- Grossbritannien ist weltweit das erste Land, das den Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer zur breiteren Anwendung freigegeben hat.
- Dass die britische Arzneimittelbehörde den Impfstoff so rasch und viel eher als ihr EU-Pendant zugelassen hat, liegt an mehreren Faktoren.
- In Grossbritannien sind besonders viele Menschen vom Coronavirus betroffen, London hat nur eine Notfall- und keine Marktzulassung erteilt und die EU will mehr Vertrauen und Akzeptanz für die Nutzung des Vakzins schaffen.
In Grossbritannien kann es nicht schnell genug gehen. Nachdem die dortige Arzneimittelbehörde MHRA am Mittwoch dem Mainzer Pharma-Unternehmen Biontech und seinem US-Partner Pfizer eine Notfallzulassung für deren Corona-Impfstoff erteilt hat, will der britische Gesundheitsdienst NHS (National Health Service) bereits am kommenden Dienstag die ersten Briten impfen.
Das sagte NHS-Providers-Geschäftsführer Chris Hopson am Freitag im BBC-Fernsehen. Premierminister
Das Land ist damit das erste überhaupt, das den Impfstoff von Biontech und Pfizer zur breiteren Anwendung freigegeben hat. Bereits in der kommenden Woche wird mit einer Lieferung von 800.000 Impfdosen gerechnet. Millionen weitere sollen bis Jahresende hinzukommen.
Dass Grossbritannien den Impfstoff so rasch und viel eher als die EU zugelassen hat, liegt an mehreren Faktoren:
1. In Grossbritannien sind besonders viele Menschen vom Coronavirus betroffen
Grossbritannien gehört zu den Ländern, die besonders hart von der Pandemie betroffen sind. Nach offiziellen Angaben der Regierung sind inzwischen mehr als 60.000 Menschen nach einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Experten gehen davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen noch höher liegen. Die britische Regierung hofft durch die Impfungen auf eine drastische Reduzierung der Todesfälle.
Als erstes geimpft werden sollen deshalb Bewohner und Mitarbeiter von Pflegeheimen sowie über 80-Jährige und besonders gefährdetes medizinisches Personal.
Wegen der komplizierten Lagerung bei minus 70 Grad soll der Impfstoff aber zunächst nur in 50 Kliniken im Land verabreicht werden. Später sollen weitere Zentren hinzukommen.
2. London hat nur eine Notfallzulassung erteilt
Bundesgesundheitsminister
In der EU gehe es hingegen um eine bedingte Marktzulassung, die eine umfassendere Prüfung durch die EMA nötig mache. Die will bis spätestens 29. Dezember ihre Empfehlung zum Antrag auf eine bedingte Marktzulassung abgeben. Eine kleine Verzögerung im Vergleich zu Grossbritannien sei nicht dramatisch, sagte Spahn. EU-Kommissarin Stella Kyriakides rechnet mit ersten Impfungen in der EU Anfang Januar.
3. Akzeptanz und Vertrauen schaffen
Der Erfolg einer Impfkampagne steht und fällt mit der Beteiligung der Menschen. Auch wenn ein Vakzin wissenschaftlich nachgewiesen funktioniert und zugleich sicher ist, braucht es vor allem Vertrauen in der Bevölkerung, um eine möglichst hohe Impfquote zu erreichen.
Eine zu schnelle Zulassung kann da unter Umständen kontraproduktiv sein, auch wenn alle Standards befolgt werden. So wächst in Grossbritannien bereits die Sorge, ob sich tatsächlich ein Grossteil der Bevölkerung impfen lässt. Britische Experten versichern zwar, dass die Prüfung äusserst gründlich erfolgt ist. Doch aus der EU und den USA gibt es Kritik an der Notfallzulassung. Dem US-Virologen Anthony Fauci zufolge sei ein ähnliches Vorgehen in den USA nicht denkbar, weil dort ohnehin schon viele Menschen skeptisch gegenüber Impfungen seien.
Die umfassendere Prüfung der EMA solle das Vertrauen der Bürger in den Impfstoff stärken, betonte Gesundheitsminister Spahn.
Die Statistik zeigt, dass fast alle Nebenwirkungen von Impfungen in den ersten sechs Wochen auftreten. Die Teilnehmer der gross angelegten Studien für die Impfstoffe von Biontech und Pfizer wurden mindestens zwei Monate nach Gabe der zweiten Dosis beobachtet – wie es etwa die US-Zulassungsbehörde FDA für eine Notfallzulassung verlangt.
"Es gibt einen Unterschied zwischen schnell und zu schnell", sagt Saad Omer, Leiter des Instituts für Globale Gesundheit der US-Elite-Universität Yale. Ein Beobachtungszeitraum von zwei Monaten decke tatsächlich die "überwältigende Mehrheit" unerwünschter Nebenwirkungen ab, sagt er. Biontech und Pfizer versichern, dass bei keinem ihrer 44.000 freiwilligen Probanden in den zwei Monaten nach der zweiten Spritze ernste Nebenwirkungen aufgetreten sind – also lebensbedrohliche Folgen, die eine Klinikbehandlung notwendig machen, oder dauerhafte Beeinträchtigungen.
Auch nach der Zulassung wird die Wirkung der Impfstoffe weiter überwacht. In den USA und Europa gibt es gut etablierte Systeme, um eine mögliche Zunahme von gesundheitlichen Beschwerden der Geimpften statistisch zu erfassen und Ursache und Wirkung in Zusammenhang zu bringen. (dpa/afp/mf)
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