Nach Kritik an seiner Studie über die Infektiosität von Kindern haben Christian Drosten und sein Team eine überarbeitete Version veröffentlicht. Im aktuellen NDR-Podcast erklärt der Virologe, warum die verbesserten statistischen Methoden die Grundaussage der Studie nicht verändern. Ausserdem diskutiert er, wie sich Schulschliessungen auf das gesamte Infektionsgeschehen auswirken und wie diese vermieden werden können.
Die Diskussion über Christian Drostens Studie zur Infektiosität von Kindern hat hohe Wellen geschlagen. Inzwischen hat der Virologe eine überarbeitete Version vorgelegt, in der jedoch die Grundaussage kaum verändert wurde.
Im NRD-Podcast "Coronavirus-Update" erklärt Drosten, dass sich die wissenschaftliche Kritik von Anfang an nicht auf die medizinische Aussagekraft der Studie bezogen habe. Es sei lediglich um die Auswahl der geeigneten statistischen Methoden gegangen.
Hauptkritikpunkt war demzufolge, dass er die Patienten in der ersten Version in Altersgruppen mit Zehnjahresschritten eingeteilt hatte. Statistikexperten hätten bemängelt, dass diese Einteilung zu grob sei. Das Alter müsse vielmehr eine kontinuierliche Variable sein.
Im Ergebnis ermittelten die Forscher bei 29 Prozent der Kinder im Alter von null bis sechs Jahren eine Virusmenge, die dafür ausreichend ist, andere anzustecken. Bei über 20-Jährigen erreichten 51 Prozent die kritische Viruslast.
Infektiosität von vielen Faktoren abhängig
Drosten erklärt im Podcast auch, dass die Studie nicht isoliert betrachtet werden kann. Die von ihm untersuchte Viruslast ist nicht alleinbestimmend, wie ansteckend ein Patient ist. Für Sars-CoV-2 ist es beispielsweise typisch, dass Kinder meistens keine Symptome zeigen. Weil sie weniger husten, geben infizierte Kinder weniger Erreger an die Umwelt ab als infizierte Erwachsene mit derselben Viruslast.
Kinder haben ausserdem ein geringeres Lungenvolumen und scheiden deshalb mit dem Atem weniger Erreger aus. Auf der anderen Seite halten sie sich weniger an Abstands- und Hygieneregeln und könnten deshalb durch ihr Verhalten stärker zur Verbreitung des Virus beitragen.
Modellierer machen Zusammenhänge sichtbar
Einen aufschlussreichen Beitrag zum Gesamtbild bieten laut Drosten mathematische Modellierungen. Hier seien vor allem zwei Studien erwähnenswert. In einer in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlichten Studie sei untersucht worden, wie sich in Deutschland ergriffene Massnahmen auf die Ausbreitungsrate des Sars-CoV-2-Virus niedergeschlagen hätten.
Das Verbot von Grossveranstaltungen ab dem 7.3. hatte demnach eine Reduktion der Ausbreitungsrate von 0,43 auf 0,25 zur Folge. Die Schulschliessungen ab dem 16.3. hätten diese von 0,25 auf 0,15 verringert. Nach der Einführung der allgemeinen Kontaktbegrenzung ab dem 22.3. sei sie von 0,15 auf 0,09 gesunken. Eine andere noch nicht endgültig publizierte Studie betrachtet Drosten zufolge Eindämmungsmassnahmen in 41 Ländern separat. Im Ergebnis werde deutlich, dass Schulschliessungen die Übertragungsziffer R um 50 Prozent reduziert hätten.
Wie öffnet man Schulen nachhaltig?
Aktuell befinden wir uns laut Drosten in einer Niedriginzidenzsituation. Das könne sich bis zum Herbst jedoch wieder ändern. Darum gehe es in der ersten Phase der Schulöffnungen darum, bis zu den Sommerferien etwas einzuüben, "das nach den Sommerferien zum Ernstfall wird".
Die Kernfrage sei, wie so früh wie möglich erkannt werden kann, dass das Virus in eine Schule eingeschleppt wurde und wie das Geschehen gestoppt werden kann, bevor eine richtige Infektionswelle an der betreffenden Schule beginnt.
Drosten empfiehlt, ein besonderes Augenmerk auf Lehrer als Indikatoren zu legen. Lehrer, die Symptome aufweisen, müssten sofort getestet werden. Sie müssten auch bevorzugt Zugang zu Tests haben. Am besten sollten Lehrkräfte auch ohne Symptome wöchentlich getestet werden. Bei ausreichender Testung wäre es möglich, einzelne Klassen zu isolieren, statt ganze Schulen schliessen zu müssen.
Professor Dr. Christian Drosten ist Leiter des Instituts für Virologie an der Berliner Charité und einer der führenden Virus-Forscher Deutschlands. In der Coronakrise ist der gebürtige Emsländer ein gefragter Gesprächspartner, regelmässig gibt er Auskunft zur aktuellen Lage.
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