Dafür unerlässlich ist, dass man aktiv an der Beziehung arbeiten möchte. Manche wollen das aber vielleicht nicht. Sie sind fein damit, wenn ihre Beziehung monoton vor sich hin plätschert …
Es gibt natürlich viele Paare, die sich mit dem Zustand arrangieren. Die stellen sich darauf ein, dass man geschwisterlich miteinander umgeht, dass es selten Sex gibt, dass die Gespräche mehr oder minder versanden und kommen damit in irgendeiner Weise klar. Deshalb muss es zumindest einer sein, der an einer Veränderung interessiert ist. Ansonsten ändert sich natürlich nichts.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Wolfgang Krüger ist tiefenpsychologischer Psychotherapeut und Buchautor. Eines seiner Ziele ist es, lebenspraktische und tragfähige Lösungen zur Bewältigung von Schwierigkeiten zu finden. In "So gelingt die Liebe - auch wenn der Partner nicht perfekt ist" gibt er Tipps, wie Paare ihre Beziehung verbessern können.
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