In der heutigen Folge des NDR-Podcasts vergleicht Virologe Christian Drosten die Situation Deutschlands mit jener in den USA und erklärt, warum er mit einem Anstieg der Fallsterblichkeit rechnet.
Deutschlands Krankenhäuser sind in Alarmbereitschaft. Hochspezialisiertes Personal wartet auf die mögliche Coronavirus-Welle. Ob sie auch wirklich kommt? Man weiss es nicht.
"Viele Krankenhäuser – ich kann das auch von der Charité in Berlin sagen – haben ja noch relativ wenige schwere Fälle", so
Drosten-Befund: Deutschland macht seine Hausaufgaben
Egal, ob die schweren Fälle kommen oder nicht: Die vorbeugenden Massnahmen der Krankenhäuser hält der Virologe in jedem Fall für wichtig. Drosten rät zu einem Blick ins Ausland: "Man muss nur schauen, was in Italien und Spanien passiert und in den USA in den kommenden Wochen passieren wird."
Vor allem anhand der USA – eines System mit einer ähnlichen Hochleistungsmedizin wie es sie in Deutschland gebe – würde man bereits sehen, was passiert, wenn Massnahmen zu spät eingeleitet werden. Der Spezialist für Infektionskrankheiten über unser Land: "Wir haben hier extrem früh in der Breite eine ganz grosse Kraft in der Diagnostik ausgerollt und daher unsere Fälle sehr früh bemerkt."
Deutsche Erkrankte im Schnitt 48 Jahre jung
Diese Früherkennung führte laut dem Experten hierzulande zu unterschiedlichen Folgen: "Zum Beispiel dazu, dass das Durchschnittsalter der Erkrankten in Deutschland mit rund 48 Jahren relativ jung ist", so Drosten. Zum Vergleich: In Italien lag dieses zum Teil bei über 80 Jahren, was der Experte wie folgt erklären kann: "Zur normalen Infektionstätigkeit in der Bevölkerung werden dort in den Krankenhäusern bereits liegende ältere und grunderkrankte Patienten infiziert, deren Risiko zu versterben natürlich hoch ist."
Drosten rechnet mit Ansteigen der Fallsterblichkeit
Deutschlands bekannteste Stimme der Corona-Krise rechnet demnächst aber auch in Deutschland mit der Zunahme von älteren Menschen mit schwereren Verläufen in den Krankenhäusern. Auch die Infektionen in den Seniorenpflegeheimen zuletzt würden daraufhin deuten.
"Und wenn in diese Einrichtungen das Virus eindringt, dann verschiebt sich plötzlich auch das Durchschnittsalter der Infizierten, ohne dass wir eine geringere Nachweisfrequenz haben", prophezeit der Experte, der jetzt in Deutschland "wegen mehrerer Effekte" ein Ansteigen der Fallsterblichkeit erwartet. Diese würde schon jetzt nicht mehr zwischen 0,2 und 0,4 Prozent, sondern bei rund 0,8 Prozent liegen. "Das liegt daran, dass plötzlich auch andere Altersschichten betroffen sind und die Diagnostik der exponentiellen Entwicklung nicht mehr hinterherkommen kann."
Es wird "voll bis zum Anschlag" getestet
Dass man die Testkapazität noch weiter steigern kann, bezweifelt Drosten. Ihm zufolge gelte es, vor allem die Richtigen zu testen, da er die Testkapazität schon "voll bis zum Anschlag genutzt" sieht. Der Virologe: "Gleichzeitig haben wir in der Industrie eine Verlegenheit, diese Reagenzien überhaupt noch liefern zu können. Und ich bin mir einigermassen sicher, dass wir in Deutschland auch da im Vorteil sind, weil wir hier in so früher Zeit schon so viele Bestellungen ausgelöst haben."
Davon würde man in Deutschland noch heute profitieren. Ob das auf Dauer so bleiben kann, bezweifelt Drosten in seinem aktuellen Podcast jedoch.
Den 20. April als Stichtag findet der Experte gut
An der Spekulation, ob es auch in Deutschland italienische oder spanische Verhältnisse geben könne, möchte sich Christian Drosten gar nicht erst beteiligen. "Weil es nicht seriös ist", sagt er knapp. Den von Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) kommunizierten Stichtag 20. April, bis zu dem alle Massnahmen bestehen bleiben sollen, will der Virologe nicht infrage stellen.
Im Gegenteil: "Es ist jetzt mal richtig, sich gemeinschaftlich zu diesem Datum zu bekennen." Danach könne man Belastbares ableiten, Korrekturen anbringen und weiter über die zielgerechte Verwendung von Diagnostik diskutieren. "Und darüber nachdenken, ob man schrittweise die jetzt sehr breiten Massnahmen spezieller macht und so Bewegungsfreiheit zurückgewinnt."
Groteske Vorwürfe gegenüber Drosten per E-Mail
Das gegenwärtige Agieren der Medien sieht der Virologe nach wie vor äusserst kritisch. Diese würden das Bild von Wissenschaftlern mit Projektionen belegen, die nicht existierten. "Gestern habe ich etwa eine E-Mail bekommen, in der ich persönlich für den Suizid des hessischen Finanzministers verantwortlich gemacht wurde", schildert ein entsetzter Drosten.
Für ihn seien Dinge dieser Art ein echtes Signal. "Und zwar, dass wir in dieser mediengeführten öffentlichen Debatte über eine Vernunftgrenze schon lange hinaus sind." Für Drosten und Kollegen völlig klar ist, dass es die Politik ist, die Entscheidungen trifft – und auch treffen muss.
Und dennoch werde seitens der Medien noch immer das Bild des Entscheidungen treffenden Wissenschaftlers publiziert. "Für einen Wissenschaftler ist es gefährlich, sich zu sehr in die Öffentlichkeit zu begeben. Denn dort muss man simplifizieren, also Dinge vereinfachen. Und das steht ihm eigentlich nicht", findet Drosten.
Masken als Fremdschutz durchaus sinnvoll
Abschliessend kam der Virologe erneut auf die Masken als Fremdschutz zu sprechen. Als solche seien diese für ihn nach wie vor wichtig. Auch die Idee, sich solche selbst zu basteln oder zu schneidern, sei eine "gute und höfliche", so der Experte.
"Ich schütze den anderen damit gegen meine möglicherweise noch nicht ausgebrochene Infektion". Dass dies noch nicht so ganz in der Realität angekommen ist, bekam Drosten am Wochenende beim Einkaufen bestätigt.
"Ich war in fast allen Situationen der einzige mit Maske – und ich wurde stets merkwürdig angeschaut. So viel zum Thema soziale Akzeptanz", so Christian Drosten am Ende seines Coronavirus-Updates.
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