Eine monogame Zweierbeziehung – das ist für viele Menschen der Inbegriff einer glücklichen Bindung. Doch was, wenn jemand mehrere Partnerinnen oder Partner liebt und sich für eine Mehrfachbeziehung entscheidet? Was genau steckt hinter diesem Modell und wie funktioniert Liebe zu dritt oder zu viert? Worin liegt der Unterschied zu einer offenen Beziehung oder Fremdgehen und was hat es mit der in weiten Teilen der Welt verbotenen Polygamie auf sich?
Erst kürzlich sprach der aus der Fernsehserie "Kommissar Rex" bekannte Schauspieler
Polyamorie "geschieht nicht heimlich, sondern mit Wissen und Unterstützung der Partner, die ebenfalls voneinander wissen. Möglicherweise sind die einander ebenfalls freundschaftlich oder in Liebe verbunden", erklärt der Hamburger Paartherapeut Eric Hegmann im Gespräch mit unserer Redaktion die Beziehungsform. "Polyamorie bedeutet, eine Person geht eine Liebesbeziehung mit mehr als einer Person ein", fasst Hegmann zusammen.
Warum Polyamorie nichts mit einem Seitensprung zu tun hat
Entgegen der häufig vertretenen Annahme, in polyamoren Beziehungen werde fremdgegangen und gegenseitiges Vertrauen missbraucht, wissen alle Beteiligten von der Mehrfach-Liebe. Bedeutet: Sie sind gleichermassen mit der polyamoren Lebensform einverstanden. Somit gelten geheime Affären dementsprechend nicht als Polyamorie, wie auch der Paartherapeut bestätigt: "Fremdgehen ist die einseitige Aufkündigung einer sexuellen und/oder emotionalen Exklusivität, die vor dem Partner verborgen gehalten wird."
Handelt es sich bei Polyamorie also in gewisser Weise um eine Erweiterung einer offenen Beziehung? Wie Hegmann definiert, erlaubt eine offene Beziehung "beiden Partnern sexuelle Erfahrungen ausserhalb der Partnerschaft. Die Regeln hierfür werden von jedem Paar individuell definiert. Beispielsweise ob es sich nur um einmalige Kontakte handeln darf, wie weit die emotionale Bindung reichen darf oder ob ein Partner ein Veto-Recht ausübend darf." Insofern kann Polyamorie durchaus als eine Variante der offenen Beziehung betrachtet werden, da "es noch andere Personen ausserhalb der Partnerschaft gibt", erklärt Hegmann. "Aber da Polyamorie eben nicht nur sexuelle Kontakte, sondern auch – oder manchmal vor allem – emotionale Verbindungen zulässt, geht sie über die offene Beziehung hinaus", ergänzt er.
Worin liegt die Herausforderung der Polyamorie?
Für den Experten steht fest, dass Polyamorie nichts mit Fremdgehen oder Seitensprüngen zu tun hat. Ganz im Gegenteil. Denn vielmehr handelt es sich hierbei um "ein Beziehungsmodell, das ausschliesslich mit einem höchsten Mass an Ehrlichkeit und Reflexion funktionieren kann."
Auch wenn polyamore Beziehungen in Deutschland erlaubt sind, ist die Mehrehe, auch Polygamie genannt, verboten und kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden. Hinsichtlich polyamorer Lebensformen verzeichnet Experte Hegmann dennoch einen Anstieg der Sichtbarkeit, ein Beziehungsmodell für die Masse sei es seiner Meinung nach aber nicht. "Nicht geeignet ist ein polyamoröses Modell für Menschen, die Liebe für etwas halten, das sich aufteilen lässt und dann jemand weniger erhält. Verständlicherweise ist die Idee von 'weniger' für diese Personen kaum reizvoll", erklärt er.
Welches Beziehungsmodell für welchen Menschen?
Nicht zu unterschätzen sei laut Hegmann zudem die Energie, die aufgebracht werden muss, um eine polyamore Beziehung zu führen. Bei der Polyamorie geht es "nicht mehr nur darum, mit einer Person die Dinge des Lebens zu verhandeln, sondern mit mehreren. In einer Partnerschaft ist jeder Wunsch jedes Partners zunächst gleichberechtigt. Daraus entstehen Konflikte, die gelöst werden müssen. Die Zahl der Konflikte steigt mit der Zahl der Partner."
Doch der Paartherapeut erkennt auch die Ganzheitlichkeit des Modells: Denn "dafür werden die Partner aber eben auch belohnt durch eine Vielfalt, die eine monogame Beziehung nicht zulässt." Zudem weiss Hegmann um den tiefen Mehrwert, den Poly-Beziehungen erzeugen können.
Seiner Erfahrung nach wissen jene Menschen, die sich für ein polyamores Modell entscheiden, sehr genau, was sie tun und weshalb sie sich darauf einlassen. "Die Transparenz, die dieses Modell benötigt, scheint mir sogar viele Verletzungen geradezu zu verhindern, die in anderen Modellen geschehen", ordnet der Therapeut ein.
Ob Menschen monogame oder polyamore Liebesbeziehungen führen, ist eine individuelle und vor allem selbstbestimmte Entscheidung. Wie Eric Hegmann betont, spiele hierbei vor allem die Akzeptanz, "dass es keine bessere oder schlechtere Liebe gibt", eine entsprechende Rolle.
Bedeutet: Wer ein Beziehungsmodell nicht mag, muss es nicht eingehen. Dass die monogame Beziehung als romantisches Ideal verstanden wird, sei eine neue Art der Betrachtung. Diese neue Form der Romantisierung erklärt Hegmann wie folgt: "Die Zweierbeziehung als Wirtschaftsgemeinschaft, zur Sicherung der Erbfolge, als Wirtschaftsverbindung ist Tausende von Jahren keine Spur so romantisch gewesen, wie es uns heute historisch sehr grosszügig interpretierende Serien und Filme vormachen. Diese, wie ich sie nenne, Disneyfizierung der Liebe, ist ganz sicher für mehr unerfüllte Hoffnungen und verletzende Enttäuschungen verantwortlich als Polyamorie."
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