Deutschlands grösstes Boulevardmedium wirft Deutschlands bekanntestem Virologen "fragwürdige Methoden" und "grob falsche" Schlussfolgerungen aus einer Studie vor. Der Wissenschaftler wehrt sich via Twitter, indem er eine Anfrage eines "Bild"-Journalisten veröffentlicht - und schon ist ein Riesenstreit im Gange.
Christian Drosten ist so etwas wie der Star unter Deutschlands Virologen. Seine Einschätzungen zur Lage in der aktuellen Corona-Pandemie finden Gehör bei der Bundesregierung und Millionen von Bundesbürgern. Das Ausland beneidet Deutschland um den Chef der Virologie der Berliner Charité, einen der weltweit führenden Experten bei der Erforschung von Coronaviren.
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Drosten übte bereits mehrmals Kritik an Darstellung der Medien
Dass seine Ausführungen dabei von dem ein oder anderem Medium verkürzt und damit seiner Ansicht nach unwahr wiedergegeben werden, hat Drosten mehr als einmal angeprangert.
"In den Medien wird die Wissenschaft zu sehr polarisiert", kritisierte Drosten bereits Anfang Mai in seinem NDR-Podcast. Statt sich auf die Inhalte der Diskussion zu beschränken, werde die Aufmerksamkeit auf eine Person gelenkt, der man alle möglichen Eigenschaften anhängen könne: "Das ist wirklich so langsam gefährlich."
Seit Montagnachmittag (25. Mai) hat die Diskussion um die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Methoden und der journalistischen Herangehensweise eine neue Qualität bekommen.
Auslöser des aktuellen Streits: Ein Artikel der "Bild" über eine Studie Drostens und seiner Mitarbeiter über die Corona-Virenlast bei Kindern, die die deutsche Schulpolitik massgeblich beeinflusst und eine wichtige Rolle bei Öffnungen von Schulen und Kindergärten gespielt habe.
In der Studie geht es vor allem darum, ob Kinder genauso ansteckend sind wie Erwachsene. Die Viruslast in den Atemwegen unterscheide sich nicht von denen anderer Altersgruppen (PDF, ca. 1 MB), schreiben Drosten und sein Team. Kinder könnten daher ebenso infektiös wie Erwachsene sein.
Drosten: "Ich soll innerhalb von einer Stunde Stellung nehmen. Ich habe Besseres zu tun"
Unter dem Titel "Fragwürdige Methoden: Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch" warf Deutschlands grösstes Boulevardmedium dem Virologen vor, "mit seiner wichtigsten Corona-Studie komplett daneben" zu liegen.
Als "Kronzeugen" dieser Behauptung werden mehrere Wissenschaftler genannt, die Drosten angeblich unsauberes Arbeiten vorwerfen und Kritik an den Methoden der Studie üben.
Drosten wehrte sich bereits vor Veröffentlichung des Artikels via Twitter. Er teilte die schriftlich formulierte Anfrage des "Bild"-Reporters und offenbarte, wie er sich durch die E-Mail unter Druck gesetzt fühlte, endend mit dem Satz: "Ich habe Besseres zu tun."
In Drostens erstem Tweet über den Vorfall war sogar noch die (dienstliche) Handynummer des Journalisten enthalten. Diesen löschte der Virologe nach Kritik im Netz und ersetzte ihn durch einen Tweet ohne Kontaktangaben.
Besonders übel stiess Dosten auf, dass die "Bild" vermeintlich kritische Zitate seiner Wissenschaftskollegen aufführte, um die Studie insgesamt in Frage zu stellen.
Schliesslich gehört es zur wissenschaftlichen Praxis, Studienergebnisse vor der endgültigen Veröffentlichung einer interessierten Akademikergemeinde zur Verfügung zu stellen und kritisch darüber zu diskutieren.
"Kronzeugen" wehren sich gegen "Bild"-Berichterstattung
Auch die von "Bild" zitierten Wissenschaftler distanzierten sich auf Twitter im Anschluss schnell und explizit von der Berichterstattung. Der deutsche Ökonom Jörg Stoye, Professor für Statistik an der Cornell-Universität in Ithaca, USA, legte sogar extra ein Twitter-Konto an, um sich öffentlich gegen seine Vereinnahmung zu wehren.
Drosten selbst hatte die Studie bereits im NDR-Podcast vom 30. April ausführlich besprochen und sich über Feedback seiner Kollegen gefreut.
Während sich der für den Artikel verantwortliche "Bild"-Reporter auf Twitter weiterhin keines Fehlers bewusst ist und von seinen Chefs Julian Reichelt (Chefredakteur) und Paul Ronzheimer (stellvertretender Chefredakteur) verteidigt wird, kommt Georg Streiter, ehemaliger "Bild"-Politik-Ressortleiter, zu einem etwas anderen Urteil, wie er auf Facebook schreibt.
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