Seit Montag befindet sich Deutschland im zweiten Lockdown. Viele Virologen und Politiker halten die Massnahmen für unvermeidbar, doch es gibt auch Kritik. Wir haben die wichtigsten Aussagen aus Wissenschaft, Medizin und Politik in der vergangenen Woche zusammengetragen.

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+++ Donnerstag, der 29. Oktober +++

Der vergangene Donnerstag steht noch ganz im Zeichen des am Vortag beschlossenen "Lockdown Light". Während Politik und Wissenschaft die Massnahmen mit grosser Mehrheit begrüssen, sorgt ein Strategiepapier für Diskussionen, das die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die beiden Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit am Tag zuvor veröffentlicht haben.

Die Wissenschaftler sprechen sich darin gegen einen zweiten Lockdown aus, gegen weitere Verbote und Vorschriften. Stattdessen schlagen sie die Einführung eines Ampelsystems vor und hoffen auf die Kooperation der Bevölkerung. Sie fordern vor allem eine langfristige Strategie im Kampf gegen die Pandemie.

Streeck bezeichnet das Strategiepapier auf Twitter als "Vorschlag mit wachsender Unterstützung". Der SPD-Politiker und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach widerspricht: Auf Twitter schreibt er, das Konzept sei "nicht falsch, aber keine Lösung". Ohne Lockdown "hätten wir Ende November 100.000 Infektionen pro Tag".

Lauterbach selbst erntet heftige Kritik für seine Aussage, dass die Umsetzung der Corona-Massnahmen auch bei Feiern in Privatwohnungen kontrolliert werden müssten. Einen Tag später relativierte er auf Twitter seine Aussage. Er stelle die "Unverletzlichkeit der Wohnung" nicht in Frage, schrieb er auf Twitter.

+++ Freitag, der 30. Oktober +++

Am Tag darauf bezieht auch Kanzleramtsminister Helge Braun Stellung: "Keine proaktiven Kontrollen im Privatbereich, aber sehr deutliche Kontrollen im öffentlichen Bereich. Alle müssen sich wirklich sehr, sehr konsequent an die Regeln halten", sagt der CDU-Politiker im "Bayerischen Rundfunk".

Der Virologe Christian Drosten hält einen viel beachteten Vortrag auf dem Windhorst-Abend in Meppen, in seiner Heimat im Emsland. Drosten spricht auf der im Livestream übertragenen Veranstaltung über die schnelle Zunahme der Anzahl der Intensivpatienten und warnt vor einer "Triage-Situation", in der Ärzte aufgrund mangelnder Kapazitäten entscheiden müssten, wer lebensrettende Massnahmen erhalten soll und wer nicht.

Drosten fordert, die Strategie der Gesundheitsämter zu überdenken und auf die Verfolgung von Cluster-Ausbrüchen zu setzen. Die Bevölkerung bittet er einmal mehr, über den Winter ein Kontakttagebuch zu führen, das im Falle einer COVID-19-Erkrankung die Verfolgung von Infektionsketten erleichtern kann.

Währenddessen warnt auch Karl Lauterbach bei Twitter vor grossen Problemen auf den Intensivstationen.

+++ Samstag, der 31. Oktober +++

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Ende September vor einer Entwicklung mit 19.200 Neuinfektionen pro Tag bis Weihnachten gewarnt. Die damals von vielen Menschen als übertrieben angesehene Zahl wird jedoch bereits am vergangenen Wochenende erreicht. 19.059 neue COVID-19-Fälle meldet das RKI am Samstag.

Dazu passt die düstere Einschätzung von Ralph Brinkhaus. Der Vorsitzende der Unionsfaktion im Bundestag schliesst eine Verlängerung des zunächst bis Ende November beschlossenen Lockdowns nicht aus. "Es ist der Plan, dass wir zum Dezember lockern. Garantieren kann das niemand", sagt er im Interview mit der "Funke Mediengruppe".

Christian Drosten retweetet ein Interview des "WDR" mit dem Mediziner Michael Hallek, in dem dieser die Notwendigkeit des Lockdowns erläutert.

+++ Sonntag, der 1. November +++

Drosten meldet sich auch am Sonntag zu Wort und gibt einen Ausblick darauf, wie die Pandemie weiter verlaufen könnte. "Sicher ist: Ostern ist die Pandemie nicht beendet", sagt der Virologe der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Spätestens im Sommer wird sich unser Leben deutlich zum Positiven verändern können - wenn wir jetzt die akut steigenden Ansteckungszahlen in den Griff bekommen."

Streeck übt hingegen erneut Kritik an den beschlossenen Massnahmen. "Ich halte den Shutdown für zu früh. Er bringt sicherlich die Infektionszahlen runter. Aber nach den vier Wochen werden sie wieder steigen, dann geht es von vorne los", sagt er der "Süddeutschen Zeitung".

Heftig diskutiert wird auch darüber, ob es die richtige Entscheidung ist, Schulen und Kindertagesstätten während des "Lockdown Light" offenzulassen. SPD-Politikerin Franziska Giffey hat dazu eine klare Meinung. "Es ist wichtig, dass wir jetzt bei der zweiten Welle eben sagen: Die Schliessung von Kitas und Schulen sind nicht das erste Mittel, sondern sie sind das letzte Mittel, wenn es um Einschränkungen geht", sagt die Bundesfamilienministerin in der "ARD".

+++ Montag, der 2. November +++

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn weist bei Twitter darauf hin, dass sich die Zahl der Intensivpatienten innerhalb von 14 Tagen verdreifacht hat. Gerald Gass, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, äussert sich ähnlich: "In zwei bis drei Wochen werden wir die Höchstzahl der Intensivpatienten aus dem April übertreffen – und das können wir gar nicht mehr verhindern. Wer bei uns in drei Wochen ins Krankenhaus eingeliefert wird, ist heute schon infiziert", sagt er der "Bild". Spahn und Gass befürworten deshalb den Lockdown.

Boris Palmer, der Oberbürgermeister von Tübingen, richtet spezielle Einkaufszeiten für alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen ein. Zudem fordert er sie auf, nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. FFP2-Masken werden ausgegeben, jüngere und gesunde Menschen sollen möglichst mit dem Rad fahren, erklärt der Grünen-Politiker das Tübinger Modell, das vor allem auf Eigeninitiative der Bürger setzt und den Lockdown ergänzen soll.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung unterstützt inzwischen den von der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten verhängten Lockdown: "Wir müssen die hohen Infektionszahlen unbedingt senken", sagt KBV-Chef Andreas Gassen.

+++ Dienstag, der 3. November +++

21,6 Millionen Menschen in Deutschland haben sich die Corona-Warnapp heruntergeladen. Rund 100.000 Menschen befinden sich in Quarantäne. Diese Zahlen nennt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf einer Pressekonferenz am Dienstag. Der CDU-Politiker warnt vor harten Wochen, macht aber auch Hoffnung: "Wir sind diesem Virus nicht hilflos ausgeliefert, wir wissen, wie es geht." Auch Lars Schaade, Professor am Robert-Koch-Institut, zeigt sich optimistisch: "Die Chancen, schon bald einen Impfstoff zu haben, sind realistisch", sagt er auf der Pressekonferenz.

Im NDR-Podcast "Coronavirus-Update" meldet sich die Virologin Sandra Ciesek zu Wort. Eine Strategie, die sich vor allem auf den Schutz von Risikogruppen konzentriert, hält sie für nicht umsetzbar. "Wie sollen 21,9 Millionen Menschen mit einer Vorerkrankung vor den restlichen 60 Millionen geschützt werden? Da merkt man schnell, wie irrsinnig und schwierig das ist", sagt Ciesek.

Die Wissenschaftlerin spricht auch über ein relativ neues Thema: das erhöhte COVID-19-Risiko für schwangere Frauen, die älter als 35 Jahre sind. Das Risiko eines Krankenhausaufenthalts sei bei dieser Gruppe um das Zwei- bis Dreifache erhöht, erläutert sie, sagt aber auch: "Man braucht aber keine Panik zu haben, wenn man schwanger ist. Denn das absolute Risiko ist in der Altersgruppe extrem gering".

Unterdessen kritisiert Uwe Janssen, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Drostens Triage-Äusserung vom Wochenende. "Herr Drosten ist ein erstklassiger Virologe und einer der wichtigsten Experten, die wir derzeit bei der Pandemiebekämpfung haben. Seine Äusserungen zu einer möglicherweise drohenden Triage in Deutschland kann ich jedoch nicht nachvollziehen und halte sie für unverantwortlich", sagt der Intensivmediziner der "Rheinischen Post". Janssen sieht die Lage in den Krankenhäusern noch nicht so ernst.

Drosten reagiert darauf auf Twitter:

+++ Mittwoch, der 4. November +++

Das RKI meldet am Mittwochmorgen 17.214 Neuinfektionen, die Zahlen scheinen sich auf hohem Niveau einzupendeln.

Sandra Ciesek teilt bei Twitter eine Pressemitteilung der "Osnabrücker Zeitung" und fasst den Inhalt knapp zusammen: "DGP-Präsident Pfeifer: Unwissenschaftliche Position unautorisiert im Namen von Ärzte- und Wissenschaft vertreten – 'Bevölkerung verunsichert' - Teillockdown 'eindeutig richtig'".

Hendrik Streeck meldet sich daraufhin direkt zu Wort und antwortet ihr bei Twitter:

Dieser Wissenschaftler-Streit könnte sich noch länger hinziehen.

Verwendete Quellen:

  • Berliner Morgenpost: Brinkhaus: Corona-Lockerungen im Dezember nicht garantiert
  • noz.de: Corona-Krise: Drosten hält offene Schulen für richtig
  • rp-online.de: Notfall-Ärzte warnen vor Überlastung
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