Mit 18 ist man jung und frei. Mit 30 ist man am besten verheiratet. Oder verlobt. Oder zumindest in einer funktionierenden Beziehung. Gedankengut des letzten Jahrhunderts? Durchaus nicht. Für viele ist der 30. Geburtstag auch heute noch eine Art magische Schwelle. Während im Freundeskreis oft Hochzeiten und Richtfeste gefeiert werden, fragen sich viele Singles um die 30, ob mit ihnen etwas nicht stimmt.

Ein Interview

Anja Wermann ist Diplom-Psychologin und berät Alleinstehende, die das gerne ändern möchten – und dafür vielleicht auch ein bisschen sich selbst. Ein Interview über alte Muster, neue Tinder-Profilbilder und was wieder mal die Eltern mit dem Ganzen zu tun haben könnten.

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Frau Wermann, was sollte man auf gar keinen Fall tun, wenn man unglücklicher Single ist?

Die eigenen Standards fallen lassen, nur um mit irgendwem eine Beziehung zu führen. Zwar findet man wohl nie den "perfekten" Menschen und man muss auch Kompromisse eingehen. Aber man sollte wissen, was man braucht, um in einer Beziehung glücklich und zufrieden zu sein – und auch, womit man überhaupt nicht leben kann.

Kommen viele Menschen zu Ihnen, die noch nie eine Beziehung geführt haben?

Ja, das ist tatsächlich so. Die Hauptzielgruppe ist um die 30. Gerade bei Frauen in diesem Alter kommt oft der Gedanke dazu, ich will ja eigentlich Kinder, aber ich kriege es mit den Partnerschaften einfach nicht hin. Viele denken auch, dass es nur ihnen so geht, aber das ist nicht der Fall. Die meisten haben entweder noch gar keine Beziehungserfahrung oder es sind nur ganz kurze Geschichten gewesen, die man vielleicht noch gar nicht Beziehung nennen kann, und fragen sich einfach, woran es liegt. In wenigen Fällen ist es auch so, dass jemand in einer langjährigen Beziehung war, da jetzt rauskommt und dann noch mal quasi von vorn anfängt.

Anja Wermann. © Matthias Friel

Und woran liegt es?

Das ist individuell. Es kann mit Glaubenssätzen zusammenhängen wie "Ich bin nicht gut genug" oder "Ich bin immer die zweite Wahl", die man dann überprüfen kann. Es ist zwar interessant zu wissen, woher das kommt. Aber wir wühlen nicht im Urschleim. Da wäre eine Therapie auch besser geeignet. Es geht mehr um die Gegenwart: Hat jemand vielleicht ein ungünstiges Kommunikationsmuster? Dann schauen wir uns einen Dialog vom letzten Date genauer an.

Geben Sie dann auch Hausaufgaben mit wie "Erstellen Sie mal fünf verschiedene Datingprofile" oder "Sprechen Sie drei Leute in der U-Bahn an"?

Durchaus. Wir können in der Beratung die tollsten Erkenntnisse haben, entscheidend ist die Umsetzung im Alltag. Dafür gebe ich dann schon kleine Aufgaben mit. Es ist als Angebot gedacht. Wenn es jemand nicht umsetzen kann, geht es darum, was vielleicht im Weg war. Oder wir schauen uns das Datingprofil an: Wie ist es ausgefüllt? Könnte man den Text umformulieren? Wie sehen die Bilder aus? Wenn jemand nur Fotos mit gelangweiltem Gesichtsausdruck und Sonnenbrille einstellt, ist die Resonanz nicht so gross wie bei Bildern mit freundlichem Lächeln und in denen man die Augen sieht.

"Viele wünschen sich zwar eine Beziehung, verbinden damit aber eigentlich etwas Negatives, weil die Eltern zum Beispiel keine schöne Beziehung hatten."

Anja Wermann

Und was, wenn man zwar Menschen kennenlernt, es dann aber nicht klappt?

Bei manchen ist es zum Beispiel so, dass es immer drei Wochen gut läuft und dann plötzlich nicht mehr. Dann schauen wir wie mit einer Lupe genauer drauf: Ist da vielleicht irgendwas, das ich nach diesen drei Wochen anders mache? Manchmal stecken dahinter die angesprochenen Glaubenssätze, die in den ersten drei Wochen ruhig waren und plötzlich ihre Wirkung entfalten. Dann verhält man sich vielleicht unbewusst so, dass diese Überzeugung erfüllt wird.

Was empfehlen Sie allgemein Menschen, die immer wieder das gleiche Muster bei sich feststellen?

Erst mal ist es gut zu wissen, dass es vielen anderen genauso geht. Und dann würde ich auf das Bild schauen, das ich von einer Beziehung habe. Wie sollte meine Beziehung eigentlich aussehen? Viele wünschen sich zwar eine Beziehung, verbinden damit aber eigentlich etwas Negatives, weil die Eltern zum Beispiel keine schöne Beziehung hatten. Wenn man ein positives Bild davon hat, wie eine Beziehung aussehen sollte, kann man sich bewusst in diese Richtung bewegen.

Über die Gesprächspartnerin

  • Anja Wermann ist Diplom-Psychologin. Neben Paar-, Single- und Sexualberatung gehört auch eine sogenannte "Ghosting-Ambulanz" für Menschen, die nach einer solchen Erfahrung Unterstützung brauchen, zu ihren Angeboten.
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