In Spanien stellt der Autobauer Seat in der Coronakrise Beatmungshilfen her. In Deutschland ist die Industrie zurückhaltender: Schnell in den Bau kompletter Geräte einzusteigen, ist technisch anspruchsvoll.

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Eigentlich war die Rechnung ganz einfach: In der Coronakrise fehlt es an medizinischem und technischem Material: Schutzmasken, Schutzkleidung, Beatmungsgeräte. Diese auf dem Weltmarkt zu besorgen, wird zunehmend schwieriger, weil praktisch alle Länder gerade danach suchen.

Gleichzeitig stehen in vielen deutschen Industriebetrieben die Bänder still, weil Lieferketten unterbrochen sind. Warum also stellen diese Firmen nicht die dringend benötigte Ausrüstung her?

Das Bundesgesundheitsministerium hat Unternehmen im März gebeten, kurzfristig in die Herstellung von Schutzausrüstung einzusteigen. Die Resonanz auf den Aufruf sei "überwältigend" gewesen, teilte der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) mit, der die Aktion koordinierte. Gesundheitsminister Jens Spahn sagte in der vergangenen Woche, man habe mehr als 100 Angebote bekommen. Autozulieferer und Kleidungshersteller fertigen nun also Masken, Filter und andere Schutzausrüstung.

Etwas anders sieht es mit Beatmungsgeräten aus. Deren Hersteller sind derzeit besonders gefragt: Man produziere derzeit doppelt so viele Geräte wie zuvor, teilt das Lübecker Unternehmen Dräger mit. Aber reicht das, um den Bedarf zu decken? Könnten nicht auch hier andere Firmen mithelfen?

Seat macht es vor

In Spanien wurde es jedenfalls schon vorgemacht: Der Autobauer Seat fertigt im Stammwerk in Martorell in der Nähe von Barcelona Beatmungshilfen für den klinischen Einsatz – 300 pro Tag sollen es werden. "Ich habe mir gedacht: Wir müssen doch irgendwie die Kompetenz unserer Mitarbeiter mit den Anlagen, die zur Verfügung stehen, nutzen, um zu helfen", sagt Vorstandsmitglied Christian Vollmer in einem Unternehmensvideo.

Auf der Montagelinie, auf der normalerweise Autoteile entstehen, bauen jetzt 30 bis 35 Personen pro Schicht die Geräte. Man habe dafür Mitarbeiter schulen, neue Teile einkaufen, Maschinen umbauen müssen, sagt Vollmer. Die Bauanleitung kam von einem Start-up. Die spanische Zulassungsbehörde hat die Beatmungshilfen bereits freigegeben, sie sind inzwischen in Krankenhäusern im Einsatz.

Auch Unternehmen in anderen Ländern kündigten ähnliche Pläne an. Im US-Bundesstaat Michigan wollen Ford und GE Health Care 50.000 Beatmungsgeräte in 100 Tagen herstellen. Auch die französische Autobauer-Gruppe PSA prüft, ob die Produktion möglich ist.

VDMA: "Technik ist komplex"

In Deutschland sind die Industriekonzerne zurückhaltender. VW, Daimler und Siemens stellen die Kapazitäten ihrer 3D-Drucker zur Verfügung, um Teile der Beatmungsgeräte herzustellen. "Es ist denkbar, dass Fremdunternehmen einzelne Teile produzieren", erklärt Niklas Kuczaty, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Medizintechnik im Maschinenbauverband VDMA, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Dass sie aber komplette Beatmungsgeräte herstellen, ist nicht abzusehen – auch deshalb, weil die Technik dafür komplex ist."

Beatmungsgeräte müssten einen bestimmten Standard erfüllen, sagt Kuczaty. "Ausserdem braucht man vor Ort Personal, das ein bestimmtes Gerät auch bedienen kann. Wenn ein Gerät die nötige Qualität nicht gewährleistet, kann es den Patienten sogar eher schaden als nützen."

Der Experte sagt zudem, dass der Bedarf geringer sei als im Ausland: "Wir sind in Deutschland mit Beatmungsgeräten zum Glück relativ gut abgedeckt, weil es hier viele Hersteller gibt. Deswegen ist der Druck bei dem Thema geringer als in anderen Ländern." Bei Schutzausrüstung sei der Bedarf deutlich grösser.

Erst Prototyp, dann Produktion bei Tesla

Auch im Ausland mussten Unternehmen offenbar die Erfahrung machen, dass ein schneller Einstieg schwierig ist: Elon Musk, Chef des Elektroautobauers Tesla, hatte Ende März gesagt, er wolle Beatmungsgeräte aus Autobauteilen herstellen. Kurz darauf präsentierte Tesla einen Prototyp. Wenige Wochen später hat Tesla laut Elon Musk Beatmungsgeräte produziert und an mehrere Krankenhäuser ausgeliefert.

Noch weiter scheint der britische Staubsauger-Hersteller Dyson zu sein, der 15.000 Beatmungsgeräte produzieren will. Der Fernsehsender itv berichtet, Dyson arbeite gerade an der Zulassung seines Modells durch den britischen Gesundheitsdienst.

Auch in Deutschland ist die Herstellung kompletter Geräte durch Fremdfirmen möglicherweise noch nicht komplett vom Tisch: Der "Donaukurier" berichtete Anfang April, das kleine Ingolstädter Unternehmen Trimatec habe einen Prototyp entwickelt, der beim Autobauer Audi in Produktion gehen könnte. Audi will das auf Anfrage unserer Redaktion nicht bestätigen, die Pressestelle erklärt aber: "Wir stehen dem Thema aufgeschlossen gegenüber. Es gibt allerdings viele offene Fragen, die es zu klären gilt."

In einer früheren Version dieses Artikels wurde berichtet, dass Tesla bislang lediglich den Prototyp eines Beatmungsgeräts entwickelt habe. Richtig ist, dass das Unternehmen mittlerweile Beatmungshilfen produziert und an Kliniken ausgeliefert hat.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Niklas Kuczaty, Arbeitsgemeinschaft Medizintechnik im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA
  • Audi, Pressestelle
  • CNBC.com: Ford, GE plan to produce 50,000 ventilators in 100 days
  • Donaukurier.de: Beatmungsgeräte made in Ingolstadt
  • Inc.com: Elon Musk Promised Ventilators. None of Them Showed Up
  • itv.com: Dyson provides update on ventilator project
  • Seat-Mediacenter: Beatmungshilfe von SEAT offiziell freigegeben
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