Offen über seine Gefühle zu sprechen, kann sehr befreiend sein. Doch viele tun sich damit schwer - zum Leidwesen des Partners oder der Partnerin. Die gute Nachricht aber: Man muss solche Gespräche nicht erzwingen.
"Hast Du was?", fragt sie. "Nö, wieso?", meint er zurück. Ein typischer Dialog zwischen Paaren, wenn es um das Thema Gefühle geht. Noch immer seien es Männer, die sich schwer tun, über ihre Emotionen zu sprechen, meint der Psychotherapeut Josef Aldenhoff.
Die Familientherapeutin Valeska Riedel sieht es anders: Die Rollen könnten munter tauschen - dass vor allem Männer schwer über Gefühle sprechen könnten, sei ein Klischee. Allerdings betont auch Riedel, es gebe Unterschiede in der Kommunikation und nennt dafür auch einen Grund: "Frauen hatten in grauer Vorzeit mehr Gelegenheit und Raum dafür zu reden, Männer mussten eher handeln."
Nicht nur die Art unserer Kommunikation, auch die Emotionen selbst haben eine evolutionäre Komponente, ergänzt Alessandro Cavicchioli. "Menschen haben ein Bindungsbegehren, sie wollen mit jemanden zusammen sein, sich kümmern", sagt der Psychologische Psychotherapeut und Landesvorsitzende Baden-Württemberg der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung.
Gefühle oder Gedanken: Über was reden wir eigentlich?
Unser Gefühlsleben entsteht bereits in der Kindheit, so Aldenhoff. Schon Babys versuchen, Kontakt mit den wichtigsten Bezugspersonen aufzunehmen. Laut Riedel gehört allerdings zur Wahrheit auch: "Wir haben nicht so viel Übung darin, wirklich über Gefühle zu reden."
Mit unseren Worten behaupteten wir oft, unser Seelenleben mitzuteilen, täten es aber gar nicht. "Häufig denken gerade Frauen, dass sie über Emotionen sprechen, was sie zum Ausdruck bringen, sind aber ihre Gedanken", erläutert Riedel. Ein Beispiel:
- "Ich habe das Gefühl, dass..."
Genau diese Sätze können in Vorwürfen und Anschuldigungen enden. Was wiederum eine Abwehrhaltung beim Gegenüber erzeugt.
"Gefühle muss man überhaupt erst einmal wahrnehmen", stellt Aldenhoff fest. Dann gelte es, diese zu analysieren und zum Ausdruck zu bringen. "Das ist überhaupt nicht selbstverständlich."
"Jetzt sag doch was!" Warum das sinnlos ist
Probleme entstehen meist dann, wenn ein Partner mit der Situation unzufrieden ist oder was ganz anderes will, als der andere. Was dann? "Versuchen Sie nicht krampfhaft, Ihren Partner zu ändern", rät Riedel.
Derjenige, der mehr reden möchte, kann zunächst einmal über sich und sein Empfinden sprechen. "Die Frage ist, ob man erwartet, dass der andere das in gleicher Weise tut. Es ist nicht so, dass jeder mit dem gleichen Reichtum an Wortschatz darüber plaudern muss", gibt Aldenhoff zu bedenken.
Wichtig: Bedürfnisse äussern
Auch die Motivation ist entscheidend: Möchte ich etwas wissen, weil ich die Kontrolle haben will oder weil mich derjenige interessiert? Das seien zwei sehr unterschiedliche Beziehungsmodelle, erklärt Cavicchioli - eines sei von Angst geprägt, eines positiv von Neugier.
Deshalb rät er, sich bewusst zu werden, was man tun wolle, was das Bedürfnis sei und dann zu versuchen, das dem anderen mitzuteilen. "Gefühle sind Hinweise auf erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse", erklärt Riedel.
Deshalb empfiehlt sie, darum zu bitten, dass auf das Bedürfnis eingegangen wird. Dann sei die Chance höher, dass der Partner darauf reagiert. Wer sich hier als Paar gemeinsam entwickeln will, braucht vor allem Geduld, Offenheit und Zeit.
Nicht alles zerreden, einfach mal schweigen
Cavicchioli schlägt ein Feierabend-Ritual vor, für den Fall, dass ein Partner einen schlechten Tag hatte und davon erzählen will: "Machen Sie deutlich, dass Ihr Partner Ihnen nur zuhören soll - falls Sie keine Tipps von ihm oder ihr, sondern nur Trost wollen. Sprechen Sie nicht zu lange, legen Sie Pausen ein." Dabei sei eines der wesentlichen Elemente für den anderen das Zuhören - dabei nicht bewerten und Sätze stehen lassen.
Oder auch mal gemeinsam schweigen. Denn nicht alles muss besprochen und zerredet werden. "Gefühle leben davon, dass man sie zeigt. Man muss nicht jederzeit darüber reden oder eine Checkliste abarbeiten", gibt Aldenhoff zu bedenken.
Um ins Fühlen zu kommen, empfiehlt Riedel, etwas zu unternehmen. Ob das ein Waldspaziergang oder ein gemeinsamer Sport ist, spielt keine Rolle - es gehe darum, eine gemeinsame Erfahrung zu machen und den Kopf zum Stillstand zu bringen. Auch Küssen können zum Beispiel für Paare ein guter Zugang sein. (Bernadette Winter/dpa/af)
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