Brasilien macht die Landesgrenzen dicht. Das kündigte die Regierung in Brasilia Donnerstagnachmittag an. Damit reagiert Präsident Jair Bolsonaro endlich angemessen auf die rasanten Entwicklungen in der Corona-Pandemie, die er vor wenigen Tagen noch abgewiegelt hatte.

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Das Coronavirus bestimmt auch das Leben in Südamerikas grösstem Land Brasilien. Noch sind die Auswirkungen beileibe nicht so deutlich zu spüren wie in Europa – in Brasilien zählte die Johns Hopkins Universität am Donnerstagnachmittag (15 Uhr), 19. März, 529 registrierte Fälle – vier Tote - und die Fallzahlen steigen. Erst am Mittwoch hatte der Präsident Jair Bolsonaro den nationalen Notstand ausgerufen. Am Donnerstag dann die Nachricht: Das Land macht die Grenzen dicht. Endlich.

Dabei war der Präsident schon deutlich früher persönlich mit dem Virus konfrontiert worden. Anfang März war Bolsonaro mit seiner gesamten Entourage in die USA gereist. Im Ferienresort Mar-o-Lago trafen sich Donald Trump und Bolsonaro. Kurz nach der Rückkehr stellte sich heraus, dass der Kommunikationschef Bolsonaros, Fabio Wejngarten, positiv auf das Coronavirus getestet worden war.

Coronafälle in Regierungskreisen

Da stellte sich die Frage: Ist der Präsident womöglich auch infiziert? Doch diese Frage entpuppte sich als propagandistischer Frontalcrash. Als erstes berichtete das Boulevard-Blatt "O Dia", Bolsonaro sei positiv auf Corona getestet worden. Es berief sich auf den US-Sender FOX. Dieser hatte mit Bolsonaros Sohn Eduardo gesprochen, der das Ergebnis gegenüber dem Sender bestätigte. Die News machte die Runde – zumal die Zahl der positiv Getesteten, die mit Bolsonaro in den USA waren, stetig stieg. Kurz darauf dementierte Eduardo seine Aussage, behauptete, er habe mit niemandem über den Test gesprochen.

Ein merkwürdiges Vorgehen. Nicht nur, weil Jair Bolsonaro tags zuvor noch die Bedrohung als "Fantasie" heruntergespielt hatte und sich dennoch freiwillig in die Isolation begeben hatte. Eine "Hysterie" sei es – Ähnliches hörte man von Bolsonaro auch zum Thema Klimawandel oder Waldbrände. Am Mittwoch berichteten Medien, auch Regierungsmitglied und Ex-General Augusto Heleno, der strategisch wichtigste Kopf der Regierung, sei positiv getestet worden.

Bolsonaros Krisenmanagement sorgt für Verärgerung

Das Herunterspielen der Bedrohung und das dadurch mangelhafte Krisenmanagement bringt Bolsonaro in Bedrängnis. Der Rückhalt in der Bevölkerung bröckelt. Jeden Abend gegen halb neun versammeln sich die Brasilianer an den Fenstern, zu einer sogenannten panelação. Dazu schlagen sie Töpfe und Pfannen zusammen und rufen "Bolsonaro raus!" in die Nacht. Ein gängiges Mittel, um seinem Unmut Luft zu machen. Erst recht dann, wenn man im Haus bleiben muss, weil Schulen, Shoppingcenter und Restaurant inzwischen ebenfalls geschlossen sind.

Auch politisch bekommt Bolsonaro Druck. Treue Unterstützer wie die einflussreiche Janaina Paschoal wenden sich ab. Sie gehörte zu den federführenden Politikern bei der Amtsenthebung Dilma Rousseffs 2016.

Ausserdem plagen Bolsonaro innenpolitische Probleme. Er liegt im Clinch mit dem Parlament. Da er keine parlamentarische Mehrheit hat, lässt ihn der Kongress und dessen Präsident Rodrigo Maia immer wieder ins Leere laufen. Weil er auf der Stelle tritt, stilisiert sich Bolsonaro als Opfer der alten korrupten politischen Establishments. Deshalb hatte er für den 15. März zu landesweiten Demonstrationen gegen Kongress und Obersten Gerichtshof aufgerufen.

Coronavirus eine "Taktik des Satans"

Dabei hatte Bolsonaros Corona-Kurs anfänglich noch Unterstützung gefunden. Edir Macedo, Gründer der mächtigen evangelikalen Glaubensgemeinschaft Igreja Universal, sprang Bolsonaro zur Seite. Während Bolsonaro am Sonntag bei einer Demonstration gegen das Parlament und den Obersten Gerichtshof STF ein Bad in der Menge nahm, Selfies ohne Mundschutz machte und etliche Hände schüttelte, veröffentliche Macedo ein Video, in dem er die Menschen dazu aufrief, sich keine Sorgen zu machen.

Corona sei eine Taktik des Satans, sagte Macedo. "Satan arbeitet mit Angst und Furcht. Er arbeitet mit Zweifeln. Wenn sich Menschen fürchten und zweifeln, werden sie schwach und leichtgläubig", sagt Macedo in dem Video. Er hatte Bolsonaro schon im Wahlkampf 2018 massiv unterstützt.

Bolsonaros Sohn Eduardo, als quasi inoffizieller Aussenminister bei allen wichtigen Reisen des Vaters dabei, legte sogar noch nach. Am Mittwoch legte er sich gar mit China an, Brasiliens wichtigstem Handelspartner. Er warf China vor, das Coronavirus verheimlicht zu haben. "China ist schuld, Freiheit wäre die Lösung", twitterte er. Die Antwort aus Peking kam prompt. Chinas Botschafter kochte vor Wut und wurde ungewohnt explizit. "Leider sind Sie eine Person ohne internationales Verständnis oder gesundem Menschenverstand, der nichts über China oder die Welt weiss. Wir raten Ihnen, sich nicht in die Rolle des US-amerikanischen Sprechers für Brasilien zu begeben, auf die Gefahr hin, schlimm zu stürzen."

Oliver Stünkel, Forscher bei der Stiftung Getúlio Vargas, vermutet hinter Eduardo Bolsonaros Post Kalkül: "Es lenkt die Aufmerksamkeit weg von der inkohärenten Reaktion auf die Pandemie und mobilisiert die Anhänger gegen einen gemeinsamen Feind", schreibt er auf Twitter. So versuche er, anti-kommunistische Vorurteile und ein nationales Gemeinschaftsgefühl anzufachen.

Forscher entwickeln Corona-Impfstoff

Auch wenn die Lage etwa in den völlig überfüllten Gefängnissen und den dicht besiedelten Favelas des Landes sehr schnell sehr ernst werden könnte: Es gibt unterhalb der Regierungsebene und abseits der ideologischen Kampflinien auch verantwortungsvollen Umgang mit der Corona-Pandemie.

An einem Institut der Universität São Paulo arbeiten Wissenschaftler laut "brasil.elpais.com" mit Hochdruck an der Entwicklung eines Impfstoffs. "Generell zeigen traditionelle Impfstoffe eine sehr gute Immunogenität", sagt Gustavo Cabral, Forscher und verantwortlich für das Projekt. Die Immunogenität ist die Eigenschaft eines Stoffes, im tierischen oder menschlichen Körper eine als Immunantwort bezeichnete Reaktion des Immunsystems auszulösen. "Das Wissen über diese Eigenschaften hilft uns dabei, erfolgreich neue Impfgrundstoffe zu entwickeln."

Ein aktueller Aufsatz der Stiftung Getúlio Vargas (FGV) in Zusammenarbeit mit dem Institut Oswaldo Cruz – dem brasilianischen Äquivalent des Robert-Koch-Instituts – kommt zu dem Ergebnis, dass die Corona-Epidemie eine harte Belastungsprobe für die brasilianische Gesundheitsüberwachung werden dürfte. "Brasilien war führend bei der Bekämpfung der Zika-Epidemie. Jetzt muss es aber mit dem im Ausland gewonnenen Wissen Schritt halten und sich auf spezifische Studien und Anforderungen vorbereiten, die hier stattfinden werden - auch in den Bereichen Diagnose, medizinische Versorgung, Krankheitsvorbeugung und Gesundheitsförderung", heisst es in dem Artikel von Flávio Codeço vom Institut für angewandte Mathematik der FGV. "Als die Warnung bezüglich des neuartigen Coronavirus ausgegeben wurde, stand Brasilien erneut vor einer grossen Frage: Sind wir vorbereitet?"

Verwendete Quellen:

  • theintercept.com: How Jair Bolsonaro’s Son, Eduardo, Confirmed His Father’s Positive Coronavirus Test to Fox News, Then Lied About It
  • Fallzahlenticker der Johns Hopkins Universität
  • brasil.elpais.com: Cientistas brasileiros estão desenvolvendo vacina contra o coronavírus
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