- Jens Wagenknecht ist Hausarzt in Niedersachsen und von Anfang an bei der Impfkampagne dabei: erst im Impfzentrum, dann in seiner Praxis.
- Im Interview berichtet er von den Anfangsschwierigkeiten im Umgang mit den Impfstoffen und von den Akzeptanzproblemen bei Astrazeneca.
- "In zwei Wochen werde ich keine über 60-Jährigen mehr haben, die sich mit Astrazeneca impfen lassen möchten", sagt er.
Herr Wagenknecht, seit Ostern wird endlich auch in den Hausarztpraxen gegen Corona geimpft. Mit welchem Gefühl sind Sie da reingegangen?
Jens Wagenknecht: Enthusiastisch, ich wollte auf jeden Fall dazu beitragen, dass möglichst schnell viele Menschen geimpft werden, damit diese Pandemie endlich gestoppt werden kann. Für mich war von Anfang an klar, dass das mit den Impfzentren allein nicht klappen wird.
Wie viele Menschen werden Sie in dieser Woche impfen?
Wir werden in dieser Woche 120 Menschen impfen, pro Tag 30, über vier Tage verteilt. Das ist viel für unsere Gemeinschaftspraxis, die ich zusammen mit einer Kollegin betreibe. Schliesslich wollen wir auch noch andere Patienten betreuen. Mittlerweile können wir das aber leisten, auch weil sich eine gewisse Routine eingestellt hat.
Welche Probleme gab es am Anfang, in diese Routine zu kommen?
Grundsätzlich haben Hausärzte Übung mit Impfungen, wir impfen zum Beispiel in unserer Praxis jedes Jahr in acht Wochen rund 400 Menschen gegen Grippe. Nur: Eine COVID-19-Impfung ist etwas völlig anderes als eine Grippeimpfung. Es ist viel mehr Aufklärungsarbeit nötig, auch mehr Papierkram samt Einwilligungserklärungen und Aufklärungsbögen.
Wie ist es denn beim Umgang mit dem Impfstoff selbst?
Bei dem Impfstoff von Astrazeneca werden die Spritzen einfach aus den Fläschchen aufgezogen, zehn, meistens elf Dosen sind das pro Fläschchen. Dieser Ablauf ist Routine. An den Umgang mit dem mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer mussten wir uns hingegen erst gewöhnen. Wir bekommen ihn zwar bereits in flüssiger Form für unsere Lagerung im Kühlschrank, allerdings muss er in Kochsalzlösung verdünnt und dann sehr vorsichtig behandelt werden.
Inwiefern?
Dieser Impfstoff ist erschütterungssensitiv. Das heisst, wenn man zum Beispiel das Glas schüttelt, um Luftblasen zu beseitigen, schlägt man damit womöglich die Fett-Nanopartikel in dem Impfstoff auf, die mRNA wird freigesetzt und in der Flüssigkeit abgebaut. Ein solcher Impfstoff würde nicht mehr schützen. Für uns Ärzte und das Personal heisst das also: nicht schütteln, sondern schwenken. Das muss man lernen und kann es erst mit der Zeit routiniert anwenden.
Wie viele Impfstoffdosen haben Sie ganz am Anfang bekommen und wie viele sind es jetzt, in der vierten Woche nach dem Start in den Hausarztpraxen?
In den ersten beiden Wochen hatten wir jeweils zwölf Menschen bei uns zum Impfen. Diese Woche haben wir für unsere Gemeinschaftspraxis zweimal 48 Impfstoffdosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs bekommen. In der Woche davor waren es nur zweimal 18. Wir wissen immer mittwochs, wie viele Impfdosen wir bekommen, dann machen wir die Termine für die darauf folgende Woche aus. Bislang sind die Dosen, die zugesagt wurden, dann auch immer gekommen.
Was ist mit dem Impfstoff von Astrazeneca, über dessen Nebenwirkungen so viel berichtet wurde?
Den bestellen wir auch, allerdings war er bislang nicht in jeder Woche verfügbar. Ausserdem muss man schon sagen, dass die Akzeptanz dieses Impfstoffes eher schlecht ist. Ich habe noch einige Menschen der Altersgruppe von 60 bis 75 Jahren auf meiner Impfliste, aber rund ein Drittel lehnt Astrazeneca kategorisch ab. Viele schreiben mir, dass sie lieber noch warten möchten, bis sie einen mRNA-Impfstoff bekommen können. In drei Wochen werde ich wahrscheinlich keine Menschen über 60 Jahre mehr finden, die sich mit Astrazeneca impfen lassen wollen.
In einigen Bundesländern wird der Astrazeneca-Impfstoff ja auch für andere Altersgruppen als über 60-Jährige empfohlen. Wie finden Sie das?
Offenbar gibt es bei jüngeren Menschen, vor allem bei Frauen, ein gewisses Risiko, in Folge der Impfung eine Sinusvenenthrombose zu erleiden. Da Jüngere gleichzeitig aber ein recht geringes Risiko haben, schwer an COVID-19 zu erkranken, finde ich die Haltung "Die sollen sich nicht so anstellen und sich mit Astrazeneca impfen lassen" problematisch. Auch wenn das Risiko einer Sinusvenenthrombose minimal ist, würde ich als Arzt Astrazeneca jüngeren Menschen nicht empfehlen - zumal es ja andere Impfstoffe gibt, die diese Nebenwirkung nicht haben, soweit das bis jetzt bekannt ist.
Können Sie eigentlich selbst festlegen, wie viel Sie von welchem Impfstoff bestellen?
Ja, aber es gibt Höchstgrenzen. Bei dem Impfstoff von Biontech/Pfizer waren das zum Beispiel 48 Impfstoffdosen pro Woche pro Arzt. Diese Zahl ändert sich von Woche zu Woche. Wenn in einer Woche viele diesen Impfstoff bestellen, bekommen wir diese Höchstmenge nicht.
Was ist mit den anderen beiden verfügbaren Impfstoffen von Moderna und von Johnson & Johnson?
Beide sind in dieser Woche offenbar erstmals in Arztpraxen verimpft worden, hier konnten sie noch nicht bestellt werden. Die Verfügbarkeit des Moderna-Impfstoffs ist sehr gering, er wurde bislang vor allem in den Impfzentren verimpft.
Haben Sie eine Ahnung, wann Sie in Ihrem Patientenkreis mit den Impfungen durch sind?
Nein. Aber was ich sagen kann ist, dass ich wohl Ende des Monats Mai in der Altersgruppe Mitte, Anfang 50 angekommen sein werde. Die Nachfrage ist jedenfalls riesig. Wir haben noch mehr als 400 Anmeldungen abzuarbeiten - und ganz viele haben sich noch gar nicht angemeldet, weil sie wissen: Ich bin noch nicht dran.
Also haben Sie keine "Impfvordrängler"?
Doch, ein paar gibt es immer. Wobei man sagen muss: Schreiben wie die des niedersächsischen Gesundheitsministeriums, mit denen Hunderttausende Menschen wegen einer irgendwann einmal gestellten Diagnose jetzt zu einer Impfung eingeladen werden, helfen da nicht. Offenbar soll die Impfpriorisierung aber ohnehin im Juni fallen. Ich denke, das ist realistisch. Bei rund 65.000 beteiligten Arztpraxen mangelt es zumindest nicht an Impfstellen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.