Als Scheidungsanwältin weiss Saskia Schlemmer: Viele Frauen sind im Fall einer Scheidung häufig die Benachteiligten – und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. Umso mehr plädiert die Juristin für rechtliche Aufklärung vor der Ehe statt danach. Im Interview erklärt Saskia Schlemmer ausserdem, warum ein Ehevertrag durchaus romantisch sein kann.
Frau Schlemmer, warum sollten Paare vor ihrer Hochzeit eine Scheidung im Kopf einmal durchgespielt haben?
Saskia Schlemmer: Weil alles andere viel zu naiv wäre. Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden und dass eine Trennung jedes Paar treffen kann, ist ein realistisches Szenario. Spielt man dieses Szenario also nicht zumindest im Kopf einmal durch, kann das meiner Meinung nach fatale Folgen mit sich bringen.
Aus diesem Aspekt heraus ist Ihr Buch "Das Buch, das du vor deiner Hochzeit gelesen haben musst!" entstanden. Darin plädieren Sie für die Ehe auf Augenhöhe – warum ist die Gleichstellung in einer Ehe im Jahr 2024 noch immer ein so kontroverses Thema?
Augenhöhe ist meiner Meinung nach das Geheimrezept für eine lange Partnerschaft – ob mit Trauschein oder ohne. Das Problem in unserer Welt ist jedoch, dass wir diese Augenhöhe schnell verlieren können, weil Machtstrukturen eine Rolle spielen. In zahlreichen Ehen etwa spielt finanzielle Macht eine Rolle, aus der oft ein finanzielles Ungleichgewicht entstehen kann, welches wiederum zu Problemen führt. Es geht also darum, den Partner oder die Partnerin auch in finanzieller Hinsicht anzuerkennen – vor allem dann, wenn die Person unsichtbare und unbezahlte Arbeit leistet. Aus meiner Sicht ist der Schlüssel für Augenhöhe in einer Beziehung also finanzielle Gleichheit.
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Sollten also auch Männer das Buch lesen?
Das Buch richtet sich an Frauen. Ich spreche sie auch direkt an, indem ich sage, dass jede Verlobte oder verheiratete Frau es gelesen haben sollte. Natürlich ist aber alles, was in dem Buch steht, ebenso für Männer relevant, denn das Verständnis für die Sache muss von beiden Eheleuten mitgebracht werden. Trotzdem glaube ich, dass das Buch dabei hilft, dass Frauen sich darin bestärkt fühlen, für sich und ihren Selbstwert einzustehen. Das ist der Grund, warum ich den Adressatenkreis eingeschränkt habe und Frauen konkret anspreche. Denn viele Frauen gehen diese Themen noch immer nicht an und sind im Fall einer Scheidung häufig weiterhin die Benachteiligten – und das nicht nur in finanzieller Hinsicht.
In welcher Hinsicht sind sie es noch?
90 Prozent der geschiedenen Frauen sind alleinerziehend, übernehmen auch nach der Trennung den Hauptteil der Care-Arbeit und arbeiten meist in Teilzeit, womit sie natürlich deutlich weniger verdienen. Umso relevanter ist die Gruppe, die aufgeklärt werden muss.
Warum sind wir noch immer so schlecht aufgeklärt, wenn es um diese Themen geht?
Unsere Gesellschaft ist in dieser Hinsicht an einem Punkt stehengeblieben. Uns wird immer suggeriert, dass die Hochzeit der schönste Tag des Lebens sein soll. Demnach ist eine wahnsinnig hohe Erwartungshaltung an diesen einen Tag geknüpft. Doch darüber, was nach diesem Tag kommt, spricht kaum jemand. Niemand spricht darüber, wie eine Ehe ablaufen sollte und damit meine ich nicht nur die juristischen Aspekte.
Vielmehr laufen viele Paare Gefahr, sich in der Ehe zu verlieren, weil es noch immer tabuisiert wird, darüber zu sprechen, wie Ehe geführt werden sollte und dass es eben auch nicht immer gut laufen muss. Die Bilder einer Ehe, die in den Köpfen vieler Menschen existieren, stimmen mit der Realität nicht überein. Genau das ist meiner Meinung nach das Grundproblem: Denn die Erwartungen an eine Ehe sind häufig so hoch, dass die Wahrscheinlichkeit, enttäuscht zu werden, nur höher sein kann. Wenn wir diese Problematik nicht aus der Tabuzone holen, kann auch keine Aufklärung stattfinden.
Ein weiteres Tabuthema für viele Menschen ist der Ehevertrag, der ein schlechtes Image hat. Warum ist das so?
Sowohl in der Vergangenheit als auch heute fordert in der Regel der wirtschaftlich stärkere Part in einer Beziehung einen Ehevertrag. Viele Menschen denken, es sei also ein Liebesbeweis, ohne Ehevertrag zu heiraten. Dabei fehlt es hier schlichtweg an Aufklärung, denn das negative Bild eines Ehevertrags, das über Jahrzehnte aufrechterhalten wurde, überlagert unsere Vorstellung davon. Umso wichtiger ist es, dass wir ein Verständnis dafür entwickeln, dass ein Ehevertrag auch dafür genutzt werden kann, um den Partner oder die Partnerin abzusichern und die Person davor zu schützen, im Fall einer Trennung wirtschaftlich schlecht dazustehen.
Diese Denkweise ist leider noch nicht präsent in den Köpfen vieler Menschen. Ebenso wenig wie die klar formulierte Forderung "Ich möchte abgesichert sein". Denn in der Regel ist es doch so: Fordert eine Frau einen Ehevertrag, in dem sie nicht nur das unterschreibt, was ihr vorgelegt wird, sondern auch auf Absicherung besteht, wird sie gleich als geldgierig dargestellt. Das ist ein weiterer Grund für das schlechte Image des Ehevertrags.
"Das ist unromantisch" ist eine weitere Begründung, mit der Paare sich häufig gegen einen Ehevertrag entscheiden. Wie begegnen Sie diesem Argument?
Mit dem Gegenargument, dass ein Ehevertrag doch vielmehr das Romantischste ist, was es gibt. Denn wenn der Partner möchte, dass seine Partnerin auch nach einer potenziellen Trennung abgesichert ist und die finanziellen Nachteile, die sich in der Ehe ergeben haben, nicht über eine Scheidung hinaustragen muss, ist das etwas sehr Romantisches. Natürlich kann der Ehevertrag aber auch unromantisch sein, wenn er beinhaltet, dass der Partner oder die Partnerin nach einer Trennung leer ausgeht.
Wie können Paare sich einigen, die mit Blick auf die Aufteilung der Care-Arbeit oder Finanzen grundsätzlich unterschiedlicher Meinung sind?
Gar nicht. Wer in diesen wesentlichen Punkten nicht die gleiche Meinung vertritt, kann sich auch nicht einigen. Davon bin ich überzeugt.
Schlussendlich heiraten viele dieser Paare dann trotzdem …
Ja, das tun sie. Dennoch ist diese Bindung meiner Meinung nach zum Scheitern verurteilt, wenn die grundsätzlichen Werte nicht übereinstimmen. Diese Paare haben ja bereits vor der Ehe nicht die gleiche Vorstellung von Werten. Wie soll es dann in der Ehe besser werden? Die Einsicht ist hart, keine Frage. Lassen Sie uns folgendes Beispiel zeichnen: Erkennt eine Frau erst nach zehn Jahren Ehe, dass ihr Gefühl bezüglich der Aufteilung von Care-Arbeit oder der Kindererziehung richtig war, ist das wirklich bitter für sie. Eine Familie mit einem Partner zu gründen, der also vollkommen andere Vorstellungen von diesem gemeinsamen Leben hat, kann demnach nicht funktionieren. Darüber hinaus vertrete ich die Meinung, dass sich Liebe und Finanzielles nicht voneinander trennen lassen. Es ist eine romantische Vorstellung, aus purer Liebe zu heiraten. Doch wer heiratet, sollte auch bereit sein, mit diesem Menschen alles zu teilen – sowohl finanzielle Güter als auch die Erziehung der Kinder oder unbezahlte Care-Arbeit.
Apropos unbezahlte Care-Arbeit. Noch immer übernehmen deutlich mehr Frauen in einer Beziehung die Care-Arbeit …
Im besten Fall stehen wir in Berufen, die uns viel Spass machen. Nichtsdestotrotz würden wir, allem Spass zum Trotz, keinen Job machen, der unbezahlt ist. In diesem Fall sprechen wir von einem Ehrenamt. Ich glaube, dass – auch wenn Familie etwas Wunderschönes ist – der Preis, den Frauen dafür zahlen, sehr hoch ist. Umso wichtiger ist es, anzuerkennen, dass Mütter eben diesen Preis zahlen und dass Care-Arbeit einen Wert hat. Natürlich übernehmen die Mütter häufig gerne die Elternzeit, dennoch haben sie dadurch finanzielle Einbussen. Das Gefährliche ist: Diese Einbussen setzen sich auch nach einer Ehe fort. Umso wichtiger ist es, diese Einbussen kompensiert zu bekommen. Natürlich soll jeder Mensch sein Leben so leben, wie er es möchte. Dennoch halte ich die Weitsicht für wichtig. Denn auch Kinder werden irgendwann erwachsen sein und wünschen sich, dass die Mutter weiterhin ein glückliches und zufriedenes Leben führt. Kurzum: Die Einbussen einer Ehe darf die Frau zu keinem Zeitpunkt alleine tragen.
Über die Gesprächspartnerin
- Saskia Schlemmer ist Rechtsanwältin und im Familienrecht tätig. Zusammen mit Strafrichterin Martina Flade betreibt sie den Podcast "Mrs. Right", in dem die beiden aus ihrer Perspektive als Juristinnen und Mütter über ihren Alltag sprechen. Im September ist ihr Buch "Das Buch, das du vor deiner Hochzeit gelesen haben musst: Rechtliche Aufklärung vor der Ehe spart Zeit, Geld und Nerven" erschienen.
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