Ganz Italien steht seit zwei Wochen unter Hausarrest. Die Strassen von Mailand über Rom bis nach Palermo sind wie leergefegt. Seit der erste Schock über die strengen Vorsichtsmassnahmen überstanden ist, haben die Italiener den Ausnahmezustand zu ihrem Alltag gemacht. Doch immer wieder zeigt sich, wie angespannt die Stimmung ist.
Die italienische Hauptstadt gleicht in diesen Tagen einer Filmkulisse. Eine romantische und etwas heruntergekommene Stadt, die über Nacht von ihren Einwohnern verlassen wurde.
Die Hauptrolle spielt in Rom seit nunmehr zwei Wochen nur noch das Coronavirus, die Bewohner der ewigen Stadt sind zu Komparsen degradiert. Seit dem 11. März herrscht in ganz Italien faktisch eine Ausgangssperre, die Menschen dürfen nur vor die Tür, um das Nötigste zu erledigen.
Und so sind die kopfsteingepflasterten Strassen des beliebten Viertels Trastevere, über die sich normalerweise unendliche Menschenmassen schieben, leer, die Rollläden der Geschäfte herabgelassen, die Restaurants fest versiegelt. Nur vereinzelt wagen sich Menschen auf die Strasse, ihre Gesichter verbergen sie dann hinter einer Schutzmaske, ihre Hände in Plastikhandschuhen.
In Italien wütet das Coronavirus schon länger als im Rest Europas: Am 21. Februar war das Virus bei einem ersten Patienten, dem sogenannten "Paziente zero", im norditalienischen Codogno diagnostiziert worden.
Als die Zahl der Fälle in die Höhe schoss, reagierte die italienische Regierung schnell und sperrte erst die elf Gemeinden ab, in denen sich die Ausbreitungsherde des Virus befanden, und schränkte im ganzen Norden des Landes das öffentliche Leben stark ein.
Ein ganzes Land zur "Schutzzone" erklärt
Doch die Krankenhäuser in der besonders betroffenen Region Lombardei mussten immer mehr Patienten aufnehmen, schnell gab es nicht mehr ausreichend Betten auf der Intensivstation und viele, vor allem ältere Menschen starben.
Als klar wurde, dass die bisher ergriffenen Massnahmen die Ausbreitung des Virus nicht ausreichend eindämmten, entschied sich die Regierung zu einem drastischen Schritt und erklärte das ganze Land zur sogenannten "Schutzzone".
Das bedeutet: Niemand darf ein- oder ausreisen, die Bewegungsfreiheit im Land wurde stark eingeschränkt. So darf man das Haus nur noch verlassen, um einkaufen zu gehen, den Hund Gassi zu führen oder zur Arbeit zu fahren.
Selbst die öffentlichen Parks wurden geschlossen und Sport im Freien ist nur in unmittelbarer Nähe des eigenen Zuhauses erlaubt. Damit waren auch die Regionen, in denen es keine starke Ausbreitung des Virus gibt, plötzlich maximal von der Krise betroffen.
"Ich war ziemlich überrascht von der Massnahme. So etwas habe ich schliesslich noch nie in meinem Leben erlebt", sagt Andrea. Der 28-Jährige stammt aus der norditalienischen Stadt Brescia, lebt aber seit zwei Jahren in Rom. Kurz nachdem der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte die Verschärfung der Sicherheitsmassnahmen erklärt habe, sei er in den Strassen Roms unterwegs gewesen und habe gespenstische Szenen erlebt, erzählt er.
Es zählt einzig, das Virus zu besiegen
"Die ganzen Restaurants haben plötzlich geschlossen, niemand war mehr auf der Strasse. Die einzigen Bars, die noch geöffnet waren, haben anstelle von Fussball die Nachrichten gezeigt", sagt Andrea.
Seit diesem Tag sind rund zwei Wochen vergangen, die Andrea mit seiner Freundin in ihrer 35 Quadratmeter grossen Wohnung in Trastevere verbracht hat. "Unser grosses Glück ist, dass wir vor ein paar Wochen eine richtig schnelle Internetverbindung bekommen haben. Ich weiss nicht, wie wir diese Zeit mit der alten Leitung überleben würden, die die ganze Zeit Unterbrechungen hatte."
Andrea macht sich auch Sorgen um die Zukunft Italiens: "Was mir am meisten Angst macht, sind die wirtschaftlichen Folgen dieser Krise. Ich glaube, dass sie das Land extrem stark treffen werden." Daher sei das Einzige, was jetzt zähle, das Virus so schnell wie möglich zu bekämpfen.
Darum hält er sich streng an die Regeln der Regierung, geht nur zum Einkaufen vor die Tür. Dabei ist er selbst überrascht, wie wenig er unter den Einschränkungen leidet. "Ich vertraue meiner Regierung und den Experten, wenn sie sagen, dass wir uns an diese Massnahmen halten müssen, um das Virus zu stoppen."
Es sind wohl auch die Gespräche mit seinem jüngeren Bruder, der in einem Krankenhaus in der Lombardei als Pfleger arbeitet, die ihn dazu bringen, sich strikt an die Auflagen zu halten. "Es ist wie mit dem Krieg: Man kann davon lesen, aber erst wenn einem jemand, der dabei gewesen ist, erzählt, was passiert ist, kann man sich in die Situation hineinversetzten, mitfühlen", sagt Andrea.
Sein Bruder erzählt ihm von den vielen Toten, von den 12-Stunden-Schichten, davon, wie er, der 24-Jährige, mit den Füssen auf einem Kissen schlafe, damit seine Füsse und Beine über Nacht abschwellen können.
Polizei patrouilliert die Strassen
Doch nicht alle Italiener folgen den Vorgaben der Regierung. Daher fahren Polizisten durch die Strassen von Rom und kontrollieren die Einhaltung der Massnahmen. Wer vor die Tür geht, muss eine ausgefüllte Selbstauskunft dabeihaben, die belegt, wohin er warum geht. Wer lügt oder keinen gültigen Grund hat, wird strafrechtlich verfolgt und muss eine Geldstrafe zahlen oder kommt bei schweren Verstössen sogar ins Gefängnis.
Seit Beginn der Massnahmen sind nach Angaben der Zeitung "Corriere della Sera" bereits zwei Millionen Italiener von der Polizei kontrolliert worden und mehr als 90.000 angezeigt worden. Die hohe Zahl an Verstössen scheint für die Regierung ein Zeichen zu sein, dass die Strafen noch nicht hoch genug sind.
Denn aktuell wird über eine Erhöhung von den bisherigen 206 Euro auf bis zu 2.000 oder gar 3.000 Euro beraten und sogar die Konfiszierung des Fahrzeugs soll ermöglicht werden, mit dem die unerlaubte Bewegung vorgenommen wurde. Ausserdem sollen Drohnen eingesetzt werden, um die Bewegungen der Bürger zu kontrollieren.
Viele der Verstösse gehen sicherlich auf Menschen zurück, die sich schlicht nicht an die Regeln halten und ihre Freunde oder Partner besuchen wollten. Aber die zwei Wochen in Quarantäne haben auch viele Menschen ausgelaugt. Gerade, weil unklar ist, ob die Massnahmen wirklich wie einst angekündigt nur noch bis zum 3. April anhalten werden.
Schon wird über Schulschliessungen bis September diskutiert. Die Unsicherheit zerrt an den Nerven, ausserdem steht für viele Menschen ihre Existenz auf dem Spiel.
Eine junge Frau mit Einkaufstasche über der Schulter und dunklem Schlapphut auf dem Kopf spricht sicherlich vielen aus dem Herzen, als sie durch die verlassenen Strassen Trasteveres geht und den ockerfarbenen Wänden und geschlossenen Fenstern zuruft: "Non c'è la faccio più!" – "Ich halte das nicht mehr aus!"
Verwendete Quellen:
- Eigene Erfahrungen und Beobachtungen in Trastevere
- Gespräch mit Protagonist Andrea
- Corriere: "Coronavirus, controlli con i droni, sequestro dell’auto e multe fino a 3 mila euro."
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